US-Wahl: Dumpf ist Trump
Das ist der Anfang vom Ende“, titelte die „Huffington Post“ vergangenen Mittwoch. Wieder wird der baldige Absturz von Donald Trump, des rabiaten Immobilien-Moguls und TV-Talkers bei den republikanischen Vorwahlen vorausgesagt. Doch wieder zeichnet sich ab: Auch diesmal sind – um mit Mark Twain zu sprechen – die Nachrichten von Trumps politischem Ableben stark übertrieben.
Dem grotesken, leicht größenwahnsinnigen politischen Außenseiter, den das republikanische Parteiestablishment lieber heute als morgen loswerden will, gelingt, was allgemein für unmöglich gehalten wurde: Er führt bereits seit vier Monaten das Feld der republikanischen Präsidentschaftsanwärter an – mit großem Abstand vor allen anderen. Und kein noch so unmöglicher oder provokanter Sager hat Donald Trump bisher geschadet. Im Gegenteil: Meist haben ihm solche „Ausrutscher“ – seien sie nun rassistisch, frauenfeindlich, zotig-vulgär oder schlicht unsinnig – nur weitere Sympathisanten gebracht. Auch jetzt. Sein anscheinend zustimmendes Schweigen zur Wortmeldung eines Fans, der meinte, Barack Obama sei Muslim und gar kein Amerikaner, hat Trumps Beliebtheit keinen Abbruch getan.
Bisher zumindest.
Was aber steckt hinter diesem für Kenner der amerikanischen Politik so überraschend langanhaltenden Hype um „The Donald“? Welche gesellschaftlichen und politischen Tiefenströmungen haben das Phänomen Trump hervorgebracht?
Der Retter der bedrohten Weißen
Bei der Pressekonferenz, bei der Trump seine Kandidatur bekannt gab, ließ er eine Tirade gegen die illegal im Lande lebenden Lateinamerikaner vom Stapel, bezeichnete diese als Drogendealer und Vergewaltiger und versprach, sowohl eine riesige Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen als auch die elf Millionen ohne Papiere lebenden Latinos stante pede aus dem Land zu werfen. Das war kein Fehlstart, wie viele damals im Juni analysierten, sondern stellte sich im Gegenteil als Kickstart heraus, der ihn gleich an die Spitze der republikanischen Prätendenten-Riege katapultierte. Dass er die Gefahr einer Invasion von Horden aus dem Süden an die Wand malt, ist aus mehreren Gründen bemerkenswert.
Zum einen steht diese Anti-Migrations-Rhetorik quer zur Erkenntnis der Granden der Republikanischen Partei, dass man den Demokraten zumindest einen Teil der Latino-Wähler abspenstig machen muss, wenn ein Republikaner eine Chance haben soll, Präsident zu werden – ihr Kandidat also eine „softe“ Einwanderungspolitik präsentieren muss.
Trump hat im Verlauf der Kampagne seine Position zur Immigration noch verschärft.
Außerdem entspricht das Bedrohungsszenario von den marodierenden Einwanderern, das Trump da zeichnet, in keiner Weise der Wirklichkeit: Die Zahl der unautorisiert im Land lebenden Lateinamerikaner steigt nicht, sie sinkt vielmehr: 2006 waren es noch 12,2 Millionen, voriges Jahr 11,3 Millionen. Auch werden im Land immer weniger Kinder von „Illegalen“ geboren. Bei den ohne Papiere im Land lebenden Ausländern ist zudem die Kriminalitätsrate geringer als bei den Amerikanern insgesamt. Und überhaupt: die Einwanderung aus Lateinamerika hat sich in den vergangenen Jahren stetig verlangsamt.
Trump hat im Verlauf der Kampagne seine Position zur Immigration noch verschärft: Er will das von der Verfassung seit über 159 Jahren garantierte Recht der in den USA geborenen Kinder, automatisch die Staatsbürgerschaft zu erhalten, abschaffen. „Trump hat die Debatte über Einwanderung grundlegend geändert“ bemerkte erst kürzlich der populäre rechte Radio-Talk-Master Rush Limbaugh. In der Tat: Trump stellt eine der Grundüberzeugungen Amerikas infrage: Dass letztlich Migration etwas Gutes sei und die Einwanderer erst das Land groß gemacht haben und es bereichern.
Es ist ja auch kein Zufall, dass sogar George W. Bush, der wohl rechteste Präsident des vergangenen Jahrhunderts, eine Einwanderungsreform vorschlug, die den illegal im Lande lebenden Latinos einen Weg in die Staatsbürgerschaft weisen sollte – am Ende kam er mit dem Vorhaben nicht durch.
Dass dieser neue Einwanderungs-Diskurs, den Trump in die amerikanische Politik einbrachte, auf so starken Widerhall stößt, hängt zweifellos mit den gewaltigen demographischen Veränderungen zusammen.
Evan Osnos schreibt im Intellektuellen-Magazin „New Yorker“: „Trump zieht Amerika in eine Strömung hinein, die es in Europa gibt. Diese findet in den xenophoben, nationalistischen Parteien in den verschiedenen Ländern Europas ihren Ausdruck, die seit der Krise 2008 die Parteien der Mitte belagern.“
Dass dieser neue Einwanderungs-Diskurs, den Trump in die amerikanische Politik einbrachte, auf so starken Widerhall stößt, hängt zweifellos mit den gewaltigen demographischen Veränderungen zusammen. Noch vor zwei Jahrzehnten waren die Hispanics eine kleine Minderheit. Heute ist jeder sechste Amerikaner ein Latino. In der Mitte des Jahrhunderts werden sie ein Viertel der US-Bürger ausmachen. Und der Anteil der Amerikaner mit asiatischem Background wächst in gleichem Tempo.
Dass die „weißen“ Amerikaner in absehbarer Zeit eine Minderheit sein werden, schockiert offenbar gerade jene Schichten, die sich für Trump begeistern: die eher älteren, weißen, minder Ausgebildeten und schlecht Bezahlten, die sich vom gesellschaftlichen Wandel insgesamt frustriert und bedroht fühlen und nun die Schuld an ihrer Misere den „dunklen“, vermeintlich gefährlichen Einwanderern geben.
Es ist auch kein Wunder, dass, wie Evan Osnos detailliert darlegt, der politisierende Immobilien-Unternehmer gerade auch von den rechten Rassisten-Vereinen, von den Anhängern der Ideologie der „Überlegenheit der Weißen“, verehrt wird. Der Nobelpreisträger Paul Krugman nennt Trump einen „rabiaten, großsprecherischen Rassisten“.
Eine Revanche für den gesellschaftlichen Fortschritt
Ausgerechnet der viel gesehene rechte Fernsehsender Fox versuchte „The Donald“ vorzuführen. Die Moderatorin Megyn Kelly begann bei der ersten Debatte der republikanischen Primaries Anfang Juli eine Frage an Trump folgendermaßen: „Sie haben Frauen, die Sie nicht mögen, ‚fette Säue‘, ‚Hündinnen‘, ‚Schlampen‘ und ‚widerliche Tiere‘ genannt …“ Nach einem kleinen Geplänkel erklärte Trump: „Ich glaube, eines der großen Probleme, das dieses Land hat, besteht darin, politisch korrekt zu sein. Und ehrlich gesagt: Ich habe nicht die Zeit für totale politische Korrektheit. Und dieses Land auch nicht.“
Endlich sagt einer, was er sich denkt, und lässt sich nicht von den Gutmenschen und den heuchlerischen Politikern tugend-terrorisieren. So oder ähnlich lautete die Interpretation dieser Szene durch seine Anhänger. Und unmittelbar nach diesem Auftritt Trumps bog sich seine Popularitätskurve weiter nach oben.
Nun mag auch so manch aufgeklärter US-Bürger genervt sein von puritanisch- autoritären Sprachverordnungen und Tabuisierungen fortschrittlicher Pressure-Groups. Was aber Trump meinte und was ihm Applaus einbrachte, geht weit darüber hinaus. Da steht „Political Correctness“ als Code für jenen Bewusstseinswandel, der in den USA in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten stattgefunden hat. Und der ist gewaltig. Die amerikanische Gesellschaft hat sich radikal liberalisiert. Was die Haltung zu Schwulen und Lesben betrifft, hat eine veritable Revolution stattgefunden. Feministisches Denken hat die gesellschaftliche Mitte erreicht. Frauenfeindlichkeit ist geächtet. Und trotz des strukturellen Rassismus’ bei der Polizei, im Justizwesen und im Strafvollzug – etwas, was gerade in letzter Zeit so klar zutage tritt – zeigen alle Umfragen: Seit Ende der 1990er-Jahre erlebt Amerika einen geradezu atemberaubenden Rückgang von Vorurteilen gegenüber Schwarzen und anderen Minderheiten. Besonders bei den Jungen. Nicht zuletzt die zweifache Wahl Obamas zeigt auch, wie sehr sich im Bereich der Einstellungen die Gesellschaft verändert hat.
Der „Trumpismus“ ist in diesem Kontext ein Rückzugsgefecht von Schichten, die diesen Wandel nicht mitmachen können oder wollen und mit Feindseligkeit und Ressentiment auf den emanzipatorischen Fortschritt reagieren. Deshalb ist für sie Trumps vehementer Angriff auf die „Political Correctness“ so attraktiv.
Die Wut auf die „energielosen Idioten“
Politikverdrossenheit, Verlust des Vertrauens in die Institutionen und Verachtung der Politiker: Das kennt Europa seit Langem. In Amerika ist dies ein eher rezentes Phänomen. Der Irak-Krieger George W. Bush konnte bis zur Mitte der Nuller-Jahre noch als Held gefeiert werden, und Obama konnte zumindest bei seiner ersten Wahl einen großen Teil der Bevölkerung begeistern und hoffnungsfroh in die Zukunft blicken lassen.
Heute ist Amerika desillusioniert. Nur noch knapp die Hälfte glaubt an den amerikanischen Traum, dass das Land „voll von Gelegenheiten“ sei, die es nur zu ergreifen gelte. Das Vertrauen in den Staat hat einen historischen Tiefpunkt erreicht. Und die zwei politischen Parteien, die Republikaner und die Demokraten, sind unten durch: Die Zustimmung zu beiden ist erstmals unter 40 Prozent gefallen.
Vor allem die Middle Class und die Unterschichten müssen feststellen: Auch die Erholung der US-Ökonomie hat ihnen nichts gebracht.
Kein Wunder: Das politische System zeigt sich mehr denn je als dysfunktional. Vor allem durch den radikalen Rechtsschwenk der Republikaner in den vergangenen Jahren ist die Politik weitgehend polarisiert und blockiert.
Die Leute haben das Gefühl, dass „nichts weitergeht“. Vor allem die Middle Class und die Unterschichten müssen feststellen: Auch die Erholung der US-Ökonomie hat ihnen nichts gebracht. Zwar ist die Arbeitslosigkeit gesunken, aber die Löhne, die bereits seit über einem Dritteljahrhundert stagnieren, wenn nicht sogar fallen, steigen auch jetzt, da die amerikanische Wirtschaft wieder wächst, nicht wieder an. Der Glaube, dass man es sich je, auch mit härtester Arbeit, einmal verbessern können wird, ist verschwunden.
Vor diesem Hintergrund ist der Enthusiasmus zu verstehen, auf den Trumps Politiker-Beschimpfungen stoßen. Wenn er diese in vulgärsten Tönen als „Idioten“ hinstellt, die sich dauernd über den Tisch ziehen lassen, als unfähige „Energielose“, die nichts zustande bringen, und als Weicheier, die auf der Welt systematisch „Amerikas Größe“ verspielen, kann er sich der breiten Zustimmung sicher sein – auch von vielen, die sonst wenig Sympathien für ihn hegen.
Das Erbe der Südstaaten-Demokraten
Das Paradoxon schlechthin: Der Milliardär Trump in seiner Rolle als Kämpfer gegen den Einfluss des Geldes in der Politik. Seine Volte ist beeindruckend. „Ich war ein Geschäftsmann“, sagte er in der großen Debatte am 6. August: „Und ich gebe jedem Geld, der anruft. Und wisst Ihr was? Wenn ich etwas von ihnen will, zwei, drei Jahre später, rufe ich sie an, und dann sind sie für mich da.“ So läuft es, sagt er bei allen seinen Wahlkampfauftritten. Die Politiker – Demokraten wie Republikaner – seien von den Superreichen gekauft und somit deren Hampelmänner. Nur er selbst werde nicht vom großen Geld, von Big Business und der Wall Street kontrolliert. Denn er habe sein eigenes, das – so behauptet er angeberisch – sich auf über zehn Milliarden Dollar belaufe. Tatsächlich wird angenommen, dass er weit weniger besitzt.
Wer so spricht, könne kein echter Republikaner sein, mutmaßen nun seine Gegenspieler im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur. Und in der Tat: In vielen Polit-Bereichen klingt er nicht wie sie. Sie sind in ihrer Mehrheit für Freihandel, er ist Protektionist – er will für chinesische Waren Zölle von 25 Prozent einheben und amerikanische Auslandsinvestitionen mit Strafzahlungen belegen. Sie wollen die Sozialversicherung privatisieren und Gesundheitsprogramme wie Medicare und Medicaid zusammenstreichen, er geriert sich als Schutzherr der staatlichen Sozialleistungen. Sie wollen prinzipiell die Steuern senken – besonders jene der Reichen. Er denkt daran, die Manager von Hedgefonds zur Kasse zu bitten.
Zieht man aber Trumps Clownerien und sein erratisches Verhalten ab, so bewegt er sich doch in einer amerikanischen Polit-Tradition.
Gerade diese Trump’sche Kombination von krudem Rassismus und reaktionärer Ideologie auf der einen Seite, und sozialpolitischen Vorstellungen, die eher zur Demokratischen Partei passen würden, auf der anderen, hat offenbar in diesen Tagen Appeal. Es sieht jedenfalls so aus, als ob die republikanische Basis nicht nur für eine weiße Identitätspolitik ansprechbar wäre, sondern gleichzeitig von den führenden Personen in „ihrer“ Partei und deren marktradikaler, staatsfeindlicher und reichenfreundlicher Ideologie genug hätten.
Der Milliardär-Populist Trump erscheint seltsam unpassend im Zweiparteiensystem, wie es sich heute darstellt. Zieht man aber seine Clownerien und sein erratisches Verhalten ab, so bewegt er sich doch in einer amerikanischen Polit-Tradition. Der US-Publizist Ian Millhiser sieht Trump als Erben der Südstaaten-Demokraten der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, die in der New-Deal-Politik des Präsidenten Franklin D. Roosevelt sozialisiert wurden, aber gleichzeitig wüste Rassisten und Feinde der Bürgerrechtsbewegung waren. Ihr prominentester Vertreter war wohl George Wallace, der langjährige Gouverneur von Alabama. Auch er wollte US-Präsident werden: 1964 als Demokrat und 1968 als unabhängiger Kandidat. Er scheiterte beide Male.