„Ich mochte manche Mörder“

Daniel Glattauer: „Ich mochte manche Mörder“

Sommergespräch. Der Schriftsteller Daniel Glattauer über sein Leben als Literat

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Interview: Herbert Lackner

profil: Herr Glattauer, ich bin in einer Zeitung auf ein Foto gestoßen, das Sie während einer Lesetour mit den stolzen Honoratioren einer Kleinstadt zeigt. Wer hätte das von Daniel Glattauer je gedacht!
Glattauer: Ich hätte das selbst nicht gedacht. Ich wurde ein Schreiber, weil man sich dabei sehr gut verstecken konnte. Das fing schon in der Jugend an. Ich schrieb, weil ich mich nicht traute, Dinge mündlich zu präsentieren. Ich will optisch möglichst nicht in Erscheinung treten. Dann kamen die Bucherfolge. Ab da gab es kein Entrinnen mehr.

profil: Ist Ihnen das unangenehm?
Glattauer: Es geht darum, echt zu bleiben. Das wird mir immer wichtiger.

profil: Bei manchen Lesungen soll es sogar kreischende Mädchen geben.
Glattauer: Bei einer Präsentation von „Alle sieben Wellen“ im Wiener Schauspielhaus kreischten ein paar Schülerinnen, die ich in der Woche zuvor an der Schule besucht hatte. Ich fand es lustig, aber das war eher einmalig. Das passt auch gar nicht zu mir.

profil: Innerhalb der vergangenen zwölf Monate gab es in den österreichischen Zeitungen 852 Meldungen über Sie. Google meldet zu „Daniel Glattauer“ mehr als neun Millionen Einträge. Verstecken wird Ihnen jetzt nicht mehr gelingen.
Glattauer: Mittlerweile habe ich mich damit angefreundet, momentan relativ bekannt zu sein. Manchmal merke ich, dass mich jemand erkennt. Einmal kam ein Jugendlicher in der U-Bahn zu mir, der mich, während er telefonierte, kurz ansah und mich dann fragte: „Sind Sie der Daniel Glattauer?“ Als ich Ja sagte, sagte er zu seiner Gesprächspartnerin: „Er ist es wirklich.“ Sonst wollte er nichts von mir wissen.

profil: Wenn ein Journalist schreibt, hat er immer seine Leser im Kopf. Haben Sie auch jemanden im Kopf?
Glattauer: Meine Figuren. Aber im Hinterkopf auch immer meine Leser, da bin ich journalistisch geblieben. Journalisten schreiben ja nicht für sich, sondern als Dienst- und Serviceleistung. Für mich als Autor gilt das Gleiche. „Mein Leser“ ist übrigens weiblich. Bei meinem letzten Roman „Ewig Dein“ dachte ich an Frauen zwischen 30 und 40. Das war ungefähr das Zielpublikum.

profil: Eine Mission verfolgen Sie dabei nicht.
Glattauer: Nein. Ich schreibe ohne Mission, das sage ich auch immer dazu. Das kommt nicht überall gut an. Ich habe aber ein großes Bedürfnis, anderen mit meinen Büchern etwas Gutes zu tun, die Leser und Leserinnen sollen damit Freude und Spannung erleben. Sie sollen sich selbst spüren. Ich möchte immer Gefühle vermitteln.

profil: Als Gerichtssaalberichterstatter des „Standard“ haben Sie oft versucht aufzuzeigen, dass Verbrechen auch gesellschaftsbedingt sind. Das war schon eine Mission.
Glattauer: Ich wollte damals zeigen, wie es zugeht, wenn sich Juristen in die Situation von Menschen mit gewissen Schicksalen einmischen. Das war keine Mission, eher eine Bestandsaufnahme. Dabei war es mir wichtig, meinem Gerechtigkeitssinn zu entsprechen.

profil: Muss ein Schriftsteller mehr von sich selbst preisgeben als ein Journalist?
Glattauer: Bei mir waren die Übergänge fließend. Ich habe 20 Jahre lang Gerichtsberichterstattung betrieben, aber auch zwei Romane geschrieben, bei denen ich aus meiner Gerichtssaalpraxis geschöpft habe: „Darum“ und „Ewig Dein“. Bei mir mischt sich das.

profil: Wenn ein Schriftsteller journalistisch tätig wird, sagen alle: „Wow!“ Wenn ein Journalist Schriftsteller wird, heißt es: Das ist ja nur ein Journalist. Kommen Sie aus der falschen Richtung?
Glattauer: Es gab schon Zeiten, als es mich ärgerte, dass Kollegen sagten, meine Schriftstellerei sei eine Fleißaufgabe, die kein Mensch lesen will. Ich wurde ja nur deshalb Journalist, weil ich eine Möglichkeit suchte zu schreiben. Schriftsteller war für mich kein Job, von dem ich dachte, dass ich jemals davon leben könnte. Ich hab gleich nach dem Studium als Journalist bei der ­„Presse“ angefangen, obwohl mich vieles am Journalismus gar nicht reizte. Ich war zum Beispiel nie ein Rechercheur, im Gegenteil. Meine Rechercheergebnisse waren immer sehr mager. Ich war ein Geschichtenerzähler, den es viel mehr gefreut hat, zu beobachten und frei zu beschreiben.

profil: Eine böse Kritik über Ihre Bücher fand ich ausgerechnet in Ihrem Ex-Blatt „Standard“. Über „Ewig Dein“ hieß es dort: „Man findet in diesem gefeierten Text wenig Abgründiges.“ Tut das weh?
Glattauer: Gerade im „Standard“ war das schon kränkend. Man sagte mir, dass aus personellen Gründen niemand Zeit oder Lust hatte und ein junger Volontär zur Lesung geschickt wurde. Ich dachte mir: Bursche, lies wenigstens das Buch, über das du schreibst, es ist durch und durch abgründig.

profil: Sie sagten einmal, das Feuilleton interessiere sich nicht für Ihre Bücher, weil es die Mischung aus Romantik und Unterhaltung nicht will. Wieso glauben Sie das?
Glattauer: Das Feuilleton erfüllt eine andere Aufgabe, in die meine Bücher nicht hineinpassen. Das Feuilleton will beurteilen, was Qualität ist und was nicht. Es hat sein Werteschema, nach dem es urteilt, und das ist schon okay so. Ich darf mich nicht beschweren, ich habe sowieso ein Riesenpublikum, und ich will es mir ohnehin abgewöhnen, beleidigt zu sein. Außerdem gab es in Deutschland zuletzt sehr gute Kritiken.

profil: Was lesen Sie denn selbst am liebsten?
Glattauer: Ich lese gar nicht so gerne, ich höre lieber Musik. Für mich ist Lesen anstrengend, weil ich immer eine Wissenschaft daraus mache, anstatt das Buch zu verschlingen. Das ist wie Arbeit.

profil: Sie beschreiben in Ihren Büchern Beziehungsgeschichten. Muss man da ein Voyeur sein und ständig die Beziehungen in seiner Umgebung beobachten?
Glattauer: Ich bin mit meinen Ohren schon immer gern am Nebentisch und finde es sehr interessant, wie Menschen ticken, und vor allem, wie Menschen zu zweit ticken. Freunde kommen auch gern zu mir, um über ihre Beziehungen zu reden. Das war schon früher immer so. Mein Bruder hatte die Freundinnen fürs Abenteuer, ich hatte die Frauen, wenn sie mir von ihren Abenteuern erzählten. Das war damals Scheiße, aber ich bin an dieser Rolle gereift. Mittlerweile empfinde ich es als Kompliment, dass sich Frauen so gerne mit mir treffen.

profil: Ist die Schriftstellerei im Vergleich zum Journalismus nicht ein sehr einsamer Job?
Glattauer: Doch. Ich habe wenigstens zwei Schreibplätze, also Abwechslung. Ich arbeite in meiner Wohnung in Wien und noch lieber im Bauernhaus im Waldviertel. Beim Schreiben brauche ich keine große Kulisse, da schaue ich sowieso nur in den depperten Bildschirm. Es ist sogar unangenehm, wenn man dort, wo man schreibt, auch noch hundert andere Sachen unternehmen könnte. Das Waldviertel ist außer meinen fünf indischen Laufenten im Garten sehr reizarm, dort versäume ich nichts.

profil: Haben Sie einen konkreten Tagesablauf?
Glattauer: Ich bin ein Frühaufsteher und Frühaufhörer, da war ich schon als Journalist untypisch. Lesungen sind relativ anstrengend für mich, weil sie so spät am Abend beginnen. Ich hätte sie lieber schon um vier am Nachmittag erledigt. Um fünf möchte ich meinen Gspritzten trinken und nicht mehr an Arbeit denken. Viele glauben, Bücher zu schreiben sei nur etwas Schönes. Stimmt nicht. Es ist Knochenarbeit, oft mühsamer als journalistische Tätigkeit, bei der man sich immer noch an Fakten klammern kann. Beim freien Schreiben gibt es keine Anhaltspunkte. Man muss alles selbst kreieren.

profil: Mit Tagesquantum?
Glattauer: Ja, früher nahm ich mir 6000 Zeichen am Tag vor. Inzwischen gehe ich doch deutlich zurück. Ich bin sehr streng zu mir und kann erst weiterschreiben, wenn die Zeilen davor passen. Deshalb geht manchmal sehr wenig weiter. Aber das hat auch Vorteile: Wenn ich einmal fertig bin, habe ich schon ein relativ solides Werk und muss nicht noch fünf Durchgänge machen.

profil: Bleiben Sie bei Ihrem Genre, könnten Sie auf Beziehungskisten festgenagelt werden. Machen Sie etwas anderes, werden Kritiker sagen: Das kann er jetzt aber wirklich nicht. Ist das nicht eine Lose-lose-Situation?
Glattauer: Kann sein. Ich habe mir nach den E-Mail-Romanen gedacht, ich bin jetzt einmal fällig für einen richtigen Misserfolg. „Ewig Dein“ wurde kein Misserfolg, was mich natürlich wahnsinnig freut. Mir geht es ja selbst so: Von Musikern, die etwas für mich Tolles gemacht haben, erwarte ich mir wieder etwas in dieser Art. Wenn es dann kommt, bin ich oft enttäuscht, weil es den ersten Erfolg nicht toppen konnte. Machen sie etwas ganz anderes, bin ich erst recht enttäuscht. Ich kann aber sowieso nur schreiben, wonach mir ist.

profil: Wie wär’s mit psychologischen Kriminalromanen?
Glattauer: Kriminalromane mit Helden, von denen ich mehrere Teile schreiben könnte, würden mich reizen. Aber dazu ist mir noch nichts eingefallen. Ich muss eine Idee für eine Geschichte haben, danach überlege ich mir, wie ich sie anlege.

profil: Ist die Idee schon da?
Glattauer: Nein, nur gedanklich. Ich mache gerade eine Ausbildung zum Psychosozialen Berater. Die Themen, mit denen ich mich da beschäftige, bedeuten mir persönlich viel. Sie geben auch viel Stoff her. Ich kann mir vorstellen, nächstes Jahr ein Theaterstück zu probieren. Ich schreibe gerne Dialoge.

profil: Wie lange brauchen Sie für einen Roman?
Glattauer: Mindestens ein Jahr. Ich merke auch, dass sich bei mir alles verlangsamt, seit ich nicht mehr im Tagesjournalismus bin. Man muss aufpassen, weil man bei Verlagen, wenn man erfolgreich ist, in ein Beschleunigungssystem gerät. Die fragen sofort: „Wann kommt das nächste Buch? Solange die Suppe heiß ist, müssen wir nachlegen.“

profil: Bekommen Sie eigentlich Angst, wenn Sie an die Eurokrise denken? Sie haben jetzt immerhin etwas zu verlieren.
Glattauer: Ich habe keine großen Komfortansprüche. Geld ist mir nur wichtig, damit ich mir Pflege leisten kann, wenn ich alt bin. Ich möchte nicht auf jemand anderen angewiesen sein. Was ich jetzt gerne mache, konnte ich immer schon: gut essen, reisen, ein bisschen einkaufen. Um mich habe ich keine Angst, aber um die Menschen rundherum. Da wird es irgendwann schön krachen, so geht es sich nicht mehr lange aus.

profil: Würden Sie einen Roman über die Krise schreiben, gäbe es da konkrete Bösewichter als Schuldige, oder wäre es eine Geschichte über ein unkontrollierbares System?
Glattauer: Ich tu mir schwer mit Bösewichtern. Ich mag auch meine Bösen in den Büchern. Ich mag sie mit all ihren Abgründen. Da habe ich im Gericht viel dazugelernt. Ich mochte auch manche Mörder, weil sie tragische Figuren sind. Sie sind gar nicht so weit entfernt von denen, die auf der sicheren Seite stehen.

profil: Eine Umfrage erhob jetzt das Wahlverhalten der 16- bis 26-Jährigen. In Deutschland wären die Piraten in dieser Gruppe mit 27 Prozent die stärkste Partei, in Österreich wäre es die FPÖ mit 26 Prozent. Was ist da los?
Glattauer: Diese Sache rennt nicht über den Kopf, sondern über den Bauch. Vielleicht gibt H. C. Strache den Jugendlichen das Gefühl, auf ihrer Seite zu sein. Eigentlich müsste man sich weniger die FPÖ als eher die anderen Parteien ansehen. Auf wen könnte ein Jugendlicher abfahren? Auf Spindelegger? Auf Faymann? Auch die Grünen sind momentan enttäuschend unterwegs. Gerade die Jugendlichen, deren Arbeitschancen schwinden, haben niemanden, der sich für sie ins Zeug haut.

profil: Und Strache kann das bieten?
Glattauer: Ein Jugendlicher, der sich nicht intensiv mit der FPÖ beschäftigt und die Ideologie dahinter nicht erkennt, könnte sagen: „Das ist wenigstens einer, der in die Discos geht und uns versteht.“ Wenn die wüssten!

profil: Vielleicht erwarten die Jugendlichen ja gar nichts mehr, und es reicht, dass er besser aussieht als die anderen.
Glattauer: Ich erwarte von österreichischen Politikern auch nichts mehr. Ich mache mir um die österreichische Politik auch keine Sorgen, weil sie eh egal ist. Die Probleme, die es gibt, sind so eklatant, dass die heimische Politik allein ohnehin keine Chance hat. Es wäre halt schön, wenn in Österreich jemand an der Regierung wäre, der zumindest weiß, was da rennt. Im Moment ist das nur ein Mitschwimmen.

profil: Hat sich schon einmal eine Partei oder ein Politiker an Sie herangepirscht?
Glattauer: Nein, da war nichts. Das hängt wahrscheinlich von der Art meiner Bücher ab, die absolut nicht parteipolitisch verwertbar sind.

profil: Aber Politiker schmücken sich gerne mit Künstlern und Literaten.
Glattauer: Stimmt. Die Einladungen zu Prölls jährlichem Soundso bekomme ich zwar, aber die landen schnell im Papierkorb. Was sollte ich dort machen?

profil: Sie sind kein Salonlöwe?
Glattauer: Nein. Früher sagte ich immer, wenn ich einmal in den „Seitenblicken“ im Fernsehen auftauche, habe ich etwas falsch gemacht. Mittlerweile war ich zwei-, dreimal in der Sendung, lebe aber immer noch.

profil: Ihre Bücher sind relativ kurz. Können Sie sich vorstellen, einen Ziegel mit 700 Seiten zu schreiben?
Glattauer: Ich bin ein Kurzschreiber. Die 40 Zeilen des Einserkastls im „Standard“, das war meine optimale Länge. Im Nachhinein finde ich das Ende von „Ewig Dein“ zu kurz. Ich hätte es ausführlicher machen sollen. Ich wollte es nicht weiter ausbauen, weil ich mir dachte: Noch eine Szene und noch eine, und das Publikum langweilt sich. Ich selbst habe dicke Wälzer, in denen nichts weiterging, gehasst. Aber wer weiß, vielleicht wird es auch einmal etwas Längeres geben.

profil: Bleiben Sie jetzt bei der Schriftstellerei, oder wollen Sie die Lebensberatung zum Beruf machen?
Glattauer: Unmittelbar nach den Erfolgen der beiden E-Mail-Romane dachte ich mir: Warum soll ich eigentlich noch schreiben? Ich kann das sowieso nicht mehr überbieten, es könnte nur eine Enttäuschung für mich und für die Leser sein. Das habe ich abgelegt. Längere Schreibpausen tun mir gut. Dann juckt es mich wieder. Und wenn eine Idee im Kopf einmal eine gewisse Größe erreicht hat, dann muss sie raus. Ehrlich gesagt, ich spüre da schon wieder etwas.

Daniel Glattauer, 52
Er ist Österreichs Erfolgsautor schlechthin. Drei Millionen Mal haben sich seine Bücher bisher verkauft. Seine Karriere begann Glattauer, geboren in Wien-Favoriten, als Journalist bei der „­Presse“ und beim ­„Standard“. Der Autor lebt in Wien und im Waldviertel.

Sommergespräch, Teil 1: Medienköchin Sarah Wiener