Luftnot: Wie eine EU-Richtlinie tote Flüchtlinge verhindern könnte
Die Renditen des Geschäfts spotten jeder Beschreibung. Tausende Dollar liefern Flüchtlinge ihren Schleppern ab und bekommen dafür oft nicht mehr als einen Platz in einem Gummiboot, das überfüllt und für die hohe See außerdem völlig untauglich ist. Um das gleiche Geld könnten sie locker Business Class fliegen.
Warum tun sie es nicht? Der Migrationsforscher Bernhard Perchinig arbeitete die gesetzlichen Voraussetzungen durch und stieß auf eine in der aktuellen Debatte völlig vergessene EU-Richtlinie, die in kundigen Kreisen als „Carriers Liability Directive“ bekannt wurde: „Sie hat den Luftraum für Flüchtlinge versperrt“, sagt Perchinig.
Ihre Existenz verdankt die Richtlinie dem Schengenraum, der, nach außen hin gut abgedichtet, im Inneren maximale Bewegungsfreiheit gewährleisten soll. Dass man mit Flugzeugen von außerhalb einfach ins Zentrum fliegen kann, galt es damals zu unterbinden.
Bei ihrer Einführung im Jahr 2001 legten Unhcr, NGOs und Luftlinien den Finger auf einen menschenrechtlich wunden Punkt: Mit der Richtlinie würde Schutzsuchenden im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention der Luftweg versperrt. Es folgte eine notdürftige Reparatur.
Im österreichischen Recht, wo sich die Richtlinie im Paragrafen 112 des Fremdenpolizeigesetzes niederschlägt, heißt es sinngemäß, dass Beförderungsunternehmen, die Menschen ohne gültige Papiere transportieren, zwischen 5000 und 15.000 Euro Strafe zahlen müssen. Im schlimmsten Fall droht die Beschlagnahme des Transportmittels. Von einer Bestrafung sei jedoch abzusehen, wenn die beförderten Menschen am Zielort Asyl oder subsidiären Schutz erhalten.
„Damit hat man die hoheitliche Aufgabe, zu prüfen, wer Flüchtling ist und wer nicht, auf die Fluglinien abgewälzt“, so Perchinig. Italien, Frankreich, Luxemburg und die Niederlande sind laut einer Studie der Flüchtlings-Dachorganisation Ecro bis dato die einzigen Länder, in denen Fluglinien nur belangt werden, wenn Passagiere ohne gültige Dokumente weder Asyl noch subsidiären Schutz erhalten, während Österreich und Deutschland bereits die Beförderung mit Strafe bedrohen.
Dieses Risiko zu tragen, sind Wirtschaftsunternehmen naturgemäß nicht bereit. Dass Flüchtlinge im Meer ertrinken oder in Kastenwägen ersticken und Schlepper wahnwitzige Renditen abschöpfen, könnte Europa nach Perchinigs Meinung ganz einfach verhindern: „Die Staaten müssten nur die Direktive entsprechend anwenden und den Fluglinien sagen, dass sie sich bei bestimmten Personengruppen nicht um das Risiko sorgen müssen.“ Syrische Flüchtlinge etwa erhalten zu 90 Prozent Schutz.
Ein simples Schreiben des Innenministeriums an die AUA etwa könnte dazu führen, dass Flüchtlinge in Beirut oder Istanbul in eine Maschine steigen und nach Wien, Berlin oder Paris fliegen – für einen Bruchteil des Geldes, das sie für eine lebensgefährliche, traumatisierende Schleppung bezahlen müssen.