Geldfieber

Impfungen: Die Abzocke in privaten Tropeninstituten

Impfungen. Die Abzocke in privaten Tropeninstituten

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Wartezeiten von mehr als anderthalb Stunden hatte sich der Manager Michael H.* von dem schicken privaten Wiener Tropeninstitut nicht erwartet. Stolz erschien ihm der Preis von gut 700 Euro, die er für Impfungen hinblättern musste, obwohl der Vielreiser ohnehin gegen eine Reihe von Krankheiten geimpft war. „Ich reise zwar ins innere Afrika, wo ein hohes Infektionsrisiko besteht, frage mich aber, ob ich für eine achttägige Reise von Tollwut über Cholera bis Meningokokken fast alle verfügbaren Impfungen benötige“, erklärt der 48-Jährige gegenüber profil. Tatsächlich reist Herr H. genau in der Regenzeit – Meningokokken etwa verbreiten sich aber vor allem in der Trockenzeit. Eine derartige Impfung wäre demnach nicht dringend notwendig.

Wirklich ärgerlich wurde der Manager jedoch erst aufgrund eines in dem Institut zufällig mitgehörten Beratungsgesprächs. Einem Pensionistenehepaar, das an einer Kreuzfahrt mit Zwischenstopp in Tunesien teilnehmen will, wurde auch eine ganze Liste an Impfungen empfohlen. Dabei ist ein Infektionsrisiko durch die hygienischen Umstände einer Kreuzfahrt, wo sämtliche Speisen an Bord eingenommen werden, relativ gering. „Diese Empfehlungen waren offensichtlich mehr als übertrieben, ich empfand sie als schamlose Abzocke“, erklärt Herr H.
Die Vermutung des Managers wird durch eine im vergangenen Herbst durchgeführte Untersuchung des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) bestätigt: In einigen privaten Tropeninstituten werden tatsächlich weitaus mehr als die sinnvollen Impfungen empfohlen. In einem Fall veranschlagte ein Institut sogar 1148 Euro, während die wirklich nötigen Impfungen laut Expertenschätzung maximal zwischen 200 und 280 Euro gekostet hätten. Damit nicht genug: Einige der getesteten reisemedizinischen Zentren unterschlugen wichtige Impfungen, empfahlen aber solche, die der Patient bereits hatte. In einem Fall sollte ein nur für Erwachsene zugelassener Impfstoff einem Kind verabreicht werden.

Da die Gestehungskosten der Impfstoffe für alle Institute, ob öffentlich oder privat, annähernd gleich sind, macht es auch keinen wesentlichen Unterschied, wenn man sich die Impfstoffe in der Apotheke besorgt und einen befreundeten Arzt um die Injektion bittet. Wirklich teuer wird die Impfaktion durch nicht unbedingt notwendige, aber angeratene Vakzine. Während viele Patienten Überempfehlungen aus übertriebener Angst akzeptieren, ist ihnen umgekehrt zumeist nicht bewusst, dass derzeit ausgerechnet in der Ukraine, Gastgeberland der Fußballeuropameisterschaft, eine Masernepidemie grassiert.

Laut Tropenmedizinerin Pamela Rendi-Wagner, Sektionsleiterin im Gesundheitsministerium, hat sich in den vergangenen Jahren nicht nur das Reiseverhalten der Österreicher, sondern auch die reisemedizinische Beratung deutlich verändert: „Ältere Menschen, Familien mit Kleinkindern oder Schwangere scheuen Fernreisen nicht mehr. Sie müssen oft ­spezielle Vorsichtsmaßnahmen bedenken. Statt Schablonen wie Länderlisten zu benutzen, ist die individuelle Beratung wesentlich geworden.“ Im Jahr 2011 unternahmen die Österreicher insgesamt 8,3 Millionen Auslandsreisen – mehr als zehn Prozent davon führten in außereuropäische Länder. Auch die Wintersaison wird vermehrt für Fernreisen genutzt. Kein Wunder also, dass immer mehr private Zentren ihre Dienste anbieten.

Aus diesem Grund testete der VKI vor der vergangenen Wintersaison 19 Tropeninstitute anhand zweier Szenarien: Testerin eins war eine Mutter, die angab, noch nie in den Tropen gewesen und dementsprechend ängstlich zu sein. Sie wollte für sich und ihren fünfjährigen Sohn Informationen über nötige Impfungen für eine Cluburlaubsreise nach Thailand – eine ­Destination mit geringem Risiko. Tester Nummer zwei und drei waren zwei junge Männer, die angaben, nach ihrem Studium eine Auszeit nehmen und durch Zentralafrika reisen zu wollen – ein Unterfangen mit hohem Risiko.

Nur eines der getesteten Institute, das reisemedizinische Zentrum traveldoc im vierten Wiener Gemeindebezirk, beriet die jungen Männer nach Expertengeschmack, sodass es mit „sehr gut“ benotet wurde. Das Institut war bereits bei einer im Jahr 2005 durchgeführten Untersuchung eindeutiger Testsieger. Die Ergebnisse glichen damals generell jenen der jüngsten Erhebung – die schlecht bewerteten Institute haben sich also nicht verbessert (siehe auch www.konsument.at).

Etliche Institute empfahlen nicht unbedingt notwendige Impfungen, etwa gegen die Japan-B-Encephalitis für die nach Thailand reisende Mutter mit Sohn (Kostenpunkt: etwa 180 Euro). Dabei handelt es sich um eine nur in Südostasien verbreitete Virusinfektion, die in Thailand zwischen Mai und Oktober vermehrt auftritt. Die Testerin gab jedoch an, im Jänner reisen zu wollen. Eine Impfung ist daher nicht nötig. Eines der getesteten Institute wollte sogar ihren Sohn impfen, obwohl der Impfstoff noch gar nicht für Kinder zugelassen ist.

Mehrere Impfstellen rieten der Mutter auch zu einer Tollwutimpfung. Die Krankheit tritt selten auf, die Impfung ist kostspielig, da sie in drei Tranchen zu einem Preis von je etwa 60 bis 70 Euro verabreicht werden muss. Auch nach einem Tierbiss müssen sofort im Abstand von drei Tagen zwei weitere Impfdosen verabreicht werden. Ohne Impfschutz ist jedoch eine sofortige Verabreichung eines teuren Immunglobulins nötig, das in vielen tropischen Gebieten schwer erhältlich ist. In Thailand findet man aber in der Regel eine gute Versorgung. Eine Impfung von Erwachsenen ist daher nicht nötig, eher noch von Kindern, die sich der Gefahr, die von streunenden Tieren ausgeht, nicht bewusst sind.

Mehrere reisemedizinische Zentren empfahlen die Tollwutimpfung auch den beiden Afrikareisenden, obwohl sie weit weniger gefährdet sind als Kinder. Wie im Fall des Herrn H. rieten sie den beiden zusätzlich zu einer Meningokokkenimpfung, doch ihre Reiseroute war bewusst in der Regenzeit und nur am Rande des so genannten afrikanischen Meningokokkengürtels gewählt, der quer durch den Kontinent verläuft, weshalb die Impfung keineswegs dringlich war.

Laut der Kinderärztin Bärbel Klepp vom VKI nimmt die Beratung in manchen privaten Impfzentren oft absurde Ausmaße an: „Gerne empfehlen private Reisezentren eine Grippeimpfung – mit der Begründung, dass man dann eine fiebrige Malariaerkrankung leichter als solche erkennen könne.“ Obwohl dies absurd klingt, kam es tatsächlich bereits zu Todesfällen, da die Malariainfektion fälschlich für eine Grippe gehalten und mit der richtigen Behandlung zu spät begonnen wurde. Fieber kann jedoch viele Ursachen haben, und eine Malaria ist generell schwer zu diagnostizieren.

Auch wäre in der Beratung auf die individuelle Reiseroute und die Reisezeit zu achten – in manchen Gebieten sind die Malariaerreger nämlich bereits gegen bestimmte Medikamente resistent. Die Experten müssen daher auf dem neuesten Stand sein und genau wissen, welche Präparate in welchen Weltgegenden sinnvoll sind. In einigen Ländern reicht eine Notfallmedikation, in anderen ist Prophylaxe angeraten. Die VKI-Testung ergab, dass manche reisemedizinischen Zentren an genau dieser komplexen Fragestellung scheiterten, eines sprach in der Beratung der Afrikareisenden die Malaria gleich gar nicht an, was den Experten extrem nachlässig erschien.

Die Notwendigkeit einer Impfung ist auch nicht immer leicht abzuschätzen, wie Tropenmedizinerin Rendi-Wagner betont: „Die Reisemedizin hat sich in den letzten fünfzehn Jahren auch aufgrund der verbesserten Datenlage grundlegend verändert. Der Trend geht Richtung maßgeschneiderter, persönlicher Reiseimpfprogramme, die auch relevante Risikofaktoren berücksichtigen – weg vom Schema, dass jeder Reisende alle verfügbaren Impfungen braucht.“ Doch vor allem gilt das persönliche Sicherheitsgefühl – und manche Reisenden wollen sich eben gegen alles absichern.

Die meisten Impfstoffe sind sehr gut verträglich, auch wenn mehrere Vakzine auf einmal verabreicht werden. Außer mit ­typischen Symptomen wie Juckreiz, Rötungen oder Schmerzen im Einstichbereich reagiert nur weniger als ein Prozent aller geimpften Personen mit Fieber, das allerdings fast nur bei so genannten Lebendimpfstoffen auftritt, bei denen also lebendige Viren verabreicht werden. Immunsupprimierte Personen, wie beispielsweise Empfänger eines Spenderorgans, oder auch Schwangere dürfen in der Regel gar keine Lebendimpfstoffe erhalten. Dabei handelt es sich konkret um Gelb­fieber, Masern, Mumps, Röteln und Windpocken.

Eine Masernimpfung wird derzeit auch Touristen empfohlen, die nach Osteuropa und speziell in die Ukraine reisen. Dort wurden den Behörden heuer schon mehr als 10.000 Masern- oder Masernverdachtsfälle gemeldet. Wegen der verstärkten ­Reisetätigkeit im Zusammenhang mit
der Fußballeuropameisterschaft befürchten Experten nun eine vermehrte Aus­breitung der Masernepidemie in ganz ­Europa.

Neben den Masern macht den Reisemedizinern noch eine andere aktuelle Erkrankung Sorgen, wie die Impfexpertin und Reisemedizinerin Ursula Wiedermann-Schmidt von der Medizinischen Universität Wien erklärt: „Wir beobachten in letzter Zeit vermehrt Fälle von Denguefieber. Dieses ist in tropischen und subtropischen Gebieten, vor allem aber in Südostasien, Mittel- und Südamerika verbreitet. Dagegen gibt es derzeit weder eine Impfung noch eine spezielle Therapie.“

Trotz dieses Anstiegs ist die Wahrscheinlichkeit, an Denguefieber oder an einer anderen Tropenkrankheit zu sterben, gering, weil es bei rechtzeitiger Erkennung meist effektive Behandlungsmethoden gibt. Im Jahr 2010 wurden in Österreich 48 Malariafälle gemeldet, eine infizierte Person starb. Im Jahr 2011 gab es 44 Malariaerkrankungen und keinen Todesfall. Neben dem Denguefieber traten auch einige Fälle von Amöbenruhr auf. Gelbfieber- oder Cholerafälle wurden in den vergangenen zwei Jahren nicht gemeldet. Die Behörden gehen jedoch davon aus, dass nicht alle Fälle erfasst wurden.

Wenn sich jemand mit einer gefährlichen Tropenkrankheit infiziert, so ist das ein außergewöhnliches, oft vom Verhalten des Reisenden provoziertes Pech. Sehr viel häufiger sind hingegen Durchfallerkrankungen, von denen beinahe jeder dritte Fernreisende betroffen ist. Da kaum behandelbar, müssen die Darmkrämpfe im wahrsten Sinn des Wortes ausgesessen werden, was zwar das Urlaubsvergnügen trübt, jedoch in der Regel nicht lebensgefährlich ist. Nur etwa fünf Prozent dieser Erkrankungen sind mit gesundheitlichen Gefahren verbunden, vor allem Kinder können bei Durchfall schnell dehydrieren.

In letzter Zeit versuchen Apotheken mit teuren Probiotikakuren zu locken, die Durchfallerkrankungen vorbeugen sollen, indem die natürliche Darmflora gestärkt wird. Der Tropenmediziner Georg Stühlinger vom VKI-Testsieger traveldoc hält diese Angebote für Quatsch: „Es gibt keine Studien, die eine Wirkung belegen, aber wenn jemand daran glaubt, soll er es nehmen.“ Stühlinger selbst setzt bei Reisen auf ein altbewährtes Hausmittel, dessen Wirkung ebenfalls nicht bestätigt ist – nämlich einen kräftigen Schluck vom Hochprozentigen täglich.