Ausschlussverfahren

Affäre. Im Ausschreibungskrieg um ein IT-System im AMS gerät das Bundesvergabeamt zwischen die Fronten

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Die Rechnung ist ebenso simpel wie theoretisch: Wäre alles so gelaufen, wie es sich das Arbeitsmarktservice Österreich (AMS) vorgestellt hat, hätte es monatlich bis zu zwei Millionen Euro und damit seit August 2010 immerhin 24 Millionen einsparen können. Doch eigentlich war klar, dass die Sache nicht reibungslos über die Bühne gehen würde.

Nicht bei einem Auftragswert in dreistelliger Millionenhöhe.

Die Ausschreibung des AMS für ein neues IT-System wuchs sich binnen zweieinhalb Jahren zu einem Stellungskrieg aus, in welchem nun auch der zuständige Schiedsrichter, das Bundesvergabeamt (BVA), zwischen die Fronten gerät. Denn seit dort einem Senat der Fall entzogen und einem neuen zugeteilt wurde, läuft alles wie am Schnürchen - in Richtung jenes Unternehmens, welches das AMS von Anfang an im Auge hatte. Die unterlegenen Mitbewerber fahren nun weitere Geschütze auf: Eine Klage beim Verfassungsgerichtshof ist anhängig.

Es ist der bisherige Höhepunkt in einem Vergabeverfahren, in dem bisher sämtliche verfügbaren juristischen Mittel ausgeschöpft und alle denkbaren Einsprüche verwertet wurden.

Die Geschichte nahm ihren Anfang im Dezember 2008. Das AMS schrieb die Aufrüstung seiner Datenverarbeitung aus. Mit einem Auftragswert zwischen 200 und 400 Millionen Euro handelt es sich um einen der lukrativsten IT-Aufträge der Zweiten Republik. Drei Unternehmen traten gegeneinander an: Siemens, das die AMS-IT bereits bisher betreut hatte, die deutsche Telekom-Tochter T-Systems und der Österreich-Ableger des US-amerikanischen IBM-Konzerns.

Sowohl bei der ersten als auch bei der zweiten Anbotsöffnung lag IBM mit 441 Millionen preislich weit über seinen Konkurrenten. Beim "last and final offer“ aber speckte IBM sein Offert ordentlich ab. Plötzlich verschleuderte es seine Leistung um vergleichsweise läppische 173 Millionen und lag mit einem Schlag als Bestbieter vor seinen Mitbewerbern. Das AMS - hocherfreut, schließlich hat man ja nichts zu verschenken - wollte IBM im August des Vorjahres den Zuschlag erteilen. Doch da waren die Konkurrenten vor, und das mit gutem Grund. Eine Preisreduktion um nahezu zwei Drittel lässt nur zwei Schlüsse zu: Entweder war das erste Offert unverschämt hoch oder das letzte Angebot unseriös billig.

Die unterlegenen Bieter erwirkten beim Bundesvergabeamt eine einstweilige Verfügung, wonach das AMS ohne neuerliche Prüfung der Angebote keinen Zuschlag erteilen dürfe. Das wiederum ließ sich IBM nicht gefallen und schritt mit diesem Bescheid zum Verwaltungsgerichtshof. Dieser bestätigte den Entscheid des BVA: Auch die Höchstrichter sehen eine "ungewöhnliche Reduzierung des Gesamtangebotspreises“ und die "Erklärungen für eine derartige Preisreduktion nicht ausreichend“; der Auftraggeber, also das AMS, wäre zu einer "vertieften Anbotsprüfung verpflichtet gewesen“.

Diese "vertiefte Anbotsprüfung“, die dem Auftraggeber schon im Vorjahr in erster Instanz vom Bundesvergabeamt aufgebrummt worden war, hat das AMS mittlerweile durchgeführt, und zwar durchaus kreativ: Nachdem die Konzerne sich vor den Behörden nichts schuldig geblieben waren und gegenseitig mit Ausschlussgründen eingedeckt hatten, machte sich das AMS diese zu eigen und hakte just bei den vorgebrachten Formalfehlern ein.

Wenn drei sich streiten, freut sich der Vierte. Gegen Siemens wurde ins Treffen geführt, dass es seine IT-Sparte Ende des Vorjahres an die Franzosen verkauft hatte; rechtlich gesehen habe sich damit der Anbieter geändert. Im April 2011 verabschiedete das AMS Siemens. Das Unternehmen meldete beim Bundesvergabeamt neuerdings Beschwerde an. T-Systems wiederum wurde vom AMS mit der Begründung, man habe entgegen den Ausschreibungskriterien schriftlich Kontakt mit dem Vorsitzenden des AMS-Verwaltungsrats gesucht, aus dem Verfahren geboxt. Auch T-Systems schaltete erneut das Bundesvergabeamt ein.

Das Kalkül des AMS scheint klar:
Weder sollte der Auftrag neu ausgeschrieben noch ein Zuschlag erteilt werden; daher wurden die Nebenbewerber wegen Verstößen vom Verfahren gesperrt, damit am Ende nur noch der Billigstbieter IBM übrig bleibt.

Seit einigen Wochen dämmert den Behörden:
Der Akt wird noch einige Zeit nicht geschlossen werden können. Denn nun muss sich auch noch der Verfassungsgerichtshof einlesen. Siemens sieht sein "Recht auf einen gesetzlichen Richter“ und damit ein Grundrecht verletzt, wonach bei Rechtsstreitigkeiten (oder Prozessen) im Voraus bestimmt sein muss, welches Gericht und welcher Richter zuständig ist.

Diese juristische Hintertür wurde Siemens durch eine Aufgabenverschiebung beim Bundesvergabeamt eröffnet. Im BVA gibt es 14 Senate, welchen die neu einlangenden Prüfungen in aufsteigender Reihe zugeordnet werden. Folgeanträge zu einer angefochtenen Vergabe, so sieht es die Geschäftsordnung vor, sind "unwiderruflich“ jenem Senat zuzuweisen, der dieses Verfahren bereits führt.

Nun war der Fall "AMS-IT-Unterstützung“ von Beginn an dem Senat 04 zugewiesen worden. Drei einstweilige Verfügungen und drei Nachprüfungsverfahren, alle zum Nachteil des AMS, wurden von diesem Gremium verfügt. Dann erkrankte die Vorsitzende, ihre Stellvertreterin, die gleichzeitig dem Senat 11 vorsitzt, sprang ein. Unter ihrer Leitung sprach der Senat 04 im Frühjahr eine einstweilige Verfügung gegen das Ausscheiden von Siemens aus. Schließlich stellte sich aber heraus, dass die reguläre Vorsitzende des Senats 04 doch länger arbeitsunfähig bleiben würde. Ihre Vertreterin wollte die Doppelbelastung von zwei Senaten aber nicht länger auf sich nehmen. Also wurde die Causa AMS zur Gänze dem Senat 12 übertragen.

Zufall oder nicht:
Von diesem Zeitpunkt an wendete sich das Blatt zugunsten des AMS. Senat 12 bestätigte das Ausscheiden von Siemens. Nachdem das AMS T-Systems aus dem Rennen geworfen hatte, beantragte auch diese sofort eine einstweilige Verfügung, welche der Senat 12 ebenfalls abschmetterte.

Nun werden sich also die Höchstrichter mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob ein Akt nur deswegen verschoben werden darf, weil eine Vorsitzende längere Zeit verhindert ist, ob dies tatsächlich der Geschäftsordnung entspricht oder, salopp gesagt, doch eher einer Laune der BVA-Leitung entsprang.

Nahezu drei Jahre wurden mittlerweile für diese Ausschreibung verplempert. Das machte auch den Rechnungshof neugierig, seine Prüfer wurden bereits losgeschickt.

Im Bundesvergabeamt wird jedenfalls Wert auf die Feststellung gelegt, dass die Vorgangsweise korrekt war. Des Weiteren wolle man keine Stellungnahme abgeben - mit Verweis auf das offene Verfahren.

Und das wird es wohl noch länger bleiben.