LANDESGERICHT WIEN: Mohamed Mahmoud wird wegen Terrordrohungen zu vier Jahren Haft verurteilt.

Exklusiv: Mohamed Mahmoud - Das Buch des Gotteskriegers

Der Österreicher Mohamed Mahmoud koordiniert die IS-Propaganda für den Westen. Das Konzept dafür dachte er sich Jahre zuvor in Wien aus. Im Gefängnis in Simmering schrieb er ein 300-Seiten- Pamphlet, das den Aufbau des IS-Medienapparats in frappierender Genauigkeit vorwegnahm. profil nahm exklusiv Einblick.

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Der Mann, der den Kampfnamen „Abu Usama al-Gharib“ (der Fremde) trägt, lässt kaum ein Klischee aus. In Videos trägt er gern die Tracht der Paschtunen, den Shalwar Kameez: eine weite Hose, dazu ein Hemd bis zu den Knien, eine Pakul, die traditionelle Wollmütze, ergänzt durch eine Militärjacke mit Tarnmuster.

Die Taten der Figur in dem Video sind abscheulich. „Worauf wartet ihr denn noch? Guten Morgen, es ist schon Mittag!“, ruft der Mann in die Kamera: „Eilt, eilt, bevor der Zug abfährt!“ Den Hintergrund der Aufnahmen bilden die antiken Ruinen der syrischen Stadt Palmyra. Im Vordergrund ist der Mann zu sehen, wie er mit einem Maschinengewehr zwei gefesselten Männern in den Kopf schießt. Danach brüllt er: „Wer aus Deutschland und Österreich nicht zum IS reisen kann, soll im eigenen Land Anschläge verüben. Ein großes Messer reicht schon.“ Dieser Mann heißt Mohamed Mahmoud. Der 30-Jährige ist der Staatsbürgerschaft nach Österreicher und wohl der bekannteste Austro-Dschihadist. Vor Jahren hatte er in einem Video seinen Reisepass verbrannt und mit Anschlägen in seiner alten Heimat gedroht. „Sie sind schon seltsam, diese Ungläubigen“, postete er vorvergangenen Samstag auf der Online-Plattform Twitter. „Ich wende mich von ihnen ab, und sie nennen mich immer noch Österreicher. Schwer, sie loszubekommen.“ Zu diesem Zeitpunkt ist das Video, das ihn beim Morden zeigt, bereits übers Internet verfügbar. Und ein Mal mehr wird deutlich: In dem großspurigen Prahler steckt ein knallharter Killer.

Regisseur eines blutrünstigen PR-Apparats

Lange hielt man Mohamed Mahmoud nur für einen Spinner, süchtig nach Aufmerksamkeit. Dieser Charakterzug dürfte jedoch die Sicht auf sein wahres Gefahrenpotenzial verstellt haben. Heute ist Mahmoud im Gefüge des IS-Terrorstaats, in dem er erstmals im Herbst 2014 auftauchte, viel mehr als ein Statist: Eher scheint er im blutrünstigen Medien- und PR-Apparat der Regisseur zu sein. „Er ist einer der führenden deutschsprachigen Dschihadisten“, sagt Guido Steinberg, Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin: „Sein Einfluss trug maßgeblich dazu bei, dass diese Strömung auch bei uns in Europa Fuß fassen konnte.“

profil konnte nun exklusiv Einsicht in ein Dokument nehmen, das diese These mehr als bekräftigt. Mahmoud hat es vor Jahren verfasst, im Gefängnis im Wiener Arbeiterbezirk Simmering, Kaiser-Ebersdorfer-Straße 297: ein 300-seitiges Grundsatzpapier, in dem er in frappierender Detailgenauigkeit den Aufbau des heutigen Medien-Apparats des „Islamischen Staates“ zu einem großen Teil vorwegnimmt. Von der Existenz des Dokuments wusste die Öffentlichkeit bislang nichts, es lag unbeachtet in der Schublade einer Wiener Wohnung von Bekannten Mahmouds. profil durfte das Dokument nicht kopieren, aber einsehen. Es beweist, dass europäische Extremisten nicht nur nach Syrien reisten, um dort in den Dschihad für den Islamischen Staat zu führen. Vielmehr wurde hier in Europa wichtige Vorbereitungsarbeit geleistet.

„Als wahrer Gläubiger muss man sich von den Götzen und den Ungläubigen und ihren Götzen lösen“, schreibt Mahmoud da beispielsweise: „Es ist nötig, sie den Hass und das Schwert spüren zu lassen.“ Anderswo wird es konkreter, es geht um den möglichen Aufbau eines Propagandaapparats. Mohamed Mahmoud gab sich offenbar außerordentlich Mühe, als er diese Überlegungen ausarbeitete. Auf knapp 300 A4-Seiten, abwechselnd in Arabisch und radebrechendem Deutsch, formuliert er seine Vision des IS. Dem Autor hapert es in beiden Sprachen an Vokabular, Orthografie und Grammatik, aber dafür bemüht er sich, sein ideologisches Manifest in gestochen scharfer Handschrift zu Papier zu bringen. Karierte Notizzettel müssen genügen, denn der Haftinsasse hat keinen Computer, als er mit 22 Jahren beginnt, an dem Werk zu schreiben.

Predigten im Simmeringer Gefängnis

Zeit hat er dafür mehr als genug. Zwischen 2007 und 2011 verbüßt Mahmoud in der Justizvollzugsanstalt Simmering seine vier Jahre dauernde Freiheitsstrafe. Im selben Gefängnis beginnt er auch zu predigen und schart eine kleine Fangruppe für sein salafistisches Gedankengut um sich, so ein Bekannter, der ihn regelmäßig besuchte, gegenüber profil.

Mahmoud wuchs in Wien-Rudolfsheim auf, als Kind von Einwanderern aus Ägypten. Der Vater war Imam im siebten Wiener Gemeindebezirk, in der Shahaba-Moschee. Ab 2005 betrieb Mahmoud das deutschsprachige Segment der „Globalen Islamischen Medienfront“ (GIMF). Diese Internetplattform übersetzte und verbreitete Propagandamaterial der Terrororganisation Al Kaida weltweit. Für die jeweiligen Landessprachen gab es eigene Rekruten, die sich um die Verbreitung kümmerten. In diesem Rahmen versuchte sich der IT-affine Mahmoud nicht nur als deutsches Sprachrohr, sondern höchstwahrscheinlich auch als eigenständiger Terror-Propagandist. Sicher ist: Mahmoud hat das PR-Material der Terrorgruppe von seinem eigenen Computer aus hochgeladen, darunter etwa ein Video, das im März 2007 im Internet auftauchte. In diesem drohte er Österreich und Deutschland mit Terroranschlägen, falls sie ihre Truppen nicht aus Afghanistan abzögen. Dafür wurde Mahmoud schließlich wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung zu vier Jahren Haft verurteilt.

Im Jahr 2011 wird er aus dem Gefängnis entlassen. Er zieht sogleich nach Deutschland, wo er sich mit dem Rapper Denis Cuspert zusammentut. Gemeinsam steigen sie in die Riege prominenter Islamisten auf. Sie produzieren Drohvideos und gründen die Extremistengruppe „Millatu Ibrahim“ (Gemeinschaft Abrahams): „Sagt euch los von den Kuffar (Ungläubigen, Anm.)“, ruft Mahmoud auf YouTube seinen Anhängern zu: „Seid stolz auf eure Religion und schämt euch nicht, wenn ihr eine Waffe dabeihabt.“ Schon damals stuft ihn die führende deutsche Islamismus-Expertin Claudia Dantschke „als den derzeit radikalsten Prediger im deutschsprachigen Raum“ ein. Bevor man ihn ausweisen kann, setzt sich Mahmoud 2012 nach Ägypten und Syrien ab. 2013 versucht er, über die Türkei ins IS-Gebiet zu gelangen. Dort wird er wegen seines gefälschten Passes festgenommen und für über ein Jahr inhaftiert. Nach seiner Freilassung gelangt er schließlich ins Reich des Kalifen.

Seine anfänglichen Aktivitäten in Österreich scheinen ihm eine Art Generalprobe für sein künftiges Wirken im Kalifat gewesen zu sein. Im Gefängnis dürfte er die Gelegenheit dazu gehabt zu haben, frühe Fehler zu evaluieren. Basierend auf seinen ersten Erfahrungen als Cyber-Terrorist erarbeitet er ein Konzept, wie ein Medienimperium der sogenannten dritten Generation von Dschihadisten – sie bedient sich der Elemente und Verführungskünste der Popkultur – zu funktionieren hat. Vor diesem Hintergrund entsteht sein Epos.

Antiquiert-brutale Sprache

Es hat keinen Titel, und man merkt, dass Mahmoud seinen Gedankenfluss nicht immer unter Kontrolle hat. Trotzdem lassen sich klare Segmente ausmachen. Erst bereitet er in antiquiert-brutaler Sprache die dschihadistische Ideologie auf, welche die Grausamkeiten im Namen des Heiligen Krieges legitimieren soll. Jede der knapp 300 Seiten verfügt über mehrere Fußnoten: So soll der Eindruck eines streng wissenschaftlichen Textes entstehen. Die Fußnoten verweisen auf Koransuren, Hadithe und einschlägige Werke. Mit einem Lineal wurden säuberlich die Trennlinien zwischen Text und Ergänzungen gezogen; manchmal sind die Quellen, die Mahmoud zitiert, länger als seine Ausführungen.

Er mimt damit die Perfektion von islamischen Rechtsgelehrten. Aus der väterlichen Bibliothek, in der er einst viel Zeit verbrachte, weiß er, wie solche Pamphlete aussehen. Alle Gedanken, die er zu Papier bringt, kreisen um ein Ziel, das er in einem mit Leuchtmarker gekennzeichneten Satz so formuliert: „Wie wir das Kalifat errichten und die Anhänger rekrutieren.“ Die Passagen drehen sich um Märtyrerkult, Todessehnsucht, vor allem aber um die Pflicht, am Heiligen Krieg teilzunehmen. „Schwäche zu zeigen, wenn es darum geht, dem Ruf des Dschihads, zu folgen, ist ein Verbrechen, das mit Höllenqualen bestraft wird.“

Immer wieder nimmt Mahmoud in solchen Passagen Bezug auf Abdullah Azzam, er zitiert ihn in seitenlangen Fußnoten. Dieser 1989 getötete Palästinenser gilt als Pate des Dschihadismus. Schon zu Lebzeiten beeinflusste Azzam die späteren Al-Kaida-Führer Osama bin Laden und Ayman al-Zawahiri. Azzam verfasste etwa eine Fatwa, ein islamisches Rechtsgutachten, zur Legitimation des Dschihads in Afghanistan. Dort baute er zudem ein „Servicebüro für Gotteskrieger“ auf, das als Vorläuferorganisation der Al Kaida gilt. Er warb sogar bin Laden höchstpersönlich als Kämpfer an. Aber es ging ihm nicht nur um handfeste Kriege; in Azzams Gedanken spielte die „Liebe zum Tod“ eine wesentliche Rolle.

Mahmoud greift dies auf, wenn er im ersten Teil seiner Notizen darüber philosophiert, dass man keine andere Wahl habe, als – „heute, hier und jetzt“ – diesen Heiligen Krieg auszufechten. Zum Todeskult kommt auf den folgenden Seiten – anders als bei Mahmouds Vorbild Azzam – die aus der Popkultur entliehene Idee von Videobotschaften. Uralte Verse und der Cyber-Dschihad verschmelzen zu einer surrealen Ideologie: Mahmoud geht es nicht nur um Krieg und Tod, er beschreibt in seinem Werk auch klipp und klar eine Medienstrategie als zentrale Tragsäule für einen siegreichen Dschihad samt einem „Islamischen Staat“, der als Basis für die wahren muslimischen Kämpfer dienen soll. Mahmoud skizziert damit also genau jene Vorgangsweise, die den IS heute so erfolgreich macht.

Als wahrer Gläubiger muss man sich von den Götzen und den Ungläubigen und ihren Götzen lösen. (Mohamed Mahmoud in seinem Pamphlet)

Schritt für Schritt erläutert Mahmoud dieses Konzept: Nicht mehr Prediger sollen die Rekrutierung übernehmen, sondern gewiefte PR-Fachleute. Zusätzlich zum Aufbau eines echten Territoriums solle eine Expansion ins Internet erfolgen, „damit sich Kämpfer aus aller Welt anschließen“ , schreibt Mahmoud. Und um Aufmerksamkeit zu erzielen, „müssen die Ungläubegen geschockt werden“.

Die Einzigartigkeit der PR-Arbeit des IS im Vergleich zu anderen Terrorgruppen ist mittlerweile offensichtlich: ausgefeilte Technik, subtiles Storytelling und eine lawinenartige Verbreitung von Botschaften. Somit liest sich Mahmouds Werk, als hätten sich der selbst ernannte IS-Kalif und seine Kämpfer penibel an dessen Vorgaben gehalten, einem Drehbuch vergleichbar.

Seit dem September 2014 setzt Mahmoud seine in Wien entworfenen Pläne um. In der IS-Hauptstadt Raqqa in Syrien hat er ein veritables Medienimperium im Namen des Kalifats mitaufgebaut: „Al-Ghuraba Media“ zählt zu dem Mahmoud unterstellten Medien-Arm, es gilt als Herzstück des IS-Propaganda-Apparats, zu dem auch ein Netzwerk zählt, das wie Facebook funktioniert, eine Radiostation sowie ein täglich aktualisierter Nachrichtenkanal.

"Dabiq"-Magazin als Flaggschiff der IS-Medien

Gemeinsam mit dem deutschen Rapper Denis Cuspert gründete Mahmoud außerdem die Gruppe „al-Hayat“. Sie ist sozusagen die Print-Abteilung in der Kalifats-Propaganda-Maschinerie. Unter diesem Markennamen erscheint das Flaggschiff der IS-Medien, das auf Englisch publizierte Online-Magazin „Dabiq“, von dem mittlerweile bereits neun Ausgaben veröffentlicht wurde. Mit dem „al-Hayat“-Emblem werden auch die Mitschnitte der Brandreden von IS-Sprecher Abu Mohammad al-Adnani auf Englisch, Türkisch, Holländisch, Französisch, Russisch und auch auf Deutsch ins Netz gestellt.

Einer der wenigen, die die Entstehung solcher Produkte aus nächster Nähe mitverfolgten, ist Oliver N. Der 17-jährige Wiener setzte sich im August 2014 in das IS-Gebiet ab, seit März ist er in Wien zurück. Im Juli wurde er wegen Unterstützung einer Terrorvereinigung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Der arbeitslose Versicherungskaufmannslehrling war nur drei Monate vor seiner Ausreise zum Islam konvertiert. Zuvor war er in einer Moschee in Wien-Favoriten in radikale Kreise geraten und von einer afghanischen Familie für den IS rekrutiert worden. Reumütig und schwer verletzt stellte er sich nach seiner Rückkehr nach Österreich der Polizei.

Oliver N. traf Mohamed Mahmoud laut eigener Aussage 2014 in Raqqa: „Er ist ein führender Prediger der deutschen Kämpfer“, sagt N. über seinen Landsmann. Auch der berüchtigte, mittlerweile getötete Kämpfer Firas H. – ebenfalls aus Wien stammend und bekannt aufgrund zahlreicher abscheulicher Gewalt-Postings – arbeitete laut Oliver N. unter Mahmouds Ägide in der Medienabteilung in der IS-Hauptstadt Raqqa. Die Leiche von Firas H. hat Oliver N. übrigens gemeinsam mit Mahmouds Mitstreiter Denis Cuspert geborgen und identifiziert.

Mahmouds Hassparolen auf Twitter kennen keine Grenzen. Er schrieb etwa, „dass es einen von allen Sündigen reinigen wird, wenn man das Blut der Ungläubigen vergießt“. Am Tag nach den „Charlie-Hebdo“-Morden von Paris im Jänner 2015 rief er die „Löwen des Islam“ zum Handeln auf. Die „Brüder in Deutschland“ sollten die Ungläubigen in „einer vollen Einkaufsstraße“ überfahren oder sie „herumschleichend abschlachten“.

Solche Abscheulichkeiten quellen nicht in spontanem Jähzorn aus ihm heraus. Kalkuliertes Morden ist laut der IS-Propaganda die heilige Pflicht eines jeden aufrechten Dschihadisten. Erdacht und entwickelt hat Mohamed Mahmoud all das in einem Gefängnis in Wien.