Robert Treichler: Beim Suizid des Propheten!

Robert Treichler: Beim Suizid des Propheten!

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Michel Houellebecq, französischer Schriftsteller von Weltrang, ist vielleicht ein Prophet. Gesichert ist, dass er nach Meinung des Stiftungsrates des Frank-Schirrmacher-Preises „herausragende Leistungen zum Verstehen unserer Zeit“ vollbracht hat. Er selbst sagte in seiner Dankesrede, man könnte ihn als „Prophet im halben Sinn des Wortes, ein Prophet, dessen Vorhersagen sich nur sehr langsam realisieren“, bezeichnen. Immerhin, auch ein halber Prophet ist in unruhigen, schwer zu dechiffrierenden Zeiten nicht zu verachten. Sehen wir uns Houellebecqs Weissagungen doch einmal an.

Die Rede, die er am Montagabend in Berlin hielt, trug den Titel „Europa steht vor dem Selbstmord“. Wie überhaupt in Houellebecqs Zukunftsvisionen viel abgekratzt wird: Auch die Linke in Frankreich sei „allem Anschein nach am Sterben“. Das Ableben der französischen Linken erscheint angesichts des Selbstmords des gesamten Kontinents verkraftbar, aber wie kommt der Bestsellerautor zu seinen düsteren Vorahnungen im Hinblick auf ganz Europa?

Er bemüht dazu mehrere Behauptungen. Die lauten etwa so: Europa habe seinen Werten abgeschworen. An ihre Stelle trete der Islam, dessen Machtergreifung in Europa gerade erst beginne, allerdings auf unaufhaltsame Weise, denn: „Die Demografie ist auf seiner Seite.“ Houellebecq zitiert seinen verstorbenen Freund Maurice Dantec mit dessen Einsicht, dass einzig eine spirituelle Macht wie das Christentum oder das Judentum imstande wäre, mit einer anderen spirituellen Macht wie dem Islam zu kämpfen. Die liberalen Demokraten des 21. Jahrhunderts seien hingegen nicht in der Lage, den republikanischen Glauben ihrer Vorfahren, der französischen Revolutionäre, aufzubringen, um den Feind militärisch zu besiegen.

Und der behauptete Selbstmordversuch? Sagen wir, Europa stürzt sich aus einem Fenster im Erdgeschoß.

Wie überzeugend ist diese Vision?

Als Indiz dafür, dass sich Europa aufgegeben hat, nennt Houellebecq die Kriminalisierung von Freiern durch die schwedischen und französischen Anti-Prostitutionsgesetze. Auf diese Weise würden eine „Säule der sozialen Ordnung abgeschafft“ und die Ehe unmöglich gemacht. Mit der Prostitution werde somit die Ehe, mit ihr die Familie und in weiterer Folge die gesamte Gesellschaft untergehen. Das ist, wenn überhaupt, eine ziemlich subtile Form der Unterwerfung. Und der behauptete Selbstmordversuch? Sagen wir, Europa stürzt sich aus einem Fenster im Erdgeschoß. Dass Muslime eine höhere Geburtenrate haben als autochthone Europäer, ist unbestritten. Die größten muslimischen Bevölkerungsanteile haben Frankreich und – seit vergangenem Jahr – Deutschland mit rund zehn Prozent. Es würde viele Generationen dauern, ehe der Islam zur Mehrheitsreligion wüchse, und in dieser Hochrechnung fehlen zwei wesentliche Faktoren: die Säkularisierung, die auch Muslime erfasst, sowie die Tatsache, dass der soziale Aufstieg unter muslimischen Einwanderern früherer Generationen die Geburtenrate nachweislich gesenkt hat.

Es deutet auch nichts darauf hin, dass wesentliche europäische Werte in Europa – wie Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit oder Demokratie – Gefahr laufen, ihre Gültigkeit zu verlieren. Was macht das von Houellebecq postulierte düstere Szenario der Auslöschung europäischer Werte und Kultur zugunsten einer Islamisierung trotz frappanter Unwahrscheinlichkeit dennoch so relevant?

Es ist ein inspirierendes Vergnügen, sich von Houellebecq anwidern zu lassen.

Diese Angstvision ist das Must-have rechter europäischer Anti-Establishment-Bewegungen geworden. Wenn die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) Slogans wie „Fremd im eigenen Land“ rufen, meinen sie dasselbe wie Houellebecq, bloß können sie es nicht so feuilletontauglich formulieren wie der Starautor. Deshalb kriegen sie auch keinen Preis, sondern bloß den Staatsschutz auf den Hals gehetzt.

Es ist ein inspirierendes Vergnügen, sich von Houellebecq anwidern zu lassen. Seine Romane sind großartig, seine Reden kurzweilig, in Interviews ist er angriffslustig. Ob er ein Prophet ist, lassen wir die Zukunft entscheiden. Zu dem Schluss, dass er ein Rassist ist, bin ich bereits 2002 gekommen, als Houellebecq im profil-Interview sagte, verschleierte muslimische Frauen seien „dicke, unbefriedigte Schlampen“ (profil Nr. 7/2002). So etwas kriegte bisher nicht mal Donald Trump über die Lippen.

Vielleicht sollte es nicht überraschen, was Gavin Bowd, schottischer Übersetzer und Freund Houellebecqs, in seinem eben erschienenen Buch „Mémoire d’outre-France“ über einen Abend mit dem Schriftsteller und einer Studentin erzählt. Houellebecq habe, so Bowd, ausgerufen: „Ich werde ein Interview geben, in dem ich zu einem Bürgerkrieg aufrufe, um den Islam in Frankreich auszurotten. Ich werde aufrufen, Marine Le Pen (die Vorsitzende der Rechtsaußen-Partei Front National, Anm.) zu wählen!“ Die Studentin soll eingewandt haben, dass dies Houellebecqs Chancen auf den Literaturnobelpreis zerstören würde.

Stimmt. Politischen Suizid als Intellektueller zu begehen, ist weniger glamourös, als den Selbstmord Europas zu verkünden. Und so hat Michel Houellebecq bisher keine Wahlempfehlung abgegeben und bleibt bis auf Weiteres ein angesehener Prophet.

[email protected] Twitter: @robtreichler

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur