Gernot Bauer: Gleichbehandlungsfehler

Gernot Bauer: Gleichbehandlungsfehler

Gernot Bauer: Gleichbehandlungsfehler

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In der Vorwoche bekannte sich die ÖVP in ihrem neuen Grundsatzprogramm zu Toleranz für verschiedene „Lebensentwürfe“. Nur wenige Tage später hinterfragte die SPÖ das schwarze Bekenntnis, indem sie nach dem Ministerrat einen koalitionären Konflikt um das sogenannte „Levelling-up“ öffentlich machte. Im Kern geht es um die Ausweitung des Diskriminierungsschutzes in unserer Rechtsordnung. Die Idee dahinter leuchtet auf den ersten Blick ein: Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts und der ethnischen Zugehörigkeit sind schon jetzt in allen Lebenslagen untersagt. Darüber hinaus verbietet das Gleichbehandlungsgesetz in der Arbeitswelt zusätzlich Diskriminierungen aufgrund der Religion, der Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Orientierung. Levelling-up bedeutet, diesen Diskriminierungsschutz allumfassend auf den Zugang zu sämtlichen Gütern und Dienstleistungen auszuweiten.

Ein Beispiel aus der jüngsten Praxis: Im Jänner verwies eine Wiener Kaffeehaus-Betreiberin ein lesbisches Schmusepärchen aus ihrem Lokal, wogegen sich die Betroffenen durch die Organisation einer Demo vor dem Lokal wehrten. Dank Levelling-up stünde ihnen in Zukunft auch Schadenersatz zu.

Was wiegt mehr? Die Privatautonomie eines Vermieters, Gastronomen oder Dienstleisters?

Wie meistens, wenn es um die Beseitigung gesellschaftlicher Missstände geht, kollidieren Grundprinzipien unserer Rechtsordnung. Was wiegt mehr? Die Privatautonomie eines Vermieters, Gastronomen oder Dienstleisters? Oder die Gleichberechtigung benachteiligter gesellschaftlicher Gruppen? Darf der Staat eingreifen – und wenn ja: Ist eine gesetzliche Regelung überhaupt praktikabel oder nur symbolisch?

Die SPÖ hat in diesen Fragen eine klare Meinung, die ÖVP auch. Seit Monaten fordert die Sozialdemokratie das Levelling-up. Die ÖVP sagt nach außen prinzipiell ja, verweigert sich nach innen aber im Detail.

Nun passierte freilich etwas Bemerkenswertes. Die SPÖ präsentierte eine abgeschlankte Variante der Gleichbehandlungsnovelle, in der nur noch Diskriminierungen wegen Alters und sexueller Orientierung geahndet werden, nicht aber wegen Weltanschauung und Religion. Somit dürfte die Kaffeehaus-Betreiberin zwar das lesbische Pärchen oder wahlweise ein geriatrisches nicht mehr aus ihrem Lokal werfen, ein kommunistisches oder muslimisches aber weiterhin.

Wahrscheinlich will die SPÖ mit der entschärften Variante der ÖVP eine Brücke bauen. Mindestens ebenso wahrscheinlich ist allerdings, dass die Sozialdemokratie die selektive Diskriminierung anderer weltanschaulicher Gruppen aus moralischen Gründen durchaus befürwortet. So kritisierten SPÖ und Grüne Ende März scharf den Auftritt des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders mit FPÖ-Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache in der Wiener Hofburg. Es sei „völlig inakzeptabel“, dass die im Eigentum der Republik befindliche Hofburg „zunehmend zum Aufmarschort von Rechtsextremen“ werde.

Während in Wien der SPÖ-Bürgermeister den Life Ball eröffnete, setzte in Salzburg der SPÖ-Bürgermeister das österreichweit schärfste Bettelverbot durch

Ein Levelling-up, das Diskriminierungen wegen Weltanschauung bekämpft, würde auch Strache und Wilders schützen. Und Olympen, Vandalen und Germanen wäre die Anmietung der Hofburg für den jährlichen Burschenschafter-Ball für alle Ewigkeit nicht mehr zu verwehren. Identitäre und Pegida könnten die Stadthalle buchen; Ewald Stadler, das Opus Dei und radikale Abtreibungsgegner sich theoretisch aus Jux und Tollerei in die Seminarräume der SPÖ-Parteiakademie einmieten.

So mühsam kann Diskriminierungsschutz werden. Vielleicht ist das alte Prinzip der Vertragsfreiheit doch besser geeignet zur Ordnung der Privatgeschäfte von Bürgern untereinander als pauschales rot-grünes Levelling-up.

Überdies geht vom jüngsten Antrag der SPÖ unbeabsichtigt eine seltsame Botschaft aus: Minderheiten sind arm und schutzwürdig. Aber manche sind ärmer und schutzwürdiger. Mag ja sein, aber sicher nicht jene, die die SPÖ meint. Die selbstbewusste Schwulen-und-Lesben-Community in Wien benötigt – bei aller bestehenden Diskriminierung – sicher nicht mehr die politische Dauerbetreuung durch die SPÖ. Andere Gruppen würden sich über etwas mehr Levelling-up und Aufmerksamkeit sicher freuen.

Während in Wien der SPÖ-Bürgermeister den Life Ball eröffnete, setzte in Salzburg der SPÖ-Bürgermeister das österreichweit schärfste Bettelverbot durch. Die Stimmung in der Bevölkerung sei durch das Ausmaß der Bettelei gekippt, begründete Heinz Schaden die Maßnahme, die er vor Kurzem noch abgelehnt hatte. Die Stadt-ÖVP hatte gehörig Druck gemacht, zeigte in dieser Frage aber auch gelebte Widersprüche zum neuen Parteiprogramm. Geht es um den Umgang mit Bettlern, hält die ÖVP Privatautonomie und Vertragsfreiheit offenbar auch für überflüssig.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.