Kulturtipp

Von Netanjahus „innerem Machiavelli"

Nahost-Reflexionsmaterial: Stefan Grissemann empfiehlt das Werk des israelischen Regisseurs Amos Gitai, der gegenwärtig mit einer Retrospektive im Filmmuseum gewürdigt wird.

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Der Filmemacher Amos Gitai ist keiner, der sich angesichts eskalierender Situationen in Sicherheit bringen würde. An Mut mangelt es ihm nicht, das kann man seinem künstlerischen Werk ansehen. Nach einer knappen Dekade des Lebens im Paris der 1980er-Jahre hat er seinen Existenzmittelpunkt seit Langem wieder auch in Israel, pendelt zwischen seiner Heimatstadt Haifa und Tel Aviv – und er denkt nicht daran, dort ganz wegzugehen. Gerade weil die Verhältnisse so sind, wie sie sind, mit einer in weiten Teilen rechtsextremen Regierung und einer mächtigen ultraorthodoxen Schicht. Das Kinowerk des heute 73-jährigen Amos Gitai wird seit wenigen Tagen (und noch bis 1. Juli) im Österreichischen Filmmuseum gewürdigt. 

Vergangene Woche war Gitai in Wien, um in Peter Kubelkas berühmtem „Unsichtbaren Kino“ einige seiner Hauptwerke zu präsentieren und am Burgtheater eine Bühnenvariation seines Aufsehen erregenden Films über die Hintergründe und Aufarbeitungsmängel der Ermordung des israelischen Premiers und Friedensnobelpreisträgers Jitzchak Rabin durch einen rechtsradikalen Juden vor bald 29 Jahren vorzustellen. Tatsächlich bieten Gitais Filme exzellentes Anschauungs- und Bildungsmaterial, um Israels innere und äußere Spannungen besser zu verstehen: In „Kadosh“ (1999) thematisierte er furchtlos die Frauenfeindlichkeit ultrareligiöser Juden, in seiner jüngsten Arbeit, der Ionesco-Adaption „Shikun“ (2024), allegorisch den aufhaltsamen Aufstieg des Totalitarismus. 

An den aktuell amtierenden Staatschef Benjamin Netanjahu, dem Gitai im profil-Gespräch allenfalls zugesteht, sich mit seinem „inneren Machiavelli“ bestens arrangiert zu haben, verschwendet er keinerlei Empathie. An seinen dissidenten Positionen hält Gitai unbeirrt fest: Israel sei ein säkularer Staat, kein religiöser, sagt er kühl, und seinen grundlegenden Optimismus in der Frage nach möglichen Wegen des Zusammenlebens von Juden und Palästinensern will er auch angesichts der gegenwärtigen blutigen Verwerfungen nicht nach unten korrigieren. Nur so wird Veränderung langfristig möglich sein. 

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.