Lokalaugenschein

Warum ein verfallenes Haus der Stadt Wien gerade besetzt wird

Letzten Oktober berichtete profil über einen sanierungsbedürftigen Altbau der Stadt Wien, in dem kaum noch Menschen wohnen. Jetzt wird das Haus besetzt.
Eva  Sager

Von Eva Sager

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Für gute Laune sollen vier randvolle Schüsseln mit Mohnnudeln sorgen. Die stehen auf einem kleinen Holztisch, zusammen mit mehreren Gläsern Clever-Weichselkompott. Es gibt Tee, Biskuitrouladen und „Soli-Gemüse“, das ein besetzter Acker in Niederösterreich zur Unterstützung geschickt hat. Einige Menschen, die sich vor der Harmoniegasse 10 im neunten Wiener Gemeindebezirk versammelt haben, kauen zufrieden auf einem Salatblatt herum. Das Wetter ist nicht gut, aber auch nicht schlecht: Montagmittag, zehn Grad, Wolken, die Polizei ist da. Die Hausbesetzer:innen haben zum Runden Tisch geladen; Nachbar:innen, Interessierte, Medien und Politik sollen kommen und nachdenken, wie man mit dem Leerstand in der Harmoniegasse 10 zukünftig verfahren möchte. Dafür stehen mehrere Bierbankgarnituren auf der Straße, vereinzelte Gartensessel, sogar ein rotes Samtsofa. An den Fenstern wurden Plakate angebracht, auf denen alle ihre Ideen und Wünsche in Bezug auf die derzeitige Wohnpolitik festhalten können, aus einem Fenster im ersten Stock, fast genau darüber, hängt ein Banner: „Besetzt“. Herz, Blume, N mit Pfeil, das Zeichen der Hausbesetzer:innenbewegung. 

„Soli-Salat“ aus Lichtenwörth

Bei Wiener Neustadt besetzen Klimaaktivist:innen Felder, die einer Straße weichen sollen. Unterstützung kommt von örtlichen Landwirten. profil war im Februar vor Ort. 

Seit der vergangenen Woche hat das Otto Wagner-Haus der Dr. Eduard Kaufmann'sche Armenstiftung in der Harmoniegasse neue Bewohner:innen. Und die Stadt Wien damit ein kleines Problem. Schließlich ist die Magistratsabteilung 40 für die Vertretung eben jener Stiftung verantwortlich, und damit für das Gebäude. Nur steht jenes seit geraumer Zeit aber so gut wie leer. Lediglich drei der insgesamt 16 Wohnungen sind bewohnt, der Rest mit großen, goldenen Schlössern von außen abgesperrt. Die Harmoniegasse 10 ist „sanierungsbedürftig“ – so nannte es die Magistratsabteilung 40 letztes Jahr auf profil-Nachfrage. „Sanierungsbedürftig“ bedeutet in diesem Fall: Löcher unter den Fensterrahmen, angeschwärzte Tapeten, verdreckte Klos am Flur, in einem nistet derzeit sogar eine Taube.

Neu ist das alles nicht. Schon 2005 wurde die Dr. Eduard Kaufmann'sche Armenstiftung in einem Bericht des Wiener Stadtrechnungshofs aufgelistet – sie war eine von elf Stiftungen, „deren finanzielle Situation in den Jahren 2000 bis 2004 keinerlei Zuwendungen zuließ.“ Der Stiftungszweck, Fürsorge für Armutsbetroffene, konnte dementsprechend nicht erfüllt werden. profil berichtete im Oktober 2023 ausführlich über das sanierungsbedürftige Haus, seine leeren Wohnungen und die Frage, wer sich darum kümmern soll. „Derzeit wird die bestmögliche Verwertung der Liegenschaft der Stiftung im Sinne der sozialen Nachhaltigkeit eruiert, um den Stiftungszweck zu erfüllen”, erklärte die Magistratsabteilung 40 damals. Das gilt auch heute noch. Man bereite sich gerade auf die Ausschreibung eines Baurechtsverfahren vor.  

Für die Hausbesetzer:innen der Harmoniegasse 10 geht das offenbar alles zu langsam: „Wenn die Stadt Wien und die Stiftung nichts gegen den Leerstand unternehmen, dann unternehmen wir selbst etwas dagegen.” Um die 20 Personen haben sich in den leeren Wohnungen mittlerweile eingerichtet. Am Boden liegen Matratzen, vereinzelte Bücher und Feuerzeuge. Über die letzten Jahre sind die Fenster der unbewohnten Wohneinheiten derart verstaubt, dass man kaum noch auf die Straße hinausschauen kann und der alte Holzboden knarrt und keucht unter einem, als hätte er vergessen, wie es ist, wenn Menschen über ihn laufen. „Wir haben Strom und Wasser, das muss aber zehn Minuten laufen, bis man es verwenden kann. Eine Mieterin hat uns gesagt, dass hier noch Bleirohre verbaut sind“, sagt eine der Aktivist:innen. Die Magistratsabteilung 40 erklärt auf profil-Anfrage, dass ihnen dahingehend keine Beschwerden bekannt seien.

Eben jene Nachbarin freut sich über die Neu-Zugezogenen: „Es ist schön, wenn man im Haus wieder Menschen hört. Dann fühlt man sich weniger allein.“ Die Situation rund um die Harmoniegasse frustriert sie schon lange: „Ich habe das Gefühl, man will uns hier rausekeln oder wartet, dass wir langsam heraussterben.“ Der Besitzer des usbekischen Restaurants „Ikat“ im Erdgeschoss teilt diese Einschätzung. Auch er ist heute zum Runden Tisch gekommen, steht vor seinem Lokal, neben der Menükarte hängt ein Flyer: „Lets talk about Harmonie 10“. Morgen wird das „Ikat“ geräumt. „Wir wären gerne geblieben, aber es gab kein Entgegenkommen. Man wollte, dass wir gehen.“ Die Magistratsabteilung 40 sagt dazu: „Über einen längeren Zeitraum wurden keine Mietzahlungen geleistet, der Betreiber ist insolvent. Es handelt sich um einen Zufall, dass die Räumung und die Besetzung zeitlich zusammenfallen.“ 

Generell teilte man den Aktivist:innen via Mail mit, „im Sinne ihrer eigenen Sicherheit als auch im Sinne der Rechtswidrigkeit ihres Aufenthalts“ schleunigst wieder auszuziehen. „Vergangenen Freitag haben wir die Besetzer:innen ersucht, die betreffende Liegenschaft zu verlassen. Weitere rechtliche Schritte sind noch nicht finalisiert“, so die Magistratsabteilung 40 gegenüber profil.

Nach zwei Stunden sind die Schüsseln mit den Mohnnudeln fast leer. „Soli-Gemüse“ vom besetzten Acker gibt es noch genug. Auf einem Flyer der Hausbesetzer:innen stehen erste Ideen, was man mit der Harmoniegasse 10 vorhat: „Ein Grätzcafé? – Ein Ort um sich selbstorganisiert und außerhalb der Konsumlogik zu beteiligen; vielleicht ein Nachbarschaftsfest ab und an? Offene Fahrrad Reparaturworkshops? Eine Küche für alle, aus all den wertvollen Lebensmitteln, die ständig im Müll landen?“ Den Salat dafür hat man jedenfalls schon.

Eva  Sager

Eva Sager

seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.