Alarmstufe Kot

Chaos, Kot und Katzen: Besuch bei Künstler Cornelius Kolig

Reportage. Chaos, Kot und Katzen: Besuch bei Künstler Cornelius Kolig

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Ins Paradies kommt nur, wer die Geheimzahl kennt. An einem nebligen Tag im Oktober dreht Cornelius Kolig an den Ringen eines Fahrradschlosses. Das schwarz ummantelte Stahlseil schließt die Tore eines weitläufigen, von mannshohen Mauern umgrenzten Areals. Die vier Zahlen rasten klickend ein. 1-9-4-2. Der Weg ins "Paradies“ ist frei.

Paradies
Kolig stapft in Plastikschlapfen durchs Gras, ein bedächtig dahinschreitender Mann in Grau: dunkelgraue Cordhose, weißgraue Sturmfrisur, der Kopf sitzt fest zwischen den Schultern, runder Rücken, die dunkelgraue Jacke mit dem flauschigen Stoff wirkt eine Nummer zu groß, wie die Uniform eines Museumswärters.

"Paradies“ nennt der Künstler den knapp fußballplatzgroßen Grund im südkärntnerischen Dorf Vorderberg, der für Kolig Arbeitsplatz, Museum und Archiv zugleich ist. Jeder Cent, den er mit seiner Kunst verdient hat, ist hierher zurückgeflossen; seit 1979 plant, baut und betreibt er seine Kunstkuriositätenkammer unter freiem Himmel, unermüdlich, bis heute. Es gibt auf dem labyrinthischen Gelände zahllose Gebäude mit Namen wie "Linke Niere“, "Rechte Niere“, "Kuhstall“, "Saustall“, "Sixtina“, "Refugium“, "Pantheon“ - bis zum Plafond mit Kunst vollgestopfte Hallen mit großen Metallschiebetüren, die beim Öffnen laut scheppern. Katzen schleichen umher, 30 Stück zählte Kolig kürzlich. Er hat ihnen zahllose Quartiere für den Sommer und den Winter auf dem Gelände eingerichtet. Als Koligs Mutter noch lebte, fuhr sie, wollte sie ihren Sohn sehen, mit dem Auto vor und hupte. Sie hatte im Vorderberger Irrgarten die Orientierung verloren.


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Museumsführer, Künstler
Er spricht mit heiserer, rauer Stimme, fast wirkt es so, als wundere er sich selbst am meisten über das Kunstrevier, das da in den vergangenen Jahrzehnten aus dem Boden gewachsen ist. Kolig scheint über Kolig zu staunen, der Museumsführer über den Künstler. Kürzlich war im "Paradies“ eine Maturaklasse aus Graz zu Besuch. Zwei Schüler wollten wissen, wer denn die Maler und Bildhauer seien, die hier ausstellten. Cornelius Kolig versteckt sich gern hinter einer Maske der Distanziertheit, die ihn vor zu großer Offenheit gegenüber Fremden bewahrt. Er lässt sich nicht gern in die Karten blicken. "Die Schüler waren erstaunt, als ich ihnen sagte, all das habe nur einer gemacht“, sagt Kolig mit hörbarem Stolz in der Stimme. Eines der vielen Bücher über Kolig heißt "An den Klon“. Es spielt mit der Idee, dass einer allein das "Paradies“ nie hätte kultivieren können.

Hunderte von unverkäuflichen Objekten sind hier zum Gesamtkunstwerk arrangiert, zu einer Dauerschau mit zweckgebundenem Charakter: Kolig legt viel Wert darauf, dass jedes Ausstellungsstück benutzbar und unmittelbar erfahrbar bleibt. Das Buch "Das Paradies“, nach jahrelanger Sammelarbeit soeben erschienen, stellt so etwas wie den letzten Baustein von Koligs runderneuertem "Paradies“-Projekt dar, das 2003 durch ein Hochwasser zu weiten Teilen verwüstet worden war. "Die Bedienungsanleitung“, so nennt er das Buch im Untertitel.

Vorderberg will sich mit dem Projekt noch immer nicht anfreunden. Kolig wurde 1942 in einem Gehöft nahe dem heutigen "Paradies“-Bezirk geboren, in Sichtweite der Dorfkirche, die durch wiederkehrende Überschwemmungen längst unter Niveau gesunken ist. An einer Stelle der Ummauerung von Koligs Kunstgarten findet sich ein Guckloch mit Blick auf einen Betonblock, darauf die Inschrift "Verweilen statt verreisen“. Kolig will so lange im Kärntner Gailtal bleiben, bis man es der Gegend ansieht.

FPÖ-Gebiet
Vorderberg, knapp über 360 Einwohner und wenige Kilometer von der italienischen Grenze entfernt, im Schatten des 2000 Meter hohen Oisternigs gelegen, ist ein Ort, in dem am Wochenende Rasenmäher lärmen und Kreissägen kreischen. Brennholzeinlagerung. Das Schreien der Schweine, die auf den Höfen oder in den Waschküchen geschlachtet werden, gellt über Grundstücksgrenzen hinweg. Es zirkulieren Geschichten, die von Kirtagen handeln, bei denen der Tanzboden zur Prügelzone wurde, von Gendarmen, die zum Gaudium eingesperrt wurden. Viele Nachbarn sind bis heute in unerbittliche Rechtsstreitigkeiten verwickelt. Es führt keine Bundesstraße nach Vorderberg, es gibt keinen Pfarrer, der Weiler ist traditionell FPÖ-Gebiet, die Großgemeinde St. Stefan, in die Vorderberg politisch eingegliedert ist, wählte bei der letzten Nationalratswahl mehrheitlich sozialdemokratisch. Es gibt einige Pendler, wenige Nebenerwerbsbauern und viele Ruheständler. Ins "Paradies“ am westlichen Ortsrand wagen sich die wenigsten. Einmal rief die Lokalzeitung irrtümlich einen "Tag der offenen Tür“ im "Paradies“ aus. Etliche Dörfler machten sich auf den Weg, im Sonntagsgewand und neugierig, was wohl hinter der Mauer steckte. "Sie kamen in Gruppen, nie allein“, erinnert sich Kolig. "Viele wollten sehen, was es da für Schweinereien gibt.“

Sex, Tod, Geburt, Blut
Kolig arbeitet sich seit Jahrzehnten an den immer gleichen Themen und Materialien ab, er hat vor langer Zeit beschlossen, Tabufelder zu beackern, von denen viele nicht mehr so tabuisiert sind: Sex, Tod, Geburt, Blut. Etwas anders sieht es bei Kot und Urin aus. Es geht ihm auf den ersten Blick um die Manifestation eines poetischen Aperçus von Konrad Bayer und Gerhard Rühm: "scheißen und brunzen sind kunsten.“ Kolig ist an flüchtigen Phänomenen nur wenig interessiert, er widmet sich Dingen, die immer Gültigkeit haben werden: Sein, Sterben, Stoffwechsel.

Kot und Urin
Das Motto seines "Paradieses“ hat er in eine Metalltafel gestanzt, die an einem Spannseil zwischen zwei Aluminiumkonstruktionen, "Hochzeitstürme“ genannt, im Westwind hängt. "INTER FAECES ET URINAM NASCIMUR“ steht auf der Tafel, die das Areal überragt, ein Wort des heiligen Augustinus. Zwischen Kot und Urin werden wir geboren. "MORIMURQUE“, hat Kolig das Zitat ergänzt. Und sterben wir. Cornelius Kolig ist sein eigener Planet, das "Paradies“ seine Kunstumlaufbahn, sein Faible das Spiel mit Anstößigem. Viele Objekte, Gegenstände und Apparate im "Paradies“ erzählen davon.

Helle Girlanden auf dunklem Asphal
Kolig archivierte die Kotkügelchen von Susi, dem frei umherlaufenden Schaf eines seiner Nachbarn. Auf zahllosen Fotos dokumentierte er das Pinkeln seines fußlahmen Hundes Samson, helle Girlanden auf dunklem Asphalt. Er baute eine Küchenmaschine, mit der sich Teig in Fäkalform frittieren lässt, und eine Vorrichtung, die Kunststoff und Leuchtpigmente mischte. Im Wohnhaus von Koligs Mutter schimmerten in der Nacht an den Wänden einst Neon-Kotkringel in Grellgelb und Giftgrün. In der sogenannten "Krümmerei“ lassen sich menschliche Darmabfälle zu Kunst à la Kolig formen, mit einer anderen Apparatur kann man Durchfall in kreisrunde Gebilde drehen: Man nehme, sagt Kolig im Ton eines kuriosen Küchenmeisters, der ein Rezept erklärt, die Ausscheidung, fertige eine Negativform, gieße diese mit flüssigem Aluminium aus, lasse das Ganze ein halbes Jahr lang ruhen, klopfe die pulverisierten Exkremente aus, vergolde das Objekt. Fertig ist die Kot-Krone. 1992 gestaltete er eine umstrittene Ausstellung im Klagenfurter Künstlerhaus, bei der er Zimt im Wert von 50.000 Schilling auf drei Meter hohe Paneele stäubte. Darauf montierte er goldene Scheißhaufenimitate.

Lebenswerk
Eine Anekdote ist für eine der architektonischen Landmarken des "Paradieses“ verantwortlich: Nachdem in der Nähe von Villach der Pfarrer einer Bergkirche verstorben war, wollte dessen Nachfolger das Plumpsklo im Pfarrhaus durch ein Wasserklosett ersetzen lassen. Bei den Bauarbeiten kam eine vertrocknete Stoffwechselsäule zutage, die vom Erdgeschoss bis in den ersten Stock reichte. "Für mich der Inbegriff eines Lebenswerks, das niemandem schadet“, sagt Kolig. Nachdem er davon erfahren hatte, musste er aktiv werden. Er klotzte einen auch bei schlechtem Wetter silbrig glänzenden Turm ins "Paradies“, der Koligs Kot von der Geburt bis zum Tod sammeln sollte - ein vergoldeter Kegelstumpf, gute zwei Meter hoch, simuliert jenen Zeitraum, den Kolig klotechnisch bereits andernorts zugebracht hatte. "Theoretisch muss ich den Rest meines Lebens hier aufs Klo gehen. Dieses Lebenswerk aber wird unvollendet bleiben. Es ist zu umständlich, die Leiter rauf und runter zu steigen.“ Im Sommer stören Wespen und Hornissen. Im Winter sind die Leiterstufen spiegelglatt.

„Ich würde so etwas auch nicht kaufen”
Manchmal spricht Cornelius Kolig zu erschöpfend vom Koten und Urinieren. Es ist dann gar nicht so einfach, den Klassiker der heimischen Avantgardekunst vom Kotkunstkauz aus Vorderberg zu unterscheiden. Kolig selbst rettet sich in die Ironie. "Die Leute denken bis heute, der Kolig vergolde seine Scheiße“, lacht er. "In meinem ganzen Leben habe ich ein einziges Echtkotbild und keinen einzigen Metallguss in Echtkotform verkauft.“ Er überlegt kurz, er fällt für einen Augenblick aus der Rolle des Museumsführers. "Ich würde so etwas auch nicht kaufen. Ich habe dafür volles Verständnis.“ Im pragmatischen Ton des Künstlers sagt er dann wieder: "Meine Arbeiten erregen den Zorn und das Unverständnis des Publikums, bis heute.“ Er zeigt auf Glasvitrinen mit künstlichen Kothaufen und chronologisch angeordneten Wischblättern. "Erschaffung der Welt“ nennt er das Werk keck. Noch 2009, als ihm in Klosterneuburg eine Personale gewidmet wurde, warnte eine Tafel beim Eingang: "Diese Ausstellung könnte Ihr moralisches Empfinden verletzen. Entscheiden Sie daher selbst, ob Sie diese Ausstellung besichtigen möchten.“ Der Käufer des Echtkotbilds, sagt Kolig auf dem Weg ins Archiv, habe das Stoffwechselstillleben übrigens nach einem halben Jahr verlegen retourniert.

„Fäkalkünstler”
Das "Paradies“-Archiv ist eine Wand in einem mit hellbraunem Holztäfer ausgekleideten Raum, gesäumt von silbrig-hellen Metallspinden. "Edelobst aus der Steiermark“ steht auf der Kartonkiste, die mit Gerichtsakten und Zeitungsartikeln randvoll ist, dazu viele Fotos von Jörg Haider, dem vor fünf Jahren verstorbenen Virtuosen des obszönen politischen Zündelns. Es ist die Dokumentation einer Künstlerhetze, der größten in der Geschichte der Zweiten Republik, wie es auf einer vergilbten Zeitungsseite aus der Kiste heißt. Der Sitzungssaal im Klagenfurter Landhaus wurde um 1930 von Koligs Großvater Anton und dessen Studenten ausgemalt, die Fresken von den Nazis 1938 abgeschlagen. 1998 erhielt Antons Enkel Cornelius den Auftrag, den "Kolig-Saal“ neu zu gestalten, worauf eine beispiellose Kampagne gegen den Künstler und das Projekt einsetzte, mit Bombendrohungen, Diffamierungen, Unterschriftenaktionen, großformatigen Zeitungsanzeigen. Jörg Haider erklärte Kolig, Seite an Seite mit der Kärntner Regionalausgabe der "Kronen Zeitung“, zum "Fäkalkünstler“, wochenlang wütete das Blatt: "Kultur-Skandal in Kärnten stoppen!“ - "Steuergeld für Fäkalkunst!“ - "Kolig-Skandal!“

Ende September 1998 wurde der Saal schließlich fertiggestellt, die Angriffe auf Kolig dauerten dennoch noch Monate fort. Während des Hochwassers 2003 stand Jörg Haider Ende August an einem Samstagmorgen um neun Uhr auf der Brücke bei der Vorderberger Kirche. Kolig, dessen ans "Paradies“ angrenzendes Wohnhaus eineinhalb Meter hoch von brackigem Wasser verschlammt und dessen Kunstzone verwüstet worden war, befand sich auf dem Weg zur Feuerwehr, als er Haider auf der Brücke in die Arme lief. Haider war gekommen, um den Überschwemmungsopfern die 1000-Euro-Landeshilfe in die Hände zu drücken. Kolig schüttelte er nur kurz die Hand.

"Kärnten bläht auf.“
2006 wären sich Politiker und Künstler fast ein zweites Mal begegnet. Damals wurde Kolig der Große Kulturpreis des Landes Kärnten verliehen. Kolig erschien vorsorglich mit einer Gerätschaft, einem adaptierten Rollator mit Kunsthänden und Greifzangen, die eine distanzierte Entgegennahme des Preises ermöglicht hätte. Haider blieb der Feier fern, das Objekt zum Politiker-Fernhalten steht heute in einem Depot des "Paradieses“, nicht weit vom "Blauen Schas“, politischer Kolig-Kunst: Ein CD-Player pumpt Darmgeräusche auf eine Membrane in einem Glaswürfel mit ultramarineblauem, giftigem Feinstaub. Haider hatte damals das Land mit "Kärnten blüht auf“-Plakaten zukleistern lassen. Kolig konterte: "Kärnten bläht auf.“

Aus der institutionalisierten Kunstwelt hat sich Cornelius Kolig längst zurückgezogen. Öffentliche Aufträge nimmt er nicht mehr an, er will keine Angriffsfläche mehr bieten. Er kümmert sich lieber um einen Platz in seinem irdischen Arkadien. Laut Sondergenehmigung der Gemeinde darf sich seine Familie im "Paradies“ bestatten lassen. Wo genau seine Asche einst ruhen wird, will er nicht sagen. Er schwankt zwischen Katzenquartier und Bienenhaus. "Im Katzenhaus wäre es warm und lebendig. Das Bienenhaus ist leider nicht geeignet, weil ich erst kürzlich feststellen musste, dass ich auf Stiche allergisch reagiere.“ Schade, sagt Kolig. Scheiße.

Cornelius Kolig: Das Paradies. Die Bedienungsanleitung. Ritter. 904 S., EUR 50,-