profil-Kolumnist Franz Schellhorn

Franz Schellhorn: Wie sozial darf’s denn sein?

Mit dem Regierungswechsel ist eine aufgeregte Debatte darüber entstanden, ob es sozial sei, wenn Vermögende von der Solidargemeinschaft finanziert werden. Gute Frage.

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Für die Oppositionsparteien und die aufgebrachte Twitteria war schon nach wenigen Stunden klar, was die neue Bundesregierung im Schilde führt: knallharten Sozialabbau auf Kosten der Schwächsten der Schwachen. Menschen, die ohnehin schon in einer prekären Situation sind, auch noch das Ersparte zu nehmen, sei so ziemlich das Letzte, was in einem Sozialstaat passieren dürfe. Das allseits gefürchtete „Hartz IV“ stünde vor der Einfuhr nach Österreich, indem künftig auf Vermögen von Notstandshilfebeziehern zugegriffen werden soll.

Aber wie kommt jemand dazu, der jahrzehntelang in das Sozialsystem eingezahlt hat, mit 55 seinen Job verliert und trotz zahlloser Bewerbungen keinen neuen findet, seine Ersparnisse aufbrauchen zu müssen, bevor die Solidargemeinschaft einspringt? Das ist eine durchaus berechtigte Frage. Andererseits: Wie kommt eine bescheiden verdienende Verkäuferin dazu, mit ihren Sozialbeiträgen einen jungen Erben ohne Unterhaltspflichten zu finanzieren, weil ihm gerade nicht danach ist, zwei Bundesländer weiter eine freie Stelle anzunehmen?

Der Sozialstaat funktioniert freilich nur dann, wenn er für jene da ist, die nicht können – und nicht für jene, die sich im Dickicht des komplexen Sozialsystems am besten zurechtfinden. Herauszufinden, wer zu welcher Gruppe gehört, ist nicht gerade trivial. Das zentrale Problem beginnt schon damit, dass allein das Aufwerfen der Frage, wie lange und in welchem Ausmaß die Solidargemeinschaft finanziell einzuspringen hat, als unverschämter Angriff auf den Sozialstaat verstanden wird.

Derzeit ist es so, dass bis zu 52 Wochen Arbeitslosengeld bezahlt wird und danach unbefristet die Notstandshilfe, die bei rund 92 Prozent des Arbeitslosengeldes liegt. Das ist so etwas wie eine ewige Arbeitslose, die es sonst nur noch in Belgien gibt. Neben Arbeitslosengeld und Notstandshilfe steht noch die Bedarfsorientierte Mindestsicherung zur Verfügung, sie wird von der Gemeinde ausgezahlt und liegt bei rund 840 Euro im Monat (je nach Bundesland). Wer Mindestsicherung bezieht, darf über eine eigene Wohnung beziehungsweise ein eigenes Haus und Auto verfügen, aber nicht mehr als 4000 Euro an liquiden Mitteln.

Der Sozialstaat ist für jene da, die ihn brauchen.

Der Vermögenszugriff bei der Mindestsicherung wurde von einer SPÖ-Regierung beschlossen, bei der Notstandshilfe wird derselbe Vorgang von der SPÖ als eiskalter Sozialabbau gegeißelt. Das mit dem Argument, dass die Mindestsicherung eine Sozialleistung und die Notstandshilfe eine Versicherungsleistung sei. Schließlich käme niemand auf die Idee, bei einer Feuerversicherung nach dem Vermögen des Geschädigten zu fragen, wie der frühere Kanzleramtsminister Thomas Drozda auf Twitter sinngemäß meinte. Dabei stufte 1998 selbst die SPÖ-geführte Regierung die Notstandshilfe als „eine für das Sozialrecht typische Mischform“ ein, in EU-Datensätzen wird die Notstandshilfe als staatlicher Transfer geführt, nicht als Arbeitslosenunterstützung.

Ungeachtet dessen ist der heimische Sozialstaat ein robuster. Und einer, der durchaus Reformen verträgt, wie Peter Rabl in der Tageszeitung „Die Presse“ vergangene Woche argumentiert hat. Ohne gleich das ganze Land in Schnappatmung zu versetzen. Wie aber sollte eine Modernisierung aussehen? Begonnen werden sollte – wie bei allen Reformvorhaben – mit erhöhter Transparenz: Es sollte wie in den meisten Staaten nur noch eine Versicherungs- und eine Solidarleistung geben. Deshalb wäre es richtig, die Notstandshilfe und die Arbeitslosenversicherung zusammenzulegen. Dafür sollte das Arbeitslosengeld länger ausgezahlt werden, wie das AMS-Chef Johannes Kopf mehrfach vorgeschlagen hat.

Die österreichische Regierung könnte sich auch ein Beispiel am dänischen Wohlfahrtsstaat nehmen und zu Beginn der Jobsuche deutlich mehr Arbeitslosengeld auszahlen, das mit Fortdauer sukzessive absinkt, um den Anreiz zu erhöhen, schneller einen neuen Job anzunehmen. Entscheidend ist, das Abrutschen in die Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern, weil die Chancen, nach mehr als einem Jahr Arbeitslosigkeit einen neuen Job zu finden, nicht sehr hoch sind.

Vor allem für ältere Langzeitarbeitslose, die noch gerne arbeiten würden, ist die Situation verheerend. Warum das so ist, hat mehrere Gründe. Etwa gesundheitliche oder auch die verständlicherweise nicht mehr so große regionale Mobilität. Besonders hoch sind aber institutionelle Hürden. Etwa das Senioritätsprinzip in den Kollektivverträgen, das dazu führt, dass ein 60-Jähriger fast doppelt so teuer kommt wie ein 30-Jähriger. Wäre es wirklich so schlimm, wenn ältere Langzeitarbeitslose zu den nicht gerade manchesterliberalen KV-Bedingungen der 40-Jährigen arbeiten dürften, statt ihre Zeit zu Hause oder in AMS-Kursen abzusitzen?

Wer Fragen wie diese stellt, gilt in Österreich als herzloser Geselle. Während sich jene, die sie konsequent ausblenden, als Hüter des sozialen Miteinanders feiern lassen. Und dann auch noch so tun, als wäre das zum Wohl der Betroffenen. Das Gegenteil davon ist der Fall.