Clara Luzia: „Yes, it’s fucking political!“

Pop und Politik: Wer die Wahl hat, hat die Qual

Pop und Politik: Wer die Wahl hat, hat die Qual

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Krieg, Flüchtlingsströme, Wirtschaftskrise, Verlustängste: das letzte Jahr hat das Politische nicht nur vor unsere Haustüren, sondern mitten in unsere Wohnzimmer gebracht. Gleichzeit bekommt die Zivilgesellschaft wieder ein Gefühl dafür, wie viel jeder Einzelne für andere Menschen tun kann. Auch die heimische Popmusik findet dazu unterschiedliche Zugänge, die sich mit der Frage beschäftigen, wie wir in Zukunft leben wollen. Ein Erklärungsversuch in fünf Alben:

Clara Luzia mit „Here’s To Nemesis“

„Yes, it’s fucking political!“ sagt Clara Luzia über ihr neues, sechstes Album „Here’s To Nemesis“ und sucht darauf intensiver denn je nach dem richtigen Leben im falschen. Was sich nach Phrasendrescherei anhört, geriert sich bei der 37-jährigen Künstlerin zum politischen Manifest. Denn wer die eigene comfort zone nicht verlassen will, der wird in den sanften Klängen der Singer/Songwriterin nur wohltemperierte, reduzierten Balladen entdecken; wer aber genauer hinhört, der wird auf „Here’s To Nemesis“ auch die pure Wucht ihrer Gesellschafts- und Kapitalismuskritik zu spüren bekommen. Wie keine andere heimische Künstlerin schafft es Clara Luzia, nicht mit erhobenem Zeigefinger die Clubs des Landes zu erobern, sondern mit leiser starker Stimme den Finger in die offenen Wunden legen.

„Here’s To Nemesis“ ist am 9. Oktober bei Asinella Records erschienen.

Fijuka mit „Use my Soap“

Glamour, Haarspray, Disco: Die beiden Frauen des Wiener Pop-Duos Fijuka machen sich auf ihrem zweiten Album „Use my Soap“ auf die Suche nach dem großen Popsong. Dass Ankathi Koi und Judith Filimónova auf ihren acht Songs zwischen selbstbestimmter Unabhängigkeit und der Anziehung durch fremde Mächte nicht vordergründig politisch sind, macht auch den Reiz dieses gelungenen Popexperiments aus. Im Mittelpunkt steht hier das Körperliche und das Spiel mit Anziehung und Distanz, Abweisung und Lebensgier. Der zentrale Song des Album, „No one gets anything from me (for free)“, der in zwei Teilen in der Mitte und am Ende steht, zeigt, wie politisch das Spiel mit der Discokugel sein kann: Wer versucht uns zu verführen, könnte selbst schneller im Netz zappeln, als ihm lieb ist.

„Use my Soap“ ist am 25. September bei Seayou Records erschienen.

Schmieds Puls mit „I care a little less about everyhting now“

Wie immer die Wahl in Wien ausgeht: Ein gutes Motto für 2016 könnte sein: „I care a little less about everyhting now“ proklamiert die junge Künstlerin Mira Lu Kovacs alias Schmieds Puls auf ihrem zweiten Album und ist kurz davor aufzugeben. Aus Apathie, Verwahrlosung und Leere entstehen hier elf schöne Songminiaturen, die fast nur mit Gitarre und Gesang vorgetragen werden. Wer die Hoffnung auf das gute Leben beinahe aufgegeben hat, aber trotzdem weitergeht, der wird entlang des Weges wieder auf unerwartet positive Begegnungen stoßen. In Zeiten großer Flüchtlingsströme, Wirtschafts- und Eurokrise mag das nur ein schwacher Trost sein. Auf Antwort auf die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen, ist Schmieds Puls Musik aber auch ein beruhigendes Versprechen: wenn die Politik die Tore schließt, kümmern sich andere Kräfte um unser zartes Glück.

„I care a little less about everyhting now“ erscheint am 16. Oktober bei Seayou Records.

Esteban's mit „Overthrown“

Wenn Politik die Kunst des Möglichen ist, dann ist die Musik die Kunst der Lebensaufarbeitung. Der 34-jährige Musiker Christoph Jarmer alias Esteban's hat sich nach der Trennung von seiner Band Garish nun seinem dritten Soloalbum gewidmet und erzählt hier munter von Beziehungstherapie, Vatersein und Neuordnung. Dass die beinahe 20-jährige Verbindung zu seiner Stammband nicht ohne Spuren geblieben ist, hört man dem reduzierten „Overthrown“ an. Jarmer mischt seine akzentuierte Stimme mit geerdet-bodenständigen Gitarren und eingestreuten Klaviermomenten zu einem unaufdringlichen Rückzugs- und Fluchtpunkt. Alles Private ist eben nicht nur politisch, sondern vor allem auch Politik im kleinen Kreise.

„Overthrown“ erscheint am 9. Oktober bei Schönwetter Records.

Raphael Sas mit „Nackerte Lieder“

"Raphael Sas denkt ans Erwachsenwerden", schreibt sein Label über Raphael Sas' zweites Album. So richtig zu freuen scheint sich der Liedermacher aber nicht über das neue Leben. Da wird ein wenig geraunzt über das grantige Wien, ein bisschen getrauert um endende Beziehungen und ein bisschen skeptisch darüber nachgedacht, was da noch so kommen könnte im Leben eines Erwachsenen. Das alles klingt ein bisschen zu sehr nach Enttäuschung - und am Ende der neun Lieder steht kein Protestalbum, sondern eher ein Protestwähler. Das Abschlussstück "Wo ich bin ist vorn" vermag seinen eigenen Slogan dann auch selbst nicht ganz ernst zu nehmen. Die nicht immer ganz rosige Welt des Erwachsenwerdens verdrängt die Unbekümmertheit der jungen Jahre. Und beim nächsten Mal wird sich der gute Mann wohl entscheiden müssen: Kommt die altersbedingte Gleichgültigkeit oder fasst man doch noch einmal ordentlich Mut?

„Nackerte Lieder“ ist am 8. Oktober bei Problembär Records erschienen.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.