Beach Slang: Der nächste Morgen wird ein guter sein
Hamburg im Mai dieses Jahres. Beach-Slang-Sänger James Alex Snyder steht im Club "Hafenklang" neben der Bühne auf der Treppe zum Backstagebereich. In der Hand ein Bier, auf dem Kopf ein Kapperl, den Rucksack umgeschnallt. Snyder ist das erste Mal mit Beach Slang in Europa auf Tour. In den vergangenen zwölf Monaten hat sich die Band aus Philadelphia mit zwei 7"-Platten zum Geheimtipp der US-amerikanischen Punk-Rock-Welt katapultiert. An diesem Abend teilt sich Beach Slang die Bühne mit der kalifornischen Band Knapsack als Headliner.
Der kleine Club ist mit rund 150 Leuten gut gefüllt. Knapsack spielen ihr letztes Lied, und Sänger Blair Shehan fordert zum Mitsingen auf. Snyder summt zunächst leise dann lauter mit, nimmt einen Schluck Bier, rückt sich sein Vans-Kapperl zurecht. Keine Stunde zuvor schrie er noch einige der eindringlichsten Punk-Rock-Lieder der letzten 15 Jahre in Richtung Hamburger Hafen. Energetisch, selbstbewußt, furchtlos. Nun wandert Snyders Blick verstohlen über das Publikum, und der 40-Jährige wirkt wie ein schüchterner Schuljunge in einer Ecke am Pausenhof, der sich fragt, ob ihn jemand beobachtet. Ein Außenseiter, sich seiner selbst nicht sicher, und doch am richtigen Platz. All right.
"We're all right now", singt Snyder auf Beach Slangs Debütalbum "The Things We Do To Find People Who Feel Like Us". Das Lied heißt "I Break Guitars". Und darin heißt es wenige Zeilen zuvor auch: "If rock and roll is dangerous. How come I feel so safe in it?" Der schüchterne Weirdo-Junge ist zwar älter geworden, die Welt außerhalb des Schulhofs hat sich als Enttäuschung erwiesen. Aber die Freuden von damals - die laute Musik und die dunklen Kellerclubs mit ihren sonderbaren Besuchern - sind immer noch da. Das ist beruhigend, das fühlt sich immer noch gut an. Und gibt auch Hoffnung: Denn wenn man sich nach all den Jahren und Erfahrungen, den müden Knochen, dem schweren Aufstehen, den betrunkenen Nächten, den verlorenen Lieben, den Stunden im Büro immer noch lautstark am Leben erfreut, dann kann alles nicht so schlimm sein. Und mehr noch: Vielleicht wird der nächste Morgen diesmal nicht nur all right, sondern auch mal gut. Richtig gut wohl eher nicht, aber gut, das ist nicht ausgeschlossen.
Musikalisch verpacken die vier Herren ihre zarte Lebensfreude in ein feines Gewebe ihrer Jugendmusik bestehend aus Jawbreaker, The Replacements und Goo Goo Dolls. Das ist nichts Neues. Doch die Ironiefreiheit, raue Zerbrechlichkeit und auch stimmliche Wechsel zwischen Sprung-in-den-Abgrund und freihändigem Fahrradfahren verleihen den zehn Liedern einen Sound, der Beach Slang als Punk-Rock-Band im 21. Jahrhundert unverwechselbar macht.
Textlich kommt fast keiner der Songs ohne die Wörter young, alive und drunk aus. Das mag im ersten Moment nach Nostalgie und der Weigerung, erwachsen zu werden klingen. Doch Snyder, der Ende der 1990er-Jahre mit der Pop-Punk-Band "Weston" kurzfristig bei einem Majorlabel unter Vertrag war, schaut nicht zurück. Dem 40-jährigen Musiker und Grafikdesigner geht es einzig und allein darum, ein Gefühl der jugendlichen Lebendigkeit nicht vollkommen in den Notwendigkeiten eines Erwachsenendaseins zu verlieren. Das mag man naiv nennen. Oder einfach in Freude (und Würde) altern. Denn das Aufstehen und der Weg zur Arbeit werden nicht leichter werden. Doch Beach Slang geben uns mit "The Things We Do To Find People Who Feel Like Us" laustark den Glauben, dass der nächste Morgen trotzdem ein guter sein wird. Und diese leise Hoffnung ist gerade in der aktuellen Krisenzeit ein guter Grund, den Lautsprecher ordentlich aufzudrehen. Am besten "Up to eleven". In diesem Sinne: "We are all right now."
"The Things We Do To Find People Who Feel Like Us" ist am 30. Oktober bei Polyvinyl Records erschienen. Beach Slang sind im Jänner und Februar auf Europatour, u.a. am 5. Februar im Cassiopeia in Berlin, am 9. Februar im B72 in Wien und am 10. Februar im Milla in München.