Filmkritik: Kinderpsychiatrie-Doku "Wie die anderen"
Nahaufnahmen aus dem Inneren der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Tulln: Bewusst episodisch angelegt, gibt dieser Film Fragmente von Fallstudien wieder, nur Anrisse, Andeutungen jener beunruhigenden, bewegenden und schmerzlichen Geschichten, die sich hier tagtäglich ereignen. Der therapeutische Prozess, die Interaktion zwischen Patienten und Personal, die spielerisch-kreative Auseinandersetzung mit den Jugendlichen bilden neben den innerbetrieblichen Diskussionen und Konflikten die erzählerischen Hauptlinien.
"Wie die anderen“ (ab 11. September in Österreichs Kinos zu sehen) ist ein ausdrücklich reflexiver Film, der die verschiedenen Schichten und Aspekte der psychiatrischen Arbeit veranschaulicht. Zwei Patientinnen, die eine narzisstisch und rhetorisch geschickt, die andere tief in sich zurückgezogen, werden unmerklich zu Protagonistinnen. Und durchaus gespenstisch muten viele der Berichte (und Bilder) von Selbsthass und Depression, von Autoaggression und Blutverlust an - Szenen einer beruflichen Realität, in der nichts Routine ist und der Ausnahmezustand als Regelfall gilt. Besonnen protokolliert Regisseur Constantin Wulff, mithilfe der agilen, nie nervösen Kameraarbeit Johannes Hammels, die Abläufe im Haus, die Therapie- und Supervisionsgespräche, die Nachtdienste und die Medikationsverwaltung, weist nebenbei auch auf die fließenden Grenzen zwischen Verhaltensauffälligkeit und psychischer Erkrankung hin.
Nichts Menschliches ist hier noch fremd
Die Gewalt ist in diesem äußerlich so beherrschten Film stets präsent, scheint unter seinen ruhigen Oberflächen umso deutlicher zu brodeln: wenn ein hinter der Tür und im Off unflätig tobender Jugendlicher zur Räson gebracht werden muss oder die mit Schnittnarben von oben bis unten bedeckten Arme eines Mädchens entblößt werden. Es geht, immer wieder, um Suizidgefahr und sexuellen Missbrauch, um desolate Familien, Alkoholismus und Essstörung: Nichts Menschliches ist hier noch fremd. Es spricht für die offene Atmosphäre, in der dieser Film entstand, dass es nun sogar eine Szene gibt, die von der Erschöpfung der Belegschaft, von Fachärztemangel und drohenden Leistungseinbußen zeugt - im Rahmen einer heftig geführten internen Konfrontation, in der Paulus Hochgatterer, Leiter der jugendpsychiatrischen Ambulanz, gegen den nur mühsam unterdrückten Zorn seines überforderten Ärzteteams anzutreten hat (und dabei durchaus in die Defensive gerät).
Wulff folgt den Vorgaben des Direct Cinema, inszeniert sachlich und unaufdringlich, ohne Musik, Interviews, Inserts und Off-Kommentar zu bemühen, ohne Erklärungskrücken und falsches Spektakel. Daraus ergibt sich jedoch kein "sprödes“ oder gar entsinnlichtes Filmerlebnis, sondern - im Gegenteil - eine hochkonzentrierte, dem Sujet verpflichtete, gewissermaßen "elementar“ spannende Darstellungsweise. Das Ereignis sind schlicht die Dinge, die vor (oder neben) der Kamera geschehen, die Debatten, die geführt werden, und die sanften narrativen Bögen, die sich aus der Ordnung dieser Bilder, Klänge und Worte ergeben; sie müssen nicht erst zu künstlichen Sehenswürdigkeiten stilisiert werden, sie reißen mit und wühlen auf, gerade weil sie den Alltag, aus dem sie kommen, nicht leugnen, weil sie nicht manipulativ gesetzt sind.