Peter Michael Lingens: Allemal besser als Strache

Die rot-schwarze Steuerreform war ein passabler Anfang – auch wenn die SPÖ-Reform die solidere und seriösere gewesen wäre.

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„Groß, mutig und volkswirtschaftlich sinnvoll“ nannte der deutsche „Wirtschaftsweise“ Peter Bofinger Österreichs Steuerreform und hat damit jedenfalls vergleichsweise recht: Gemessen an Angela Merkels Sparpakt, den er schlicht „blödsinnig“ nannte, zeugt sie von volkswirtschaftlicher Einsicht.

Die rot-schwarze Regierung verzichtet immerhin auf ein Fünftel des aktuellen Lohnsteueraufkommens, indem sie fünf Milliarden Euro in den Taschen der gering- und mittelverdienenden Bürger belässt, statt sie zum Schuldenabbau zu verwenden. Das wird die Wirtschaft, wie Bofinger lobt, durch vermehrten Konsum beleben, während der forcierte Schuldenabbau inmitten der Krise sich als massives Wachstumshemmnis entpuppt hat (siehe den Wachstumsunterschied zwischen USA und EU).

Dass ich die Reform nicht ganz so enthusiastisch einschätze, liegt daran, dass mir vor Augen steht, was im Idealfall möglich gewesen wäre. Sobald man sich allerdings auf ­einen realistischen Standpunkt zurückzieht, teilt man die Ansicht der WIFO-Expertin ­Margit Schratzenstaller: „Es ist wichtig, dass man die Reform jetzt nicht kleinredet, damit sie tatsächlich einen Beitrag leistet, das Vertrauen in die Wirtschaft zu stärken.“

Ich versuche also, das Vertrauen in Hans Jörg Schelling zu stärken: Vonseiten der ÖVP stellt die Zustimmung zu dieser Reform eine ebenso unerwartete wie erfreuliche Kehrtwendung um 180 Grad dar, denn ihre bisherigen Finanzminister von Wilhelm Molterer bis Michael Spindelegger predigten, dass „Schuldenabbau“ Vorrang vor jeder Steuersenkung haben müsse, und waren damit hauptverantwortlich dafür, dass Österreichs Binnenkonsum als Konjunkturstütze ausfiel und uns zuletzt das niedrigste Wachstum der EU bescherte.

Die ÖVP hat mit ihrer sturen Abwehr der Vermögensbesteuerung nicht, wie sie behauptet, den „Mittelstand“ geschützt, sondern 1,5 Prozent Superreiche.

Obwohl ich es also als Segen erachte, dass Reinhold Mitterlehner und Hans Jörg Schelling Michael Spindelegger abgelöst haben, möchte ich der Ordnung halber festhalten, dass die Verwirklichung der SP/ÖGB/AK-Vorschläge den Erfolg der Steuerreform weit besser abgesichert hätte:

➤ Es wäre besser gewesen, sie sofort in Gang zu setzen, denn damit bis 2016 zu warten, bedeutet ein weiteres halbes Jahr behinderten Konsums. ➤ Es wäre besser gewesen, das Volumen auf sechs Milliarden zu erhöhen, weil Klotzen bei Finanzmaßnahmen immer besser als Kleckern ist. Immerhin hat die „kalte Progression“ die Konsumenten seit 2009 rund 15 Milliarden gekostet – da stellen die aktuellen fünf Milliarden nur gerade ein Drittel des staatlichen Steuer-Mehrerlöses dar. ➤ Und es wäre vor allem besser gewesen, vermögensbezogene Steuern zur Gegenfinanzierung heranzuziehen, denn an der ausreichenden Gegenfinanzierung durch Verwaltungsreformen und den Kampf gegen Steuerhinterziehungen werden zu Recht starke Zweifel angemeldet.

Die ÖVP hat mit ihrer sturen Abwehr der Vermögensbesteuerung nicht, wie sie behauptet, den „Mittelstand“ geschützt, sondern sie schützt 1,5 Prozent Superreiche. Zwischen ihnen und einer wachsenden Zahl von Geringverdienern löst sich der „Mittelstand“ zunehmend auf.

Aber da sich sogar die Industriellenvereinigung für eine Reform der Grundsteuer ausspricht, gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass irgendwann auch die ÖVP einsehen wird, dass die Ökonomen der OECD, des IWF oder der EU nicht „standortfeindlich“ sind, wenn sie Österreich seit zehn Jahren mahnen, seine vermögensbezogenen Steuern im Verhältnis zu den Lohnsteuern anzuheben. Es wäre dies zugleich die wichtigste Steuerstrukturreform gewesen.

Eva Glawischnig vermisst zu Recht ökologische Lenkungseffekte und spricht auch zu Recht von bloßer „Steueranpassung“: 15 dem Konsum bisher entzogene Milliarden wird man erst in vielen Jahren wiedergutmachen können. Trotzdem bedauere ich, dass sie die Reform fast wie Heinz-Christian Strache abqualifiziert: In Summe ist sie trotz allem ein deutlicher Fortschritt. Sicher wäre es besser, die von Margit Schratzenstaller angedachte automatische Anpassung der Steuerklassen an die Inflation einzuführen, um jegliche kalte Progression zu vermeiden – aber eine fantasievolle Neuerung dieses Kalibers wurde meines Wissens auch von der Opposition nie gefordert.

Wie Glawischnig haben auch alle Kritiker der Reform recht, die einmahnen, dass sie nur der Ausgangspunkt zu echten „Strukturreformen“ sein dürfe.

➤ Natürlich muss man den „Föderalismus“ dringendst so gestalten, dass er, wie in der Schweiz, Kosten spart, statt sie aufzublähen. ➤ Natürlich gehören alle Staatsausgaben ständig gemäß der Rechnungshofkritik durchforstet. Allerdings nicht, wie die NEOS fordern, um die Staatsausgaben trotz stagnierender Nachfrage zu verringern, sondern um sie effektiver zu ­gestalten. ➤ Und natürlich müssen die Lohnnebenkosten endlich gesenkt werden – was nur funktionieren wird, wenn man vermögens- und umweltbezogene Steuern erhöht.

Aber ich will für möglich halten, dass dergleichen dieser Regierung mit Hans Jörg Schelling doch eher gelingt als den vorangegangenen rot-schwarzen Koalitionen. Und sicher gelingt es ihr besser als einer von Heinz-Christian Strache geführten Regierung – die die Alternative wäre.