Wohnen in Berlin: Das Ende der Party
Der Tresen war bereits abmontiert. Gezapftes Bier gab es keines mehr. In die Partystimmung mischte sich Wehmut und auch eine Prise Spott. Vergangenes Silvester hatte das „Freie Neukölln“ in der Weserstraße das letzte Mal geöffnet. Bereits Monate vorher hatte der Gründer der Kneipe das Ende dramatisch angekündigt: Das sei nicht mehr sein Berlin, er könne sich den Kiez - wie Grätzl hier heißt - „schon lange“ nicht mehr leisten. Und nun werde auch noch der Mietvertrag für die Kneipe nicht mehr verlängert, sagte er in der „Berliner Zeitung“. Der Eigentümer, eine Gmbh in London, wolle außerdem erst gar nicht mit ihm sprechen.
Im Freien Neukölln klebten Sticker „pro Asyl“ und „gegen Internet-Überwachung“. Die Einrichtung war rustikal, das Bier kam aus kleinen Brauereien, die Preise waren moderat. Die Kellner gaben bulgarischen Straßenmusikern ein Glas aus. So hätte es vielleicht ewig weitergehen können. Aber das Viertel hatte sich geändert - woran allerdings auch das Freie Neukölln nicht ganz unbeteiligt war.
„Deutliches Zeichen, dass das Viertel kippt“
Vor fast zehn Jahren hatte es als erste „alternative“ Kneipe im Kiez geöffnet, in einem Bezirk mit miserablem Ruf. Im restlichen Deutschland wurde durchaus vor dem Stadtteil Neukölln gewarnt mit all seinen Arbeitslosen, Migranten, Junkies, Dealern und Mafia-Gangs.
Nach dem Freien Neukölln sperrten weitere Kneipen für das alternative und hippe Publikum auf. Zugleich zogen nach und nach mehr Leute in das Viertel, das noch den Charme des Improvisierten hatte. Innenstadtbezirke wie Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg wurden ihnen zu teuer oder zu langweilig.
Heute reiht sich in der Weserstraße eine Bar an die andere. Buchhandlungen wurden eröffnet, Galerien, Platten- und Fahrradläden. Die meisten werden von jungen Leuten betrieben. Aber auch große indische Restaurants, besucht vor allem von Touristen, sind nun hier - ein „deutliches Zeichen, dass das Viertel kippt“, wie der Korrespondentenkollege aus Dublin meint.
Noch regiert hier nicht das große Geld
So weit ist es allerdings noch nicht. Das Ufer am Kanal mit seinen schönen Bäumen ist nach wie vor ein ziemlich verdrecktes Kleinod: alle paar Meter ein Hundehaufen, dazwischen kaputte Matratzen, Fernseher und Kühlschränke. Besorgte zugezogene Eltern, die „an sich“ die „Mischung“ aus Hipstern, jungen Familien, Migranten und Ur-Neuköllnern lieben, schicken ihre Kinder nicht in Neuköllner Schulen. Sie melden die Kleinen lieber in Einrichtungen anderer Bezirke an mit mehr deutschen Muttersprachlern und weniger Problemschülern.
Noch regiert hier also nicht das große Geld - auch wenn die Mieten wie fast überall in Berlin stetig und kräftig steigen. In der Hauptstadt gibt es zu wenig Wohnungen. Jährlich ziehen 40.000 Menschen nach Berlin. Vom Mieterverein heißt es, Personen mit schlechten Deutschkenntnissen und erkennbarem Migrationshintergrund hätten es heute schwerer, im Zentrum - und selbst in Neukölln mit seiner großen arabisch- und türkischstämmigen Bevölkerung - eine Wohnung zu finden. Freunde, die bereits länger im Viertel wohnen und entsprechend gute Mietverträge haben, berichten immer wieder von Schikanen der Hausverwaltungen, die sie zum Auszug bewegen sollen. Und ob die jüngst eingeführte, viel kritisierte „Mietpreisbremse“ bei Neuvermietungen wirkt, ist noch nicht absehbar.