US-Schriftstellerpaar über Trump: "Wir haben alle Angst vor ihm"
Dieser Artikel erschien im profil Nr.43 vom 24.10.2016.
"Ich suchte nach einem ruhigen Ort, um zu sterben. Jemand empfahl mir Brooklyn, und so machte ich mich am nächsten Tag auf." So beginnt Paul Austers Roman "Die Brooklyn-Revue", und es wirkt tatsächlich alles ganz friedlich an diesem Herbstnachmittag in Park Slope. Die Cafés sind voller junger Menschen und Mütter mit kleinen Kindern, das Sonnenlicht fällt durch die Bäume auf die vier Stufen der rostbraunen Stadthäuser mit den Eisenbalkonen. Es ist das Amerika, das man außerhalb Amerikas liebt.
In diesem wohlhabenden Teil Brooklyns ist die globalisierte Elite zu Hause, hier leben Intellektuelle und Künstler, orthodoxe Juden und Transvestiten Tür an Tür. Hier leben auch Paul Auster und Siri Hustvedt. Sie sind wahrscheinlich das bekannteste Schriftstellerpaar Amerikas, ganz sicher sind sie die Lieblinge des europäischen Feuilletons. Paul Auster wurde Ende der 1980er-Jahre berühmt durch seine "New York-Trilogie". Es folgten unzählige Romane, Essays und Drehbücher. Von ihm stammt der viel zitierte Satz: "Das erst ist der Beginn des 21. Jahrhunderts." Er schrieb ihn am 12. September 2001, da lag die Staubwolke über Manhattan, und darunter lagen die Zwillingstürme in Asche. Über New York hat auch Siri Hustvedt geschrieben. "Was ich liebte" ist ein Roman voller Trauer und unverarbeiteter Geschichte, und wie so oft bei Hustvedt hat man beim Lesen ein wenig das Gefühl, auf der Couch eines Analytikers zu liegen.
Hustvedt, Tochter norwegischer Einwanderer, ist in Minnesota aufgewachsen, bevor sie Ende 1978 nach New York kam und sich drei Jahre später in Auster verliebte. "Es war Liebe auf den ersten Blick, bei Paul dauerte es etwas länger." Viel zu lange galt sie nur als Austers Frau. Obwohl sie schon zuvor viel geschrieben hatte, wurde sie erst mit ihrem Roman "Die unsichtbare Frau" weltweit bekannt. Sie hat sich mit ihrer eigenen Biografie befasst und in "Die zitternde Frau" mit ihrem Körper. Auster und Hustvedt haben ein gemeinsames Kind, Sophie. Auster öffnet die Tür und bittet hinein. Das Wohnzimmer ist voller Bücher und Fotos. Ein Diwan, schmale Leselampen, ein dunkler Parkettboden, der knarzt.
Auster hält eine elektronische Zigarette in der Hand. Er habe einmal mit dem Rauchen aufgehört, sagt er, und sich in ein Monster verwandelt. "Da lebe ich lieber ungesund."
profil: Frau Hustvedt, Herr Auster, Sie wohnen in Brooklyn, dem Symbol des offenen, des toleranten Amerika. Über dieses Amerika aber wird im November abgestimmt. Donald Trump will einen anderen Weg, will Mauern bauen und Immigranten aus dem Land schmeißen. Ist das "Modell Brooklyn" in Gefahr? Paul Auster: Ich weiß nicht, was passieren wird, sollte Trump gewinnen. Alles ist möglich. Vielleicht kommt es zu einem Coup, und man jagt ihn aus dem Weißen Haus? Ich weiß allerdings eines: Wir stehen tatsächlich an einer Wegscheide. Wie vielleicht noch nie in unserer Geschichte geht es um die Frage, für welches Modell wir uns entscheiden: das "Modell Brooklyn", wie Sie es nennen; oder Trumpland. Für mich ist Brooklyn das Herz Amerikas. Auch wenn uns alle übrigen Amerikaner hassen. Wir New Yorker repräsentieren die Ideale der USA, so wie die Gründerväter sie definierten: Brooklyn ist ein Ort, an dem alle gleich sind.
Im Geheimen werden sich viele Männer gesagt haben: Richtig so, Donald, endlich zahlt es einer diesen Weibern mal heim. (Siri Hustvedt)
profil: Es gibt ein Zitat der Journalistin Pauline Kael aus den 1960er-Jahren. Sie fragte sich damals, wie Nixon überhaupt gewählt werden konnte, weil sie schlicht niemanden kannte, der ihm seine Stimme gab. Wie ist das bei Ihnen? Wann waren Sie zum letzten Mal in Trumpland? Auster: Ich war neulich in South Carolina und fand es sehr interessant. Es ist nicht so, dass ich nie Siri Hustvedt: aber Paul, du warst an der Universität, nicht in einem Fast-Food-Lokal. Du hast nicht mit Trump-Unterstützern gesprochen, die dir erzählten, warum sie ihn im November wählen. Auster: Ich lebe nicht in einem Elfenbeinturm. Wir kennen durchaus Leute, die für Trump stimmen. Es sind auch Leute aus Brooklyn. Hustvedt: Wer? Auster: Unser ehemaliger Klempner zum Beispiel. Hustvedt: Machst du Witze? Auster: Ich bin mir sicher. Und die Friseuse am Ende der Straße auch.
profil: Wer ist Donald Trump? Auster: Es gibt eine Anekdote, die ihn ganz gut charakterisiert. Vor Jahren soll er Gäste zu einem Golfturnier eingeladen haben. Er sagte, wer ein Hole-inone schaffe, also den Ball mit mit nur einem Schlag ins Loch trifft, der erhalte eine Million Dollar. Zu Trumps und aller Überraschung ist das tatsächlich einem der Gäste gelungen, ein seltener Zufallstreffer. Trump habe eine große Feier veranstaltet, doch den Gast ein paar Tage später über eine Versicherungsfirma wissen lassen, dass er die Million doch nicht auszahlen könne, weil die Distanz zum Loch zu gering gewesen sei. Statt 150 Yards seien es nur 147,4 gewesen. Trump schaffte es am Ende, die Summe auf 150.000 herunterzuhandeln. Das ist Trump. Hustvedt: Trump hat es geschafft, zur Marke zu werden, weil er jede Woche 20 Millionen Menschen am Fernsehen in seiner Sendung "The Apprentice" sagte, wie unglaublich erfolgreich er sei. Dabei wissen wir heute, dass das nicht stimmt. Trump hat Geld gemacht, indem er seinen Namen auf hässliche Gebäude klebte, fünf goldbraune Buchstaben, und dafür Lizenzen verlangte. Das ist Trump.
profil: Können Sie aus Ihrem Wohnzimmer in Brooklyn heraus überhaupt verstehen, warum Menschen Trump wählen? Hustvedt: Was heißt hier "Wohnzimmer in Brooklyn"? Ich komme aus einer Kleinstadt in Minnesota. Ich bin aufgewachsen unter Menschen, die Teil des Trump-Phänomens sind. Früher, kurz vor Ronald Reagan (US-Präsident 1981-89, Anm.), haben viele Bauern und Arbeiter ohne höhere Bildung eher für die Demokraten gestimmt. Die Linken haben damals gegen die Banken gewettert und gegen Stadtmenschen und Intellektuelle mobilgemacht. Ein linker Populismus, der keine Spur besser war als der rechte von heute. Aber diese alte Linke ist erodiert. Ich weiß also, wie die Menschen in Trumpland denken. Erst neulich kam mir meine Großmutter wieder in den Sinn. Sie erzählte einmal, wie sie ein schwarzes Baby im Arm hielt und überrascht war, weil es sich anfühlte wie jedes andere Baby auch. Was sollte ich mit so einer Aussage tun? Sie war rassistisch. Aber ich liebte meine Großmutter. Auster: Darüber hat Obama schon geschrieben. Wie er seine weiße Großmutter liebte, obwohl ihn ihre Ansichten über Schwarze schauderten. Hustvedt: Meine Großmutter war Republikanerin und verehrte Dwight Eisenhower (US-Präsident 1953-61, Anm.). Doch als er sie enttäuschte, hängte sie sein Bild in die Außentoilette, sie hatte kein Bad im Haus. Jedes Mal, wenn man sich aufs Klo setzte, schaute man Eisenhower in die Augen. Auster: Sie wurde im 19. Jahrhundert geboren und wurde sehr alt. Als ich sie zum ersten Mal traf, war sie schockiert, weil ich schon einmal verheiratet war und einen kleinen Sohn hatte. Das war 1981, weißt du noch, Siri? Hustvedt: Natürlich. Sie hat vorausgesagt, dass unsere Beziehung nicht lange halten werde. Auster: Wir haben sie auf der Farm besucht. Mein Sohn Daniel war vier Jahre alt in jenem Sommer. Ja, sie dachte, wir würden uns bald trennen, aber sie hat sich geirrt. Ich habe damals den ganzen Nachmittag darauf gewartet, dass sie auch noch etwas gegen Juden sagen würde. Hat sie aber nicht. Ich hätte nicht gewusst, wie ich mich verhalten hätte. Am Ende aber waren wir gut befreundet. Sie mochte mich. Hustvedt: Sie war eine Persönlichkeit. Ich liebte meine Großmutter, trotz ihrer Vorurteile. Wie reagiert man in Europa auf Trump?
Denn gewinnt Trump, wird es ein anderes Land werden. Amerika wird sich in einen Witz verwandeln. Wir werden zum Gespött - und uns schämen. (Paul Auster)
profil: Man reibt sich die Augen und wundert sich, wie es passieren kann, dass solch ein Kandidat so weit kommen kann. Hustvedt: Wundern? Gerade ihr Europäer habt doch Erfahrung mit solchen Kandidaten. Der Rechtspopulismus in Europa ist auf dem Vormarsch, Trump ist kein isoliertes Phänomen.
profil: Rechtspopulisten gibt es in vielen Ländern. Doch einen Kandidaten wie Trump, mit seiner Geschichte, seinen Auftritten und Beleidigungen, gibt's nicht noch einmal. Auster: Ich gebe Siri recht. Es ist überall dasselbe. Es gibt den Front National, das Brexit-Votum in Großbritannien, die Goldene Morgenröte in Griechenland. Es gibt Orbán in Ungarn Wie heißt der Mann in Östereich?
profil: Hofer. Auster: Hofer. Und es gibt die Konservativen in Dänemark. Etwas kann nicht stimmen, wenn selbst Skandinavien betroffen ist.
profil: Falls es überall dasselbe ist, wie Sie behaupten, falls der rechte Populismus zeitgleich in Erscheinung tritt, stellt sich die Frage nach dem Zeitpunkt: Warum jetzt? Auster: Der Krieg in Syrien hat einen großen Einfluss. Die vielen Immigranten, die nach Europa kommen, haben die Menschen unnötig verängstigt. Das hat den dumpfen Patriotismus verstärkt, der sich an Landesgrenzen klammert und der lange unter der Oberfläche schlummerte. Dazu kommt, dass wir in ökonomisch unstabilen Zeiten leben. Menschen schnallen den Gürtel auf beiden Seiten des Ozeans enger. In Amerika kommt der Rassismus hinzu. Seit Obama im Amt ist, sind die Menschen nicht weniger rassistisch. Im Gegenteil. Rassismus ist jetzt Mainstream. Noch nie zuvor wurde ein Präsident so oft bedroht, Obama hat zehnmal so viel Sicherheitspersonal wie seine Vorgänger. Die Menschen sind erbost, dass ein schwarzer Mann unser Land anführt. Das Ausmaß an Hass, das Obama entgegenschlägt, ist beispiellos. Früher verlieh das Amt selbst dem dümmsten Präsidenten eine gewisse Würde. Obama aber wird von allen Seiten angerempelt. Es ist noch nicht lange her, da sagte Mitch McConnell, immerhin Mehrheitsführer im Senat: "Unser einziger Job ist es, Obama zu blockieren." So etwas gab es früher nicht.
Der Aufstieg Trumps ist verbunden mit dem Verlust dessen, was diese Menschen als das goldene Zeitalter männlicher, weißer Macht betrachten. (Siri Hustvedt)
profil: "Wir stehen am Tiefpunkt unserer Geschichte", schrieb Paul Krugman jüngst in der "New York Times". Auster: Ich glaube nicht, dass wir den schlimmsten Moment in der amerikanischen Geschichte erleben. Hustvedt: Bei Weitem nicht. Auster: Politisch aber sind wir im Stillstand. Das Land war nicht mehr so gespalten seit dem Sezessionskrieg.
profil: Brooklyn gegen Trumpland. Die Wahl 2016 ist auch eine Wahl zwischen den urbanen Zentren und dem Land. Auster: Es gibt in Amerika keine wirkliche Großstadt, die nicht demokratisch wäre. Das war bei Obama schon so. Hustvedt: Man muss sich die Demografie der Wähler anschauen, um das Trump-Phänomen zu verstehen. Wir reden in erster Linie über weiße 60-jährige Männer ohne College-Abschluss. Natürlich gibt es auch andere, keine Frage, aber das ist Donald Trumps Kernwählerschaft. Schwarze, Latinos, Asiaten sind alle für Clinton und haben einen immer größeren Einfluss auf die Wahl. Die USA sind bald ein zweisprachiges Land. Interessant wird auch sein, wie sich die jungen Wähler verhalten. Mich erstaunt immer wieder, wie wenig ideologisch die heutigen Jugendlichen sind. Sie reagieren emotional, daran ist ja nichts auszusetzen. Sie demonstrieren auf der Straße und im Netz, aber sie machen keine Unterschiede zwischen rechts und links. Sie denken die Standpunkte nicht durch.
profil: Das ist eine grobe Verallgemeinerung. Hustvedt: Stimmt. Aber ich habe mich geärgert neulich, als ich gelesen habe, dass die Mehrheit der Jungen eine Frau als Präsidentin zwar begrüßt, aber von Hillary Clinton dennoch wenig hält. Warum? Es ist noch nicht einmal 100 Jahre her, dass Frauen in Amerika wählen dürfen. 50 Jahre vor den Schweizern allerdings. Auster: Die Schweizer sind die Schlimmsten. Hustvedt: Aber auch bei uns liegt es nur ein Menschenleben zurück, dass Frauen am politischen Leben teilnehmen können. Und Hillary Clinton hat sehr viel für die Frauen getan. Die Wahl ist historisch.
profil: Der Aufstieg Trumps ist die Rache des weißen Mannes. Hustvedt: Der Aufstieg Trumps ist verbunden mit dem Verlust dessen, was diese Menschen als das goldene Zeitalter männlicher, weißer Macht betrachten.
profil: Wird er gewinnen? Auster: Ich habe mich schon bei Bush geirrt und hätte es nie für möglich gehalten, dass ein so dumpfer Mann unser Land anführen wird. Was Trump angeht, dachte ich lange auch so. Bis zu diesem Sommer. Bis zum Brexit-Votum. Was, wenn wir alle so überrascht werden wie die Engländer? Ich sah damals eine Dokumentation auf BBC. Ein Reporter interviewte eine ältere Dame in einem Küstenort von Cornwall. Sie war erst ganz freundlich und höflich. Irgendwann aber sagte sie im schönsten britischen Akzent: "Ich hoffe, die füllen den Eurotunnel bis oben mit Zement, damit keiner mehr zu uns rüberkommt." An diesen Satz muss ich häufig denken und an das Gesicht dieser Frau.
Eine falsche Bewegung von Clinton, und alle fallen über sie her. (Paul Auster)
profil: Erklärt der Bedeutungsverlust des weißen Mannes auch, warum so viele Menschen Clinton derart hassen? Hustvedt: Der Hass hat mit der Frauenfeindlichkeit in der amerikanischen Gesellschaft zu tun. Es ist eines der letzten Tabus und wird von den Medien totgeschwiegen. Natürlich, es gibt auch in den USA Feministinnen, es gibt die Diskussionen über gläserne Decken und zu wenige Frauen in Führungspositionen. Es gibt die wöchentlichen Debatten über Donald Trumps frauenfeindliche Äußerungen, wobei immer alle aufs Neue so tun, als wären sie schockiert - dabei war bei so einem Kandidaten nichts anderes zu erwarten.
profil: Was wird totgeschwiegen? Hustvedt: Der Diskurs über Frauenfeindlichkeit läuft über Trump, nicht über Clinton. Eine Schande, dass Trumps Sätze alle in Rage versetzen, aber Hillary Clintons Alltag keinen interessiert. Nie wird berichtet, was sie alles ertragen musste. Auster: Clinton wird schon seit Jahrzehnten verteufelt. Am Tag ihres berühmten CBS-Interviews 1992, im Vorwahlkampf, als sie sagte, sie werde nicht zu Hause sitzen und Kekse backen, fing der Hass an. Was sich Clinton nicht schon alles anhören musste: Sie sei eine Mörderin, Lügnerin, sie sei korrupt. Sie befindet sich auf einer konstanten Gratwanderung. Eine falsche Bewegung von Clinton, und alle fallen über sie her. Während Kerle wie Trump auf einem breiten Boulevard hinunterstolpern und sich anscheinend alles erlauben dürfen. Trump meinte vor ein paar Monaten, er könnte auf der Fifth Avenue jemanden erschießen und würde keine Stimmen verlieren. Und wissen Sie was? Er hat wahrscheinlich recht. Hustvedt: Monatelang wurden Trumps Beleidigungen damit erklärt, dass er eben kein Politiker sei. Es ist ein dummes Argument, weil es hieße, man dürfe Hass säen, nur weil man ein Außenseiter und Milliardär ist. Ich glaube, man hat ihm vieles durchgehen lassen, weil er gegen eine Frau antritt. Das ist der wahre Grund - die Frauenfeindlichkeit. Im Geheimen werden sich viele Männer gesagt haben: Richtig so, Donald, endlich zahlt es einer diesen Weibern mal heim. Zeig es ihr nur, Donald!
profil: Woran krankt das Land mehr -an Rassismus oder an Frauenfeindlichkeit? Hustvedt: An beidem. Über Frauenfeindlichkeit zu sprechen bereitet aber vielen noch mehr Mühe, als über Rassismus zu reden. Sozialwissenschafter haben in einer Untersuchung 2000 fingierte Bewerbungsschreiben an Professoren wichtiger amerikanischer Universitäten verschickt. Derselbe Inhalt, dieselbe Form. Sie haben nur verschieden unterschrieben: einmal mit einem Männer-, einmal mit einem Frauennamen. Dann noch ein Durchgang, einmal mit einem afroamerikanischen und einmal mit typisch hispanischem Namen. Das Ergebnis lautete, dass der weiße Junge am meisten Antworten erhielt, die schwarze Frau am wenigsten. Der Einfluss der Hautfarbe war geringer als der Einfluss des Geschlechts. Als Barack Obama kandidierte, war die Tatsache, dass er schwarz war, ein großes Thema. Ich selbst habe geweint, als er gewann, weil ich mit der Bürgerrechtsbewegung aufgewachsen bin. Auster: Es war einer der glücklichsten Momente in meinem Leben. Hustvedt: Ich hab geschluchzt, es war so emotional. Aber jetzt, mit Clinton, kommt wieder ein so großer Moment auf uns zu, die erste Frau im Weißen Haus, doch das scheint niemanden zu interessieren. Warum eigentlich nicht? Wo bleibt das Geschichtsbewusstsein? Die Begeisterung? Natürlich, Obama ist der eloquentere Redner. Er kann ganze Hallen für sich gewinnen. Clinton aber hat es ungleich schwerer. Frauen dürfen keine Emotionen entfachen, sie dürfen auch nicht allzu laut sprechen oder einen Raum kommandieren.
profil: Warum nicht? Hustvedt: Mächtige Frauen wirken auf viele Männer angsteinflößend, weil sie sie an ihre Mütter erinnern. Das wissen wir aus der Psychoanalyse. Das schwingt im Hintergrund mit. Es ist, wie Paul sagt, ein ganz schmaler Grat, auf dem sich Clinton bewegen darf. Clinton muss männlich genug erscheinen, um das Land anzuführen. Aber wenn sie übertreibt und plötzlich zu männlich wirkt, kommt der Hass. Und auf diesem Grat läuft Hillary Clinton schon seit Jahrzehnten. Zudem kommen die üblichen Klischees, gegen die sie ankämpfen muss: dass Frauen eher für das Körperliche und Emotionale zuständig seien und deshalb weniger für das Amt des Präsidenten taugen. Man muss sich nur einmal anschauen, was man aus Michelle Obama machte, sie hatte es ja doppelt schwer. Sie ist schwarz und zudem eine Frau. Doch populär wurde sie erst, als sich diese kluge und brillante Anwältin um den Garten des Weißen Hauses kümmerte. Den Garten! Das muss man sich einmal vorstellen. Wir sind im Jahr 2016, doch Michelle muss sich künstlich in eine Landesmutter verwandeln, die Karottensäfte presst, um sich beliebt zu machen.
Eine Niederlage Clintons gegen diesen Kandidaten wäre der ultimative Beweis für die tiefe Verankerung der Frauenfeindlichkeit in der amerikanischen Gesellschaft. (Siri Hustvedt)
profil: Angela Merkel ist eine Frau und seit Jahren an der Macht. Wieso geht das in Deutschland, aber nicht in Amerika? Hustvedt: Für Frauen auf der politisch rechten Seite ist es einfacher.
profil: Weshalb? Hustvedt: Rechte Positionen werden normalerweise als maskuliner verstanden. Margaret Thatcher (britische Premierministerin 1979-90) war rechts. Indira Gandhi (indische Premierministerin 1980-84), Golda Meir (israelische Premierministerin 1969-74), alle konservativ. Bei linken Frauen verstärken sich die Klischees der weichen Politikerin. Links und Frau, das ist für viele Männer zu viel.
profil: Ein Gedankenspiel: Wäre Hillary Clinton ein Mann namens Christopher Clinton, dann ... Auster: wäre sie beliebter, erfolgreicher und in den Umfragen viel weiter vorne. Hustvedt: Das glaube ich auch. Christopher Clinton wäre das Gegennarrativ zu Trump, der Stimmen holt, indem er auf Macho macht. Trump gibt den Cowboy, die Posen, sein Gang, achten Sie mal darauf. Ist Ihnen schon aufgefallen, dass er immer alles wiederholt? Paul hat mich darauf aufmerksam gemacht. Jeder Satz kommt zwei Mal. Auster: "Ich baue eine Mauer, ich baue eine Mauer." Es ist kaum auszuhalten.
profil: Wie erklären Sie es sich, dass nach allem, was passiert ist, Frauen überhaupt noch Trump wählen? Hustvedt: Das zu verstehen, bereitet mir Mühe. Es ist ja nicht so, dass Trump eine konservative Politik vertritt, die Frauen zurück zum Herd beordert. Auster: Er vertritt gar nichts. Hustvedt: Wir sprechen über einen Mann, der alles Weibliche als Schmutz empfindet. Er spricht über Menstruation und verzieht das Gesicht. Stillende Mütter sind ihm zuwider. Er erträgt Frauen nur, wenn sie makellos scheinen und nicht zu viel sprechen.
profil: Sollte Hillary Clinton verlieren, trotz aller Kompetenz, die sie mitbringt, und trotz der Skandale ihres Gegners: Was würde das für amerikanische Frauen bedeuten? Hustvedt: Ich denke, wir hätten es dann schwarz auf weiß, dass die Frauenfeindlichkeit in der amerikanischen Gesellschaft tief verankert ist. Eine Niederlage Clintons gegen diesen Kandidaten wäre der ultimative Beweis dafür.
Trump hat es geschafft, die Hälfte des Landes davon zu überzeugen, dass Obama außerhalb der USA geboren wurde. (Paul Auster)
profil: Ist Amerika noch immer dieser Leuchtturm der Demokratie, als der das Land sich selbst sieht? Hustvedt: Ronald Reagan sprach von Amerika als "leuchtende Stadt auf dem Hügel". Aber das war ja immer ein wahrheitsverzerrtes Bild. Schon in der Verfassung gab es Ungerechtigkeiten. Am Anfang durften nur weiße Männer mit Landbesitz stimmen. Sklaven zählten nur drei Fünftel einer Person. Das Stimmrecht für die Frau kam erst 1920. Auster: Reagan wird nun wie ein Heiliger verehrt, dabei hat er schreckliche Dinge getan. Ich hasse Reagan. Was war das für ein Idiot, aber dies nur nebenbei. Seit 200 Jahren ist Amerika für den Rest der Welt ein Vorbild. Die Freiheitsstatue im Hafen New Yorks ist für Millionen von Menschen von großer Bedeutung. Die Verfassung basiert auf guten Prinzipien, zugleich aber war es immer auch scheinheilig, von Amerika als Vorbild zu sprechen. Es begann mit dem Genozid an den Indianern. Die spätere Erfolgsgeschichte des Landes wurde auf dem Rücken schwarzer Sklaven ausgetragen. Zu behaupten, es sei das Land der Freiheit, ist einfach nicht wahr. Seit Amerika besteht, kämpfen wir gegeneinander. So sind wir. Es ist unsere genetische Veranlagung. Hustvedt: Bitte, Paul, benutze das Wort "genetisch" nicht. Auster: Doch. Das Land baut auf ethnischen und rassistischen Kämpfen auf. Das ist tief eingewoben in den Stoff unserer Flagge. Selbst in Brooklyn. Ich bin hier aufgewachsen, erst in Newark, doch meine Großeltern lebten in der Gegend. Wie oft habe ich gehört, wie meine Verwandten über die Schwarzen sprachen. Es gab einen tiefen Hass zwischen den Juden und den Afroamerikanern, mittlerweile ist das alles ein wenig verjährt. Im Herbst 1968 aber, als alle Hippies von Frieden sprachen, gab es in Brownsville, einem Viertel Brooklyns, einen Streik der Lehrergewerkschaft. Die meisten Lehrer waren Juden, die Schüler alle schwarz. So viel Rassismus und Antisemitismus auf engstem Raum wie in jenen Tagen habe ich kein zweites Mal erlebt. Hustvedt: Was willst du damit sagen? Auster: Lass mich bitte ausreden. Was ich sagen will, ist: Wir hatten den rechten Hetzer Barry Goldwater (republikanischer Präsidentschaftskandidat 1964), wir hatten den unfähigen George W. Bush. Aber Trump, das ist etwas Neues. Wir wissen nicht, wie wir mit ihm umgehen sollen. Er ist ja nicht einmal ein Konservativer. Er wiederholt seine Sätze so lange, bis man sie ihm glaubt. Er hat es geschafft, die Hälfte des Landes davon zu überzeugen, dass Obama außerhalb der USA geboren wurde. Er hat die Lüge salonfähig gemacht. Er nutzt Techniken des Faschismus und verspricht den Wandel. Mussolini hat auch Wandel versprochen. Hitler auch. Die Wahrheit ist: Wir haben alle Angst vor ihm.
profil: Trump kann man nicht mit Mussolini oder Hitler vergleichen. 2008 war es Obama, der dauernd von Wandel sprach. Auster: Ich vergleiche nicht. Ich sage nur: Trump nutzt ähnliche Techniken.
profil: Sie sagten bereits, Sie hätten Angst vor Trump. Auster: Ja. Hustvedt: Wir sind in Panik.
Ich kann versichern, dass ich mich bei einem Sieg Donald Trumps in eine viel lautere und ungemütlichere Person verwandeln werde. (Siri Hustvedt)
profil: Angst wovor? Auster: Darf ich zuerst antworten? Ich beschränke mich auf fünf Sachen: Die Rassenunruhen werden sich verstärken, da bin ich mir sicher. Trump schert sich nicht um den Klimawandel. Er sagte, er werde jeden Klimavertrag, den Obama unterzeichnete, rückgängig machen. Er ist charakterlich dem Amt nicht gewachsen, was sich auf die Beziehungen zu anderen Ländern auswirken wird. Er könnte Kriege aus dem Nichts beginnen. Und was das Haushaltsbudget angeht: Seine Steuerpläne, die Reichen zu verschonen, sind grässlich. Hustvedt: Wäre Trump Präsident, würden sich nach einiger Zeit viele gegen ihn auflehnen, die ihn nun noch unterstützen. Weil er seine Versprechen nicht halten kann. Nehmen wir die Kohle. Er wird Kohle nicht zurückbringen, weil wir das Rad der Zeit nicht zurückdrehen können. Kohle ist eine tote Industrie. So wie es keine Pferdekutschen mehr gab und die Sattler arbeitslos wurden, als Ford seine Autos baute. Was wir stattdessen brauchen, sind Umschulungen und Programme, die arbeitslosen Menschen helfen, sich neu zu orientieren. Aber von allen diesen Sachen versteht Donald Trump ungefähr so viel wie von Frauen.
profil: Angenommen, Trump gewinnt. Wird das Ihr Schreiben beeinflussen? Hustvedt: Politik sickert immer in unsere Texte ein. Weder Paul noch ich schreiben Agitprop. Aber ich kann versichern, dass ich mich bei einem Sieg Donald Trumps in eine viel lautere und ungemütlichere Person verwandeln werde. Ich werde mich wehren und tun, was in meiner Macht steht. Ich habe selten eine solche Dringlichkeit empfunden. Ich werde zu einer Stimme der Opposition. Auster: Ich habe soeben einen 900-seitigen Roman fertig geschrieben, der im Januar herauskommt. Ich muss die Wahlen abwarten, um wieder mit dem Schreiben zu beginnen. Denn gewinnt Trump, wird es ein anderes Land werden. Amerika wird sich in einen Witz verwandeln. Wir werden zum Gespött - und uns schämen. Scham wird zum vorherrschenden nationalen Gefühl. Dass wir einen so unqualifizierten, inkompetenten, ignoranten, uninteressierten, bornierten Lügner zum Präsidenten machen konnten, das werden wir uns nie verzeihen. Das wichtigste Land der freien Welt, angeführt von einem Idioten. Hustvedt: Paul! Auster: Was? Hustvedt: In unseren politischen Diskussionen wird er von seinen Gedanken oft fortgetragen. Aber es ist schwierig, sich bei Trump nicht hineinzusteigern. Auster: Ich habe mich noch nie so gefühlt wie jetzt. Ich wusste in meinem Leben immer, welches Buch als Nächstes kommt. Jetzt aber muss ich erst die Nacht des 8. November abwarten, bevor ich darüber nachdenken kann, womit ich mich beschäftige. Es könnte nämlich sein, dass wir am 9. November alle in einem anderen Land aufwachen.
Zur Person
Siri Hustvedt (61), ist die Tochter eines Amerikaners und einer Norwegerin. Sie wuchs in einem kleinen Dorf in Minnesota auf, ihre Muttersprache aber ist Norwegisch. Sie promovierte über Charles Dickens und hatte 2003 mit "Was ich liebte" ihren literarischen Durchbruch. Zuletzt erschien von ihr "Die gleißende Welt".
Paul Auster (69), ist ein amerikanischer Schriftsteller, sein bekanntestes Werk ist die "New York-Trilogie" (1987). Er schreibt auch Film-Drehbücher ("Smoke") Zuletzt veröffentlichte er den autobiografischen "Bericht aus dem Inneren".