Tod eines Jägers

Peter M. Lingens erinnert sich an Alfred Worm

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profil-Chefredakteure leben kürzer: Gerd Leitgeb (62), Hubertus Czernin (50), Reinhard Tramontana (57), Helmut Voska (64) – alle tot. Und jetzt auch Alfred Worm (61).
Natürlich gibt es bei jedem spezielle Ursachen: Krankheit, Veranlagung, das Klima der letzten Tage – doch eines war allen gemeinsam: der irre Stress der frühen Jahre.
Von 1974 bis 1994 recherchierte Worm sämtliche großen Skandale dieser Republik. Immer bedroht von Klagen – im AKH-Skandal mit einem Streitwert von über 100 Millionen Schilling.
Er war der Chronist der Schattenseiten der großen Ära Kreisky: Der Einfluss des Staates war ungleich größer als heute; die SPÖ regierte alleine; eine Menge Leute, die am 1. Mai den „Profit“ angeprangert hatten, wollten endlich an ihm teilhaben. Und die Staatsanwaltschaft des legendären Justizministers Christian Broda deckte rote Skandale kaum auf. Worm versah für Jahre ihr Geschäft.
Ich erinnere mich, wie er bei mir auftauchte: Unterm Arm eine Aktentasche mit Material über Milliarden, die der „Bauring“ der Gemeinde Wien in Saudi-Arabien in den Sand gesetzt hatte. Er hatte es bereits mehreren Zeitungen erfolglos angeboten: Zu viele Journalisten wohnten in Gemeindewohnungen, und investigativer Journalismus war damals nicht in.

Dass er es heute ist, ist Alfred Worm zu danken.
Vielleicht ein wenig auch mir, denn ich hielt als Herausgeber den Kopf für ihn hin. Ließ ihn die Bauring-Geschichte schreiben, schrieb sie, unter Entfernung dutzender empörter Rufzeichen, um und machte sie zu seiner ersten Coverstory. Obwohl wir das Konto nannten, auf das nach Worms Darstellung 67 Millionen aus der Wüste nach Wien zurückgeflossen waren, verzichtete die Staatsanwaltschaft darauf, es zu öffnen. Doch profil hatte Worm gewonnen.

Dieses Muster blieb lange erhalten: Worm recherchierte, ich formulierte mit, und die Anklagebehörde hatte Ladehemmung.
Auch beim größten Korruptionsfall seit 1945: Von Erhard Busek hatten wir den Tipp erhalten, dass Firmen, die Aufträge beim Bau des Wiener Allgemeinen Krankenhauses erhalten wollten, ein Konto in Liechtenstein bedienen mussten. Gleichzeitig kannte der damalige profil-Chefredakteur Gerd Leitgeb den Leiter dieses Baues, Adolf W., aus Studententagen: „So an Job müsst ma daglengen, da könnt ma abräumen“, hatte der junge W. geträumt. Jetzt war seine Zeit gekommen: Das AKH wurde zum teuersten Spital der Welt.

Uns interessierte ein großer Auftragnehmer besonders: die Ökodata BetriebsberatungsgmbH & Co. KG Dr. Franz Bauers, des engsten Vertrauten von Finanzminister Hannes Androsch. Über Androschs Rolle, so lockte Worm Adolf W. aus der Reserve, sollte er uns etwas erzählen, dann würden wir seine Rolle vergessen. W. plauderte – freilich nichts, was Androsch wirklich belastete. Erst viel später tauchte ein Schriftstück aus der Hand Franz Bauers auf: „Der Geschäfts- und Kapitalanteil Androschs wird bis auf Weiteres treuhändig gehalten (handelsrechtlich verdeckt, steuerlich zurechenbar?).“ Androsch nannte das einen ungewünschten Vertragsentwurf, den er „jedenfalls abgelehnt“ habe. Dabei ist es geblieben.

Damals aber reichten die wenigen kritischen Sätze von W., ein Loch in Androschs roten Schutzmantel zu brennen. Wir erhielten auch zur Linken belastendes Material, und im Mai 1975 war die Recherche dicht genug für eine Coverstory: Nie zuvor und nie danach wurde bei einem Bau so viel Steuergeld vernichtet. Doch die Staatsanwaltschaft wollte nicht eingreifen. Erst die freiheitliche U-Richterin Helene Partik-Pablé setzte den Antrag auf Öffnung des Liechtenstein-Kontos durch: Es gehörte Adolf W.

Ein Deix-Cartoon zeigt Wien als Stadt riesiger Ratten.
Worm war kein Rattenfänger, er war ein Rattenjäger. In seiner Passion nur Simon Wiesenthal vergleichbar: unermüdlich, unbestechlich, unbarmherzig. Wie Adolf W. zu glauben, dass man ihm entkommen könnte, indem man sein Informant wurde, war einer der größten Fehler, die man machen konnte: Er lieferte letztlich jeden seiner korrupten Informanten an den Galgen.
Selbst innerhalb der Redaktion recherchierte er: Führte Buch über das, was Redakteure taten und ließen. Es war lebensgefährlich, mit ihm in Konflikt zu geraten. Mir passierte das einmal: Falsch informiert verteidigte ich einen Baumanager, dem Worm bei der Ausführung der Sozialbauten des Architekten Harry Glück Korruption vorgeworfen hatte.
Worm schäumte, und wir sprachen durch Monate kein Wort. Bis eines Tages jemand Informationen auf den Tisch legte, dass Harry Glück für mich den Entwurf eines Hauses skizziert hatte. Mit Schweißperlen sah ich der Wortmeldung Alfred Worms in der Redaktionssitzung entgegen. Der zog sein Buch aus der Tasche: „Lingens hat mich damals gefragt, was ein korrektes Honorar ist, und ein höheres gezahlt. Lassts ihn in Ruhe.“

Als ich in der Affäre Kalal am Boden lag, war er einer von zwei Menschen, denen ich das Schreiben zeigte, mit dem ich der Staatsanwaltschaft mein neurotisches Handeln erklären wollte. „Ich weiß, dass du nicht stiehlst“, sagte Alfred Worm, „aber ich rate dir dringend ab, das abzugeben. Wenn einer irgendwas zugibt, werden sie glauben, er hat das Hundertfache verbrochen. Und Freunde hast du dort bei Gott nicht, nach allem, was du denen durch Jahre vorgeworfen hast.“ Er hatte wie immer Recht: Die Anklageschrift machte mich aus einer Randfigur zum Gangsterboss.