Eva Linsinger: Chronik eines angekündigten Todes

SPÖ und ÖVP kann man nach diesem Sonntag endgültig nicht mehr Großparteien nennen. Vielleicht realisieren sie es diesmal auch.

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Mit einer Ohrfeige hatten SPÖ und ÖVP rechnen müssen. Immerhin gelten Bundespräsidentenwahlen, genauso wie EU-Wahlen, als Urnengänge, bei denen die p.t. Wählerschaft bevorzugt ihrem Protest freien Lauf lässt. Die Wahlergebnisse dieses denkwürdigen Sonntags gehen aber nicht einmal mehr als Ohrfeige durch. Quer durch das Land, vom rural-konservativen Tirol über die ehemaligen Industrieregionen in der Steiermark und das rot-blaue Burgenland bis in den Speckgürtel rund um Wien dasselbe Bild: Minus 19 Prozentpunkte, minus 16, minus 15 für SPÖ und ÖVP – wohlgemerkt allesamt im Vergleich zur Nationalratswahl 2013, die bisher als historischer Tiefpunkt galt. Damals konnten die Langzeitregierungsparteien knapp ihre Mehrheit retten, diesmal ist das Land blau eingefärbt. Khol ist in ehemals schwarzen Kernländern abgeschlagen, Hundstorfer in ehemals roten, gemeinsam erreichen sie nicht einmal mehr kümmerliche 25 Prozent.

Kernländer sind Geschichte, Großparteien auch. Seit diesem Sonntag kann man SPÖ und ÖVP nicht mehr Großparteien nennen, höchstens: früher bekannt als Großparteien. Sie rittern auf den hinteren Rängen um Platz 4 und 5. Auch ein spannendes Match, aber nicht in der Liga, in der sie gerne spielen. Immerhin, Richard Lugner konnten Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol noch abhängen. Mehr Positives bleibt für sie nicht zu vermelden. Das sagt eigentlich alles. So desaströs endete in der Geschichte der Zweiten Republik keine Bundeswahl für Sozialdemokratie und Volkspartei.

Mit den üblichen uneleganten Textbaustein-Varianten für krachende Niederlagen - wahlweise in „den Parteigremien diskutieren“, das „Profil schärfen“, die „Sorgen der Menschen ernst nehmen“ oder gar als Tiefpunkt „die Kommunikation verbessern“ - werden die Regierungsparteien diesmal nicht durchkommen. Schon bisher musste man kein Polit-Feinspitz sein, um diese Chiffren als Leerformeln zu entlarven und als Signal für: ungerührt weitermachen wie bisher. Ganz so, als ob die dramatische Abfuhr nicht mehr als ein Ausrutscher wäre.

Die Bundespräsidentenwahl stellt eine besonders deutliche Ohrfeige dar, aber beileibe nicht die erste oder einzige.

Ist sie aber nicht, im Gegenteil: Das Desaster für SPÖ und ÖVP bei der Bundespräsidentschaftswahl liest sich eher wie die Chronik eines angekündigten Todes. Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzender Werner Faymann hat, seit er Partei und Regierung führt, von 21 Bundeswahlen satte 19 verloren - nur im Ausnahmefall Kärnten und bei der Europawahl stand ein (mageres) Plus vor dem Ergebnis. ÖVP-Obmann und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner versammelt weniger Niederlagen auf seinem Haben-Konto - aber nur deshalb, weil er kürzer im Amt ist als Faymann. Die Bundespräsidentenwahl stellt eine besonders deutliche Ohrfeige dar, aber beileibe nicht die erste oder einzige.

Das politische Kapital der Regierungsparteien scheint nachhaltig verbraucht. Rekordarbeitslosigkeit, Wirtschafts- und Flüchtlingskrise, grassierende Abstiegsängste in weiten Teilen der Bevölkerung, Bildungsmisere und so weiter legten schonungslos offen, dass die Kernkompetenz von SPÖ und ÖVP im Verzagen, Vertagen, Vertrösten besteht.

Lösungskompetenz, geschweige denn Leadership, traut den Koalitionsparteien kaum jemand mehr zu.

In der Stichwahl spielen SPÖ und ÖVP, die man früher Großparteien nannte, nicht mehr mit. Das verschafft der Koalition, die man nur aus Tradition noch groß nennt, ein ungewolltes Zeitfenster, in der sich die Aufmerksamkeit auf andere fokussiert. Sie könnte es, zur Abwechslung, zum Regieren nutzen.

Sehr viele allerletzte Chancen wird sie nicht mehr bekommen.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin