Christoph Waltz gefährdet als Bond-Bösewicht seine Karriere
Wer die Welt beherrschen will, nimmt im Kino gern die Abkürzung über den Verkehrsknotenpunkt 007. Ein wenig Megalomanie schwingt in der Entscheidung eines Schauspielers, sich als Gegenspieler James Bonds zur Verfügung zu stellen, stets mit. Zu Karrierehöhepunkten geraten diese Auftritte allerdings eher selten: Gert Fröbe musste sich 1964, als Einspringer für den zu teuren Orson Welles, in „Goldfinger“ synchronisieren lassen; Christopher Lee versuchte 1974 in „The Man with the Golden Gun“ erfolglos, sein Dracula-Image loszuwerden; Curd Jürgens sah in „The Spy Who Loved Me“ (1973) in seinem submarinen Palast auch nicht sonderlich glücklich drein, und Christopher Walken etablierte sich in „A View to a Kill“ (1983) bloß als der bizarrste Soziopathen-Darsteller diesseits von Klaus Kinski. Das sprichwörtliche Angebot, das man nicht ablehnen kann, erweist sich in der Bond-Serie bisweilen als Bumerang.
Was hat dich so lange aufgehalten? Kuckuck!
„Kuckuck!“ Aus dem pechschwarzen Schatten einer überdimensionierten Begräbnisfeier schält sich das Gesicht von Christoph Waltz. Sechs Jahre nach „Inglourious Basterds“ hat er in „Spectre“, dem offiziell 24. Abenteuer um den Meisteragenten, eine weitere ikonische Figur des Bösen übernommen. Es ist ein weit engeres Kostüm als die SS-Uniform des Hans Landa, in das er sich für Quentin Tarantino damals zwängen musste: Diese Figur gibt es seit den Anfängen des Bond-Filmuniversums in den 1960er-Jahren: Waltz spielt Ernst Stavro Blofeld alias Franz Oberhauser, den Kopf jenes Triumvirats, das mit einer Verbrecherorganisation namens Spectre alle Fäden im Hintergrund zusammenhält. Atomare Erpressung und globale Totalüberwachung sind Teil des Portfolios.
Der Kuckucksruf dieses prototypischen Schattenmanns, den einst Akteure wie Donald Pleasence, Telly Savalas und Max von Sydow gespielt haben, gilt nun Bond selbst. Dank der unerschöpflichen Fantasie der 007-Autoren ist Blofeld nun Bonds Ziehbruder aus österreichischen Kindertagen. Fragen Sie nicht, warum. Fragen Sie lieber mit Waltz: „Was hat dich so lange aufgehalten? Kuckuck!“
Angesichts des Status, den sich der Wiener mit seinen beiden Tarantino-Rollen („Inglourious Basterds“, „Django Unchained“), den dafür fälligen Oscars und dem Hollywood-Stern auf dem Walk of Fame erarbeitet hat, war es nur eine Frage der Zeit, bis Waltz die Rolle des Superschurken in der Bond-Serie angeboten werden musste. Die Produzenten wussten, dass sie mit diesem Mimen keinen Schurken mit der Präsenz von Mads Mikkelsen („Casino Royal“) oder gar dem heiteren Irrsinn des blondierten Javier Bardem („Skyfall“) rekrutieren würden. Im Inneren des globalen Crime-Kartells Spectre gehörte Charisma nie zu den Anstellungsbedingungen: Hier wird an der Spitze nach kalter Schachlogik agiert, die Bond nur durchbrechen kann, weil er die Berechnungen der Wahrscheinlichkeiten mit seiner irrationalen Direktheit so effizient durcheinanderbringt.
Waltz, der Mega-Gangster, sei „überall“, raunt ein Spectre-Mitarbeiter: „Er sitzt an Ihrem Tisch! Er isst mit Ihnen zu Abend! Er küsst Ihre Frau!“ Seit Dr. Mabuse oder Sherlock-Holmes-Kontrahent Professor Moriarty bekam kein Krimineller so viel Macht zugesprochen wie Franz Oberhauser, jene Allmachtsfantasie, die Waltz in „Spectre“ verkörpern darf. Er spielt ihn wie erwartet: freundlich-akribisch, mit Anklängen von leiser Arroganz. Selbst am Sadismus, den die Bond-Serie so gerne entfesselt, hat er ein bestenfalls technisches Interesse.
Method Acting ist Waltz’ Sache nicht, einen wirklich abgründigen Akteur wird man ihn nicht nennen wollen.
Für Waltz ist es eine Rolle, die gar nicht so fern ist von jener, die er auch in Interviews und Talkshows darstellt – den im Zweifelsfall ein wenig humorlosen, stets ehrlich anmutenden, auf Schutz der eigenen Person und seiner Lebenswelt bedachten Künstler, der sich über die Karriere freut, die ihn seit 2009 vom mittelerfolgreichen deutschsprachigen TV-Schauspieler zur globalen Erscheinung gemacht hat. Der Drahtzieher hinter diesem Erfolg war bekanntlich Tarantino, der mit Hans Landa eine Figur schrieb, für die Waltz perfekt passte, der sich niemals zu weit in die Verstellung vorwagt, im Spiel der eigenen Persönlichkeit treu bleibt. Das machte ihn schnell populär, beschränkte aber – wie die durchaus virtuos angelegten Auftritte in Roman Polánskis „Gott des Gemetzels“ (2011) und Terry Gilliams „The Zero Theorem“ (2013) zeigten – seine darstellerische Bandbreite. Method Acting ist Waltz’ Sache nicht, einen wirklich abgründigen Akteur wird man ihn nicht nennen wollen. Noch nach Jahrzehnten blitzen in Klaus Maria Brandauers Auftritt in „Sag niemals nie“ (1983) charakterliche Labilität und echter Größenwahn auf, eine Mischung aus Sein und Spiel, die einen als Zuschauer nie vom Haken lässt.
Waltz’ Auffassung der Blofeld-Figur dagegen folgt einer Vernunft, die das wahrhaft Gefährliche im Unscheinbaren sucht. Exzesse und Gefühlsausbrüche braucht Waltz nicht, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sein Blofeld/Oberhauser ist ein narzisstischer Verbrecher, der mehr Genuss aus der intimen Darstellung seiner Überlegenheit zieht als aus der großen Geste. Die Schattenwelt von „Spectre“, in der ihn Regisseur Sam Mendes anfangs mit so viel Bedacht und Traditionssinn präsentiert, passt dazu bestens.
Man kann sich ausmalen, dass Waltz am Drehbuch dieses eher mechanische Verständnis von Gewalt und Verbrechen fasziniert haben mag, die das Blofeld-Kartell prägt. Die Bond-Autoren und Waltz bezahlen dafür ihren Preis: „Spectre“ bleibt insgesamt ziemlich leblos. Unmittelbarkeit gibt es hier nicht. Blofeld-Waltz ist immer schon eine Agenda weiter, die jetzt schon in den nächsten und übernächsten Film hineingeschmuggelt werden muss, was die Möglichkeiten seiner Darstellung massiv beschränkt. Bei Waltz sind solche Geheimnisse immerhin gut aufgehoben, auch wenn er Bond einmal mit hochgezogener Augenbraue, auf dem Boden liegend, „Finish it!“ zuruft. Aber dies ist eine unendliche Geschichte. Sie kennt kein Ende. Man sieht einander wieder.