Die oberen Sechzig-tausend: Umverteilung

Umverteilung: Die oberen Sechzigtausend

Wie müsste gerechte Steuerpolitik aussehen?

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Nehmen wir einmal an, Albert und Barbara Wussow-Fortell lebten in Deutschland. Und nehmen wir an, das Mimen-Ehepaar hätte zwischen den Dreharbeiten zu „Schlosshotel Orth“ und „Traumschiff“ Notstandshilfe beantragt. Sie hätten zunächst einmal den familieneigenen Chrysler Voyager verkaufen und die großzügige Villen-Etagenwohnung gegen eine bescheidene Bleibe eintauschen müssen.
Dann erst wäre die Sozialunterstützung auf ihr Konto überwiesen worden.

In Österreich brauchte das Glamour-Couple diese Vorleistungen nicht zu erbringen. Sie haben zwischen Drehpausen Notstandshilfe bezogen, und das ist – zu diesem Urteil kam die Staatsanwaltschaft in der Vorwoche – auch in Ordnung.

„Sozialleistungen sind nun mal für alle zugänglich“, sagt Grünen-Sozialsprecher Karl Öllinger. Nur: Wie lange sind sie noch finanzierbar?

Seit Jahren bitten praktisch alle europäischen Regierungen ihre Bürger unbarmherzig zur Kasse: Mit einschneidenden Maßnahmen ins Steuer- und Sozialrecht sollen jene Budgetlöcher gestopft werden, die Globalisierung und Kapitalflucht, Maastricht-Vorgaben und Steuerausfälle durch Arbeitslosigkeit gerissen haben. Doch in immer mehr Staaten stoßen diese Maßnahmen an die Grenzen der politischen Akzeptanz.

Um all dem wenigstens den Anschein sozialer Symmetrie zu geben, führt die große Koalition in Deutschland nun eine „Reichensteuer“ ein. Künftig werden Alleinverdiener und Personengesellschaften jenen Einkommensanteil, der über 250.000 Euro Jahresbrutto liegt, mit einem dreiprozentigen Aufschlag versteuern müssen (für Familien liegt die Grenze bei 500.000 Euro Jahresbrutto). „In einem vernünftigen Gesamtpaket, wo jeder Bevölkerungsgruppe ihr Anteil am Sparpaket auferlegt wird, hat dies durchaus Berechtigung“, gibt sich Karl-Heinz Grasser generös. Doch in seinem rotweißroten Wirkungsbereich will der Finanzminister nichts davon wissen: „Das Thema stellt sich bei uns nicht.“

„Mit einer Reichensteuer sind keine großen sozialen Sprünge zu machen“, sagt auch Sozialministerin Ursula Haubner. „Das ist ein völlig falscher Ansatz.“

Dieser Befund ist – gemessen an den zu erwartenden Einnahmen – richtig. Aber er ist doch etwas defensiv für eine Ministerin, in deren Haus im Vorjahr ein Bericht erstellt wurde, der sich erstmals nicht nur mit der Armut im Land, sondern auch mit dessen Reichtum beschäftigte:

* Ein Prozent der Österreicher über 19 Jahre ist wirklich reich. Das Gesamtvermögen dieser rund 60.000 Personen summierte sich 2002 auf rund 318 Milliarden Euro. Die „unteren“ 90 Prozent der Bevölkerung verfügten nur über 299 Milliarden Euro.

* Das durchschnittliche Pro-Kopf-Vermögen der „Reichen“ war 2002 mit 5,4 Millionen Euro fast hundertmal höher als jenes der unteren 90 Prozent (56.000 Euro).

* Auch die „Wohlhabenden“ – knapp neun Prozent der Bevölkerung – verfügten mit 611.000 Euro Pro-Kopf-Vermögen über das Zehnfache der unteren Gruppe.

„Erstaunlich eigentlich“, sagt ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger, „dass wir uns in Anbetracht dieser Zahlen den Kopf darüber zerbrechen, woher wir zusätzliche 100 Millionen Euro für die Spitalsfinanzierung bekommen.“

Doch die Vermögens-Eliten verabschieden sich immer mehr von der Finanzierung des Solidarstaates. Industrielle, Medienzaren, Rechtsanwälte und sogar Sportler bringen ihr Vermögen in Stiftungen ein, um es an Erbschafts- und Einkommensteuer vorbeizuschleusen (siehe Grafik). Börsenotierte Unternehmer und Banken reizen das Steuerrecht bis an die Grenzen aus, um die Körperschaftsteuer auf ein Minimum zu drücken.

Vermögenszuwachs. Wie rasch das Vermögen in Österreich gewachsen ist, zeigt die Entwicklung des Lohnanteils am Volkseinkommen: Lag er Ende der siebziger Jahre noch bei 72 Prozent, so rangiert er heute bei 58 Prozent.

Trotzdem steigen die Einnahmen aus der Lohnsteuer seit Jahrzehnten kontinuierlich an. Zugleich sanken die Erlöse aus Körperschaftsteuer und so genannten Vermögensteuern – also Erbschafts-, Schenkungs- und Grundsteuer (siehe Grafik). Die Finanzierung des Staatshaushalts lastet immer stärker auf dem Gros der Unselbstständigen.

Den Status quo fasst das Wirtschaftsforschungsinstitut in einer aktuellen Studie so zusammen: „Die Ungleichheit der Einkommensverteilung zwischen den Lohneinkommen und Einkommen aus Besitz und Unternehmung weitete sich in den letzten drei Jahrzehnten deutlich aus.“

Zwar trifft das progressive Steuersystem die Besserverdienenden stärker als die unteren Einkommensschichten, und mit einem Spitzensteuersatz von formal 50 Prozent, real – wegen der begünstigten 13. und 14. Monatsgehälter – aber 43 Prozent, liegt Österreich knapp über dem EU-Schnitt von 41,4 Prozent. Doch Sozialversicherungsbeiträge, Mehrwertsteuer und andere Verbrauchssteuern heben diesen Effekt weitestgehend auf. Das Wifo hat in verschiedenen Studien errechnet,

* dass die Mineralölsteuer Monatseinkommen bis zu 1500 Euro brutto mit 4,6 Prozent belastet, Monatsverdienste bis zu 3000 Euro mit 4,7 Prozent und darüber liegende Gehälter mit nur noch 3,6 Prozent.

* Ähnlich verhält es sich mit der Mehrwertsteuer: Die untersten Verdienstgruppen liefern 17,8 Prozent ihres verfügbaren Einkommens an die Umsatzsteuer ab, die mittlere Gruppe 15,7 Prozent, die oberste nur noch 13,2 Prozent.

* Die Krankenversicherung kommt dem obersten Drittel mit 2,9 Prozent am billigsten, der mittleren Gruppe mit 3,5 Prozent am teuersten. Das unterste Drittel muss durchschnittlich 3,2 Prozent seines Bruttoeinkommens aufwenden.

„Die Belastung durch Steuern und Abgaben entspricht beinahe einem Flat-Rate-System“, sagt Wifo-Steuerexperte Markus Marterbauer, also linear über alle Einkommen. Und sie führt zu beinahe skurrilen Verzerrungen: Bis zu einem Monatsgehalt von 3500 Euro brutto – in diese Gruppe fallen immerhin 90 Prozent der 5,9 Millionen unselbstständig Erwerbstätigen – kommen Beschäftigte ihrem Dienstgeber am teuersten (siehe Tabelle). „Für einen Betrieb ist es relativ weit günstiger, einen Spitzenmanager einzustellen als eine Putzfrau“, ätzt SPÖ-Budgetsprecher Christoph Matznetter.

Wirtschaftsbund-Generalsekretär Karlheinz Kopf sieht dies naturgemäß anders: „Wir haben zwar ein solidarisches Versicherungssystem, trotzdem können wir die oberen Einkommensbezieher nicht über Gebühr zur Kassa bitten.“

Werden die Sozialausgaben für sich allein betrachtet, versteht man, was Kopf meint: Jeder zweite Euro aus dem Sozial- und Gesundheitsbudget fließt ins untere Einkommensdrittel. Ohne diese Umverteilung wären die Verhältnisse am untersten Ende der Einkommensskala noch trister, als es der Sozialbericht offenbart. Immerhin

* leben sechs Prozent der Österreicher, also 467.000 Personen, in akuter Armut;

* sind weitere sieben Prozent, also 577.000 Personen, armutsgefährdet;

* kann sich fast jeder zehnte Österreicher grundlegende Dinge wie neue Kleidung oder Möbel nicht leisten.

Doch es ist just diese Gruppe, die von indirekten Steuern und Gebühren – etwa Rezeptgebühr, Autobahnvignette oder Energiesteuer – überproportional belastet ist. Ferdinand Lassalle, Gründer der deutschen Sozialdemokratie, hatte schon 1867 indirekte Steuern als „Verbrechen“ bezeichnet.

Luxussteuer. Wirkliche Umverteilungspolitik schaffte nur die Wiener SP in der Ersten Republik. Während die meisten Wiener nach dem Ersten Weltkrieg nicht einmal wussten, wo sie sich waschen sollten, genoss die Oberschicht bald wieder einen extravaganten Lebensstil. Bei ihnen setzte der damalige SP-Finanzstadtrat Hugo Breitner an und besteuerte gnadenlos jeden Luxus: Hunde, Nobelrestaurants, Schaumweine, Hausangestellte, ja sogar Bordelle waren abgabenpflichtig. Der Erlös floss in den Bau von Sozialwohnungen, öffentliche Bäder und karitative Einrichtungen.

Die SPÖ-Alleinregierung ab 1970 kam an dieses Ausmaß an Umverteilung bei Weitem nicht heran. Zwar griff das Kabinett von Bruno Kreisky Minderbegüterten mit direkten Beihilfen für Schulfahrten, Geburten oder Hochzeiten unter die Arme. Doch im selben Ausmaß floss Bares auch an Begüterte. Der allgemeine Wohlstand wuchs, noch schneller wuchs das Vermögen: Die Einkünfte aus Dividenden, Vermietungen und Zinsen stiegen in der Ära Kreisky dreimal so stark wie die Löhne der Arbeiter und Angestellten.

In den folgenden Jahrzehnten wurde der finanzielle und politische Spielraum geringer. Die Regierungsbeteiligung der ÖVP ab 1986 schloss Umverteilungspläne von vornherein aus: Sozialminister Alfred Dallinger blitzte mit seiner Idee einer Wertschöpfungsabgabe ab – die Berechnungsbasis für die Dienstgeberbeiträge sollte um den Gewinn verbreitert werden. Stattdessen gewann die unternehmerfreundliche Standortpolitik an Gewicht. Anfang der Neunziger schaffte Finanzminister Ferdinand Lacina die Vermögensteuer ab und initiierte ein Privatstiftungsgesetz, um Kapital ins Land zu bringen.

Die im Gegenzug geplante Verschärfung der Erbschaftssteuer, die Entlastung der Löhne und eine stärkere Belastung des Kapitals, „die eigentlich vereinbart worden waren“ (Lacina), wurden nie umgesetzt. „Die meisten Versuche, das Geld von den Reichen zu sozial Schwächeren zu transferieren, scheitern an der politisch und finanziell mächtigen Oberschicht“, meint der Politologe Emmerich Talós.

Reiche bevorzugt. 1996 rechnete das Wifo in einer Umverteilungsstudie vor, dass im Vergleich zu den Achtzigern das obere Einkommensdrittel immer mehr von den öffentlichen Ausgaben profitierte: Steuerreformen und Transferleistungen brächten eher horizontale Verschiebungen – etwa von kinderlosen zu kinderreichen Familien – oder unterm Strich gar Vorteile für die obere Einkommensgruppe. Vom freien Hochschulzugang, unter Schwarz-Blau abgeschafft, zogen stets Kinder besser gestellter Familien Nutzen. Kinder aus Arbeiterfamilien finden weit seltener den Weg an die Universitäten.

„Die schwarz-blaue Koalition hat bruchlos fortgesetzt, was die Regierungen davor begonnen hatten“, kritisiert Caritas-Präsident Franz Küberl (siehe Interview). In den vergangenen fünf Jahren holte sich der Finanzminister laut Arbeiterkammer von den Unselbstständigen trotz Steuerreform netto 1,5 Milliarden Euro. An Wirtschaft und Unternehmer hingegen flossen 1,2 Milliarden Euro.

Dennoch: Von einer „Reichensteuer“ à la Deutschland will selbst die Opposition in Österreich nichts wissen. Der Budgetsprecher der Grünen, Werner Kogler, kann sich allerdings vorstellen, bei Jahresbruttobezügen über 200.000 Euro die steuerliche Begünstigung für den 13. und 14. Monatsgehalt auslaufen zu lassen: „Eine solidarische Gesellschaft darf sich nicht nur auf die freiwilligen Spendenleistungen der Superverdienenden verlassen.“ Es wäre allerdings, wie Kogler zugibt, mehr eine symbolische Geste. Nur zehn Prozent aller Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen unterliegen dem Spitzensteuersatz.

SP-Sprecher Matznetter will „von neuen Steuern nichts wissen: Ich wäre schon zufrieden, wenn die Unternehmer ehrliche 25 Prozent Körperschaftsteuer zahlen würden.“ Das Streichen von Ausnahmen wie Gruppenbesteuerung oder eine faire Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage würde „zwei bis drei Milliarden mehr pro Jahr bringen. Unterkante!“ Mit dem zusätzlichen Erlös sollen die Lohnnebenkosten, vor allem beim Mittelstand, hinuntergeschraubt werden. Erst in einem zweiten Schritt sei eine Anhebung der Höchstbeitragsgrundlage von derzeit 3450 Euro Bruttogehalt (Gehaltsbestandteile darüber unterliegen nicht mehr der Sozialversicherungspflicht) auf 5000 Euro denkbar.

Verfassungsrechtliche Einwände gibt es nicht: Diese Erhöhung „scheint sich in einem für Österreich akzeptierten Rahmen bewegen“, sagt der Jurist Bernd-Christian Funk.

Ex-Finanzminister Lacina bringt noch eine Denkvariante ins Spiel: „Es könnte die Höchstbeitragsgrundlage abgeschafft und im Gegenzug die Beitragshöhe für alle gesenkt werden.“

Flankenschutz für die Opposition kommt vom langjährigen Budgetfachmann des Wifo, Gerhard Lehner. Eine Anhebung der Höchstbeitragsgrundlage hielte er für „nicht unvernünftig“. Auch die Idee, das 13. und 14. Gehalt bei höheren Einkommen stärker zu besteuern, sei überlegenswert. „Das hat es bereits in den sechziger Jahren gegeben.“

Abgeschafft wurde dies in den Siebzigern von Hannes Androsch. Einem sozialdemokratischen Finanzminister.

Von Alexander Dunst, Martina Lettner und Ulla Schmid