„Wer Palmyra besitzt, besitzt Syrien“
profil: Die Ruinenstadt Palmyra wurde 1980 von der UNSECO zum Weltkulturerbe erklärt. Welche kulturhistorische Bedeutung kommt ihr zu? Andreas Schmidt-Colinet: Die Palmyrener betrieben Welthandel zwischen China und Rom und standen in Kontakt mit Alt-Mesopotamien, also mit den Persern. Daher vereinen sich in der Stadt griechische mit römischer und persisch-orientalischer Kunst und Architektur. Ein gutes Beispiel dafür war der Beltempel.
profil: Inwiefern? Schmidt-Colinet: Von der Schmalseite betrachtet sah er aus wie ein griechisch-römischer Tempel. Von der Längsseite jedoch wie ein orientalischer Sakralbau. So wurden zwei Kulturgemeinschaften in einem Heiligtum vereint. Das ist als hätte der Stephansdom statt des Glockenturms ein Minarett.
profil: Warum ist Palmyra ein strategisch wichtiger Punkt im Syrien-Konflikt? Schmidt-Colinet: Die Ruinenstadt war natürlich eine große Tourismusattraktion und kurbelte die syrische Wirtschaft an. Gleichzeitig war Palmyra seit jeher ein Verkehrsknotenpunkt. Zwischen Damaskus und dem Fluss Euphrat war Palmyra lange der einzige Ort, wo man Benzin bekam. Wer Palmyra besitzt, besitzt Syrien.
Dass ein deklariertes sogenanntes Weltkulturerbe wie Palmyra von einem Weltsicherheitsrat oder der UNESCO nicht geschützt werden kann, ist unglaublich.
profil: Weshalb zerstört der sogenannte Islamische Staat mutwillig die Monumente in Palmyra? Schmidt-Colinet: Der sogenannte IS hat sich zum Ziel gesetzt, alle vermeintlichen „Götzenkulturen“ auslöschen. Daher werden Monumente dem Erdboden gleich gemacht und zuständige Forscher getötet. Die Kampfansage gilt aber allen, die den „Götzenkulturen“ dienen, auch Ihnen und mir. Ich wehre mich, indem ich Vorträge halte. Meine Waffe ist das Wort.
profil: Wann waren Sie zuletzt in Palmyra? Schmidt-Colinet: Ich leite seit mehr als 30 Jahren die deutsch-syrischen Grabungen und Forschung in Palmyra. Gemeinsam mit Khaled al-Assad, dem ehemaligen Leiter der Grabungen in Palmyra, haben wir eine hervorragende Kooperation von deutschen und syrischen Forschungsteams aufgebaut. Khaled wurde vor etwa einem Jahr vom sogenannten IS geköpft. Seine Familie konnte ins Ausland flüchten. Bis zum Herbst 2010, also kurz vor Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs, war ich jedes Jahr für etwa zwei Monate vor Ort.
profil: Wie groß schätzen Sie den bisher angerichteten Schaden in Palmyra ein? Schmidt-Colinet: Palmyra, eine Stadt die früher 70.000 Einwohner zählte, hat heute noch knapp 100 Bewohner. Die anderen wurden entweder getötet oder sind geflüchtet. Seit zwei Jahren gibt es dort weder Strom noch Wasser. Die gesamte moderne Stadt Palmyra ist ein Trümmerfeld vergleichbar mit Warschau oder Dresden im Jahr 1945.
profil: Wie steht es um die Ruinenstadt? Schmidt-Colinet: Die Hauptheiligtümer in Palmyra wurden gesprengt. Im Dach des Museums hat eine Granate eingeschlagen, Statuen wurden zerstört. Die Überreste der zertrümmerten Löwenfigur, die vor dem Museum stand, wurden von Forscherkollegen unter Einsatz ihres Lebens nach Damaskus gebracht.
profil: Die Zerstörung Palmyras durch den sogenannten Islamischen Staat wird öffentlich verurteilt.. Schmidt-Colinet: Der sogenannte IS hat die Zerstörung Palmyras immer wieder angekündigt. Und die Welt wundert sich jedes Mal über die Ausführung dieser Ankündigungen. Dass ein deklariertes sogenanntes Weltkulturerbe wie Palmyra von einem Weltsicherheitsrat oder der UNESCO nicht geschützt werden kann, ist unglaublich. Die Zerstörung Palmyras wird zwar verbal verurteilt, aber es werden keine Taten gesetzt.
In Palmyra schwebt man immer noch in Lebensgefahr sobald man die Teerstraße verlässt.
profil: Wie könnte Palmyra gerettet werden? Schmidt-Colinet: Ich glaube, dass man dem sogenannten IS nicht nur mit beschwörenden Worten entgegen treten kann. Die Länder, die im Syrien-Konflikt kämpfen, müssten sich mit Bashar al-Assad und den verschiedenen Rebellengruppen an einen runden Tisch setzen. Sie alle müssten erkennen, dass ihre kulturelle Identität vernichtet wird, dass sie gemeinsam dagegen vorgehen müssten, und dass das mit „Religion“ und „Demokratie“ überhaupt nichts zu tun hat.
profil: Ist eine Lösung des Syrien-Konflikts ohne Bashar al-Assad möglich? Schmidt-Colinet: Ich glaube nicht. Ich kenne Syrien und habe auch einige Jahre in Damaskus gelebt. Ich bin sicher, dass die Mehrheit der Bevölkerung hinter Bashar al-Assad steht. Eine politische Lösung ganz ohne Assad wird kaum möglich sein. Russland ist das einzige Land, dass das bisher erkannt hat, zieht allerdings falsche militärische Schlüsse daraus.
profil: Es gibt weltweit immer wieder Versprechen die Ruinenstadt Palmyra nach Kriegsende zu rekonstruieren. Wie stehen Sie dazu? Schmidt-Colinet: Ich kann dieses Gerede nicht mehr hören. Die Entscheidung zu einem zumindest teilweisen Wiederaufbau sollte einzig und allein bei den Einheimischen liegen, aber bis dahin wird es noch lange dauern. Allein die Bestandsaufnahme des angerichteten Schadens wird Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Die Ruinen sind angeblich auch stark vermint. In Palmyra schwebt man immer noch in Lebensgefahr sobald man die Teerstraße verlässt.
profil: Befürworten Sie einen Wiederaufbau Palmyras? Schmidt-Colinet: Ich halte das für irreal. Eine Ruine erzählt ihre Geschichte von der Errichtung bis zur Zerstörung. Und sie hat ein Recht darauf. Eine Rekonstruktion wäre vergleichbar mit einem Haut-Lifting. Selbst geliftete Haut kann das Alter nicht vergessen machen.
Zur Person
Andreas Schmidt-Colinet ist Klassischer Archäologe. Er lehrte bis 2010 am Institut für Klassische Archäologie der Universität Wien. Seit 1980 ist er Leiter der Deutsch-Syrischen Grabungen und Forschungen in Palmyra.