Sport: Das Schach-Matt-Monster

Sport: Das Matt-Monster

Hydra wurde von einem Waldviertler entwickelt

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Chrilly Donninger wohnt im „Pfarrerhaus“. Von seinem „Computerkammerl“ aus blickt er auf die malerische Kirche von Altmelon, im Bezirk Zwettl im Waldviertel. Nach Altmelon, das auf über 900 Meter Seehöhe im abgeschiedenen Waldviertler Hochland liegt, ist schon seit Jahren niemand mehr zugezogen – abgesehen von den Donningers im Jahr 1999. Heute ist Chrilly Donninger Gemeinderat der 1000-Seelen-Gemeinde; eine Zeit lang fungierte er auch als Loipenwart. Seine Frau Anni führt die Gemeindebibliothek. Hat sich das Ehepaar bewusst in die Einsamkeit zurückgezogen? „Nein“, sagt Donninger, „einsam waren wir in Wien.“

Dem Klischee eines der Realität entrückten Computernerds entspricht der schlagfertige Ausnahmeprogrammierer, der in Altmelon den bisher zugkräftigsten Schachcomputer der Welt entwickelt hat, ohnehin nicht. Er selbst sieht sich „weder als Genie noch als Wissenschafter“, sondern als „Kunsthandwerker“: „Wie ein Madonnenschnitzer eigentlich. Das ist mir am nächsten.“

„Mit 27 habe ich das Ziel aufgegeben, Mathematikprofessor zu werden“, sagt der 48-jährige gebürtige Oberösterreicher, der in Wien Mathematik und Physik studierte. Er habe sich den Ritualen des österreichischen Wissenschaftsbetriebs nicht unterwerfen wollen. Aus einer Schachkarriere wurde auch nichts, stärker als ein mäßiger Vereinsspieler war Donninger nie. Blieb also nur das Kunsthandwerk Programmieren: Nach einigen Jahren beim Wiener IHS und bei Siemens machte er sich 1993 als Schachcomputer-Programmierer selbstständig. Sein erstes Geschöpf hieß „Nimzo“, darauf folgten „Schweinehund“ und schließlich „Brutus“ – der bildungsbürgerlich angehauchte deutsche Finanzier bestand auf dem Namen. Donninger stieg in die Weltspitze auf und stand doch im November 2003 kurz davor, alles hinzuwerfen – weniger, weil „Brutus“ bei der Computerschachweltmeisterschaft in Graz seiner Favoritenrolle mit dem 4. Platz nicht gerecht geworden war, sondern weil sein bisheriger Geldgeber die Zahlungen eingestellt hatte, mangels Kommerzialisierbarkeit des Produkts.

Was dann passierte, liest sich wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht: Schon in Graz hatte ein Abgesandter eines Scheichs aus den Vereinigten Arabischen Emiraten die Rechenmonster beobachtet. Kurz vor Weihnachten 2003 griff der Scheich – der seinen Namen nicht gern in den Medien liest – in seinem Palast in Abu Dhabi höchstselbst zum Hörer und wählte eine Nummer in Altmelon. Die Firma PAL Computer Systems nahm Donninger unter Vertrag, und er konnte sein Programm endlich auf den Namen taufen, der ihm am passendsten erschien: „Hydra“, nach dem vielköpfigen Monster aus der antiken Mythologie.

Seither hat Hydra kräftig zugebissen. In einem Wettkampf vergangenen August in Abu Dhabi verspeiste Hydra das deutsche Programm „Shredder“, den Weltmeister von Graz, und gewann überlegen mit 5,5:2,5. Gegen gestandene Großmeister kommt Hydra auf einen Score von sechs Siegen und zwei Remis, hat also noch nie gegen einen Menschen verloren. Trotz der wenigen offiziell gespielten Partien besteht in der Gemeinde der Schachcomputer-Programmierer Konsens darüber, dass das Hydra-Team derzeit über die stärkste Maschine verfügt.

Zu diesem Team gehören neben Donninger der Paderborner Informatiker Ulf Lorenz, der Kölner Großmeister Christopher Lutz als Schachberater und der pakistanische Projektmanager Ali Muhammad Nasir.

Scheich-Sache. Darüber thront der Scheich – aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung kein Arbeitgeber wie jeder andere. Als Mitglied der Königsfamilie ist es dem großen Schachfan nicht möglich, an einem Turnier teilzunehmen. So hat er sich mit Hydra den Ferrari (derzeit wohl eher den Silberpfeil) unter den Schachcomputern eingekauft, der nun in seinem Palast thront. Donninger unterhält ein entspanntes Verhältnis zu seinem Scheich: „Dem ist oft fad. Dann ruft er mich an, manchmal sogar aus seinem Flugzeug, einfach nur, um mit jemandem zu reden, der nicht ständig einen Diener vor ihm macht. In seinem Palast läuft er auch gern mit der Lederjacke rum.“

Die Vorstellung von Scheichs, die mit Dollarnoten um sich werfen, sei ein westliches Klischeegespinst, erklärt Donninger. Sein Geldgeber sei zwar ein Schachnarr, aber in erster Linie Geschäftsmann, der sich eine neue Computerarchitektur geleistet habe. Dank seiner enormen Rechenkapazität könnte der aus vergleichsweise billigen Komponenten bestehende Supercomputer nicht nur beim Schach, sondern auch bei der Bilderkennung zum Zuge kommen. Anstatt ein Matt in zehn Zügen zu exekutieren, gälte es dann, biometrische Merkmale zu erkennen, etwa Fingerabdrücke. Diese Merkmale werden demnächst in unsere Reisepässe aufgenommen und müssen bei Kontrollen schnell abgeglichen werden können. Donninger bewertet diesen Verwendungszweck skeptisch: „Mich persönlich interessiert das weniger, und ich finde es auch nicht besonders gut. Schach ist da harmloser.“

Von seiner unbestrittenen programmiertechnischen Brillanz macht Donninger nicht viel Aufhebens: „Ich tue das, weil es mir Spaß macht, nicht aus Ehrgeiz. Wenn ich woanders arbeiten würde und abends heimkäme, würde ich mich auch hinsetzen und programmieren, einfach aus purer Leidenschaft.“

Inspiration Tischtennis. Dabei paart sich Leidenschaft mit Ausdauer: Donninger sitzt von halb acht in der Früh bis um zehn Uhr abends im „Computerkammerl“ vor seinen drei Rechnern, auch am Wochenende. Vermeintliche Auszeiten sind lediglich die Tischtennisabende oder die nachmittägliche Runde mit Haushund Bello: „Da kommen mir aber die entscheidenden Ideen. Bei so einer Tätigkeit kann man nicht sagen, wann man arbeitet und wann nicht. Manchmal fällt mir beim Tischtennis etwas ein, das ist das Schlimmste. Dann verhaue ich den Ball und verliere.“

Donningers Ideen werden meist durch Testpartien gegen andere Superprogramme initiiert: „Wenn Hydra einen Blödsinn spielt, komme ich ins Grübeln. Wenn ich das identifiziert habe, was oft sehr schwierig ist, suche ich nach einer Verbesserung. Das ist die Hauptarbeit, das Programmieren selbst dann der geringste Teil. Da schreibe ich blind und höre Musik, weil ich genau weiß, welche Stelle geändert werden muss.“

Ein digitaler „Madonnenschnitzer“ eben, wobei Donninger an einem Monster mit mittlerweile 32 parallel geschalteten Prozessoren schnitzt. Bei der Filigranarbeit führen kleinste Änderungen zu einem Dominoeffekt. „Ich habe gerade die Mobilitätsbewertung des Springers geändert, der für Aktivität nun mehr Punkte kriegt. Nur ist dann auf einmal der Springer mehr wert als der Läufer. Werte ich auch den Läufer auf, kriege ich sofort ein Problem mit dem Turm. Alles ist mit allem verbunden.“ Donninger nennt diesen Prozess „iteratives Optimieren“.

Derzeit feilt er am „Remisproblem“. Mittlerweile legen es selbst die stärksten Spieler gern auf ein Unentschieden an, denn im Kampf gegen die Maschine ist der Mensch längst in die Defensive geraten. „Wenn man gegen einen Schwergewichtschampion boxt, muss man immer in der Doppeldeckung bleiben“, sagt der frühere Wiener Halbweltmeister („Da hatte ich 20 Kilo weniger“). Aus der Doppeldeckung heraus könne man jedoch nicht zuschlagen. Gegen Computer spielten die Großmeister enorm vorsichtig und schränkten dadurch ihre Möglichkeiten stark ein.

Dazu komme auch noch der menschliche Verschleiß, erklärt Donninger: „In einem Wettkampf Mensch gegen Mensch gibt es meist ein paar Kurzremis, dann spielen sie eine harte Kampfpartie. Danach folgen wieder Kurzremis, weil beide von dieser einen Partie erschöpft sind. Aber gegen eine Maschine gibt es kein Kurzremis, die wird nie müde, ist immer in derselben Form. Jeden Tag hundert Prozent zu geben, hält der Mensch nicht durch.“

Und wie geht es dem Programmierer während einer Partie? „Wie einem Fußballtrainer auf der Bank“, erzählt Donninger. „Wobei der wenigstens noch die Illusion hat, er könne durch Anweisungen etwas ändern. Ich kann während einer Partie gar nichts machen, und das ist das Schlimmste. Du kannst nur noch zusehen, wie dein Geschöpf entweder brilliert oder einen absoluten Schwachsinn spielt.“

Bedeutet es für Donninger eine besondere Genugtuung, mit seiner Hydra sogar Weltmeister ins Schwitzen zu bringen? „Ich mache das ja nicht wegen des Gewinnens, sondern wegen des Programmierens. Mein Reiz ist der Weg, das Ziel interessiert mich null“, winkt Donninger ab und weist jeden Koketterieverdacht zurück: „Ich siege in einer Sportart, die gar nicht meine ist. Das gibt mir keine persönliche Befriedigung. Das Gewinnen ist nur wichtig, um den Fortbestand des Projektes zu sichern.“

Am Dienstag dieser Woche beginnt im Londoner Wembley Centre ein Wettkampf über sechs Partien zwischen Hydra und dem britischen Supergroßmeister Michael Adams. Für einen Sieg gibt es 25.000 Dollar, für ein Remis 10.000 Dollar. Donninger tippt auf einen 4:2-Erfolg für Hydra, der Scheich erwartet ein glattes 6:0.

Von Oliver Hochadel