Klaus Scheidsteger: Ortsgespräch
„You got a faxmachine?“ Der Privatdetektiv aus Baltimore klang gereizt, als er die Frage nach meinem Faxgerät stellte. „Sit and watch“, meinte er noch. Tatsächlich traute ich meinen Augen kaum, als die Maschine eine hochexplosive Seite nach der anderen ausspuckte.
„Motorola confidential“ stand da und „Vertrauliches Memorandum Burson Marsteller“. Anwaltlicher Schriftverkehr zum 800 Millionen Dollar schweren „Gehirntumorprozess Newman“. Der Wahnsinn. Die meisten Dokumente trugen den Stempel „Beweisstücke“. So ratterten Berichte über angeblich gefälschte oder manipulierte Studien der Mobilfunkindustrie, Regieanweisungen von Lobbyisten und interner anwaltlicher Schriftverkehr zum Thema Prozessstrategien gegen die Mobilfunkriesen bei mir ein.
Um die Explosivität dieser Schriftstücke insgesamt zu begreifen, brauchte es einige Jahre der Recherche, die der Film in 90 Minuten zusammenfasst. Nicht zuletzt, weil sich bei freien Journalisten immer auch die Frage stellen sollte: Werde ich hier instrumentalisiert? Denn so ein „Fang“ ist, nüchtern betrachtet, zu schön, um wahr zu sein.
Es geht im Film weniger um die Gefährlichkeit von Handys, sondern darum, warum trotz die Mainstreamforschung vor dem Thema zurückschreckt.
Baltimore, Washington, Detroit waren die wesentlichen Stationen meiner Mobilfunk-Recherchereise in die USA. Später kamen Athen, München, Lyon und vor allen Dingen Wien ins Spiel. Der Kino-Dokumentarfilm „Thank You For Calling“ fasst diese Recherche-Geschichte zusammen. Eine Story, die daherkommt „wie ein Krimi“, so die ersten positiven Reaktionen, etwa von Peter Michael Lingens auf profil online am 3.12.2015). Es geht im Film weniger um die Wissenschaft und die Gefährlichkeit von Handys an sich, sondern darum, warum trotz beunruhigender Hinweise die Mainstreamforschung vor dem Thema eher zurückschreckt. Logisch wäre es doch wohl, den Hinweisen auf den Grund zu gehen.
profil war für die Sache bereits wichtig, als zwei Artikel der Journalistin Tina Goebel einen von der Industrie inszenierten, angeblichen Fälscherskandal aufdeckten: „Strahlenschmutz“ (profil 27/2008) und „Rufunterdrückung“ (profil 48/2008). Goebel habe ich dann auch im Film verewigt, ein Auszug aus ihrem O-Ton: „Hier geht es nicht mehr nur um Wissenschaft, hier wird sehr schnell versucht, auch das Privatleben der Wissenschafter zu zerstören, so wie wir es da in Wien erlebt haben.“
Die deutsche „Schwester“ von profil, der „Spiegel“, hatte seinerzeit vermeldet, die Assistentin des damaligen Leiters der Arbeitsmedizin am AKH, Wien, Prof. Hugo Rüdiger, habe die Daten „aus lauter Liebe zum Professor gefälscht“. Tina Goebel hatte damals aufwendig recherchiert und schrieb: „Der Fälscherskandal um Handystudien an der Wiener Medizin-Uni rief ein weltweites Echo hervor. Doch profil vorliegende Dokumente lassen eine Fälschung fraglich erscheinen – und zeigen den Interessenkonflikt zwischen Mobilfunkindustrie und Wissenschaft.“
Es gibt keinen Grund, Vorwürfe der Verschwörung zu erheben. Es gibt viele Gründe, die Forscher arbeiten zu lassen.
Nachdem kurze Zeit später zwei Ethikkommissionen den Vorwurf der Fälschung ausräumen konnten, brauchte es allerdings sieben weitere Jahre, bis dem Initiator des Skandals, dem damaligen Vorsitzenden der Strahlenschutzbehörde in Deutschland, Prof. Alexander Lerchl, ein Maulkorb erteilt wurde. Das Landgericht Hamburg entschied 2015, Lerchl habe den Fälschervorwurf künftig zu unterlassen, bei Zuwiderhandlung wurde die Strafe auf 250.000 Euro festgelegt.
Am 17. Februar fand in Wien die Premiere meines Films statt, seit dem 19. Februar läuft „Thank You For Calling“ in vielen Kinos in Österreich. Bei der Premiere in Wien war profil Marketing-Kooperationspartner der Feier. Ich freue mich über eine durchwegs positive Resonanz auf meinen Film, lediglich der Leiter des Ressorts Wissenschaft bei profil ist der Meinung, dass der Film in die Verschwörungsecke gehört.
Okay, wir leben in einer Kultur der freien Meinungsäußerung, und diese Seite hier, die ich jetzt quasi als Antwort auf die von Alwin Schönberger erhobenen Vorwürfe im profil schreiben darf, ist ein lobenswerter Ausdruck der im profil herrschenden Fairnesskultur.
Aber es lohnt sich zu recherchieren und mit den Wiener Protagonisten zu reden. Wenden Sie sich an die Professoren Mosgöller und Kundi, die vor der Obersten Zivilkammer in Washington D. C. in jeweils zweitägigen Kreuzverhören bravourös die Fahne der Österreichischen Mobilfunkforschung hochgehalten haben. Ist eine gute Story, und Sie kennen sie jetzt auch – durch meinen Film. Es gibt keinen Grund, Vorwürfe der Verschwörung zu erheben. Es gibt viele Gründe, die Forscher arbeiten zu lassen.