Bundespräsident: Amt und Bürde
Präsident sein – wie geht das?
Noch weiter hinauf kann die Karriere nicht führen: Laut Verfassung ist der Bundespräsident die höchste Instanz der Republik. Zu seinen Kompetenzen zählt unter anderem die Ernennung und Angelobung der Regierung. Ebenso kann er den Kanzler und seine Minister entlassen – und zwar ohne Angabe von Gründen. Formal amtiert er sogar als Oberbefehlshaber des Bundesheeres.
Doch diese Machtfülle ist eher theoretischer Natur. Realpolitisch hat der Hausherr oder die Hausherrin in der Hofburg wenig zu melden. Das erschwert die Jobdescription und das Anforderungsprofil. Unter den Amtsträgern in der Zweiten Republik gab es unterschiedliche Charaktere und Begabungen. Bescheiden oder extravagant, wortkarg oder gesellig, diplomatisch versiert oder auf die Innenpolitik fixiert: All das wurde schon geboten. Die Bürger gewöhnen sich, so scheint es, an jeden. Wer ein zweites Mal antrat, wurde zuverlässig wiedergewählt – und zwar stets mit mehr Stimmen als beim ersten Versuch.
Rudolf Kirchschläger etwa war der Inbegriff des biederen, etwas hölzernen Staatsnotars. Er sprach langsam und bedächtig, richtig fröhlich sah man ihn selten. Thomas Klestil setzte auf protokollarisches Zeremoniell und benahm sich mitunter wie ein Monarch. Zwischen 1986 und ’92 saß Kurt Waldheim in der Hofburg – und das ist in seinem Fall durchaus wörtlich zu verstehen. Wegen seiner NS-Vergangenheit war Waldheim international isoliert und wurde kaum zu Staatsbesuchen eingeladen. Ein paar Jahrzehnte vorher wäre die Kasernierung niemandem negativ aufgefallen. Bis in die 1960er-Jahre war kein Bundespräsident auf die Idee gekommen, in offizieller Mission das Land zu verlassen. Erst Adolf Schärf begann mit Dienstreisen ins Ausland. Angeblich deshalb, weil er sich, allein in den Zimmerfluchten des imperialen Amtssitzes, so furchtbar einsam fühlte.
Heinz Fischer ist in den vergangenen zwölf Jahren sehr viel gereist und hat Österreich in der Welt gut vertreten. Fischer setzte diplomatische Akzente, kam dabei aber – anders als Klestil – nie der Regierung in die Quere. So sehr manch ein Vorgänger unter den Zwängen des Amtes litt, so sehr ist Heinz Fischer dabei aufgeblüht. Erst der Job in der Hofburg machte deutlich, wie leutselig dieser Mann ist.
Erfahrung zählt, nicht nur politische
Bundespräsidenten sind im Allgemeinen keine politischen Quereinsteiger. Vor der Wahl an die Staatsspitze waren sie Kanzler, Bürgermeister in Wien, Minister, Nationalratspräsident. Nur Thomas Klestil hatte kein Amt inne, seine Funktion als Generalsekretär im Außenministerium war allerdings semi-politisch.
In seinem bürokratischen Alltagsjob im Inland benötigt ein Bundespräsident keine jahrzehntelange politische Erfahrung. Zur Abzeichnung von Gesetzen, Ernennung von Höchstrichtern und Begnadigung von Straftätern reichen juristische Kenntnisse und rechtlicher Beistand, zumal der Bundespräsident fast immer nur auf Vorschlag der Regierung tätig werden kann.
Bei der Ernennung der Bundesregierung sind Routine und politischer Professionalismus unabdingbar, vor allem wenn es – wie nach den nächsten Wahlen zu erwarten – unübersichtlich wird. Wer einen möglichen Wahlsieger Heinz-Christian Strache mit der Bildung einer Regierung beauftragt, sollte die handelnden Personen gut kennen und über ausreichend Stresstoleranz verfügen. Noch mehr Erfahrung und Robustheit sind gefordert, wenn der Bundespräsident erklären muss, warum er den stimmenstärksten Strache nicht mit der Regierungsbildung beauftragen will. Wie rasch man ins Schlittern gerät, lernte Thomas Klestil bei der missglückten Verhinderung von Schwarz-Blau auf die besonders harte Tour.
Irmgard Griss muss deshalb nicht frustriert sein. So sehr sich die Wähler einen Profi-Politiker wünschen, so sehr verachten sie – angestachelt von Freiheitlichen und Krawall-Zeitungen – die politische Kaste. Der vor einem Jahr verstorbene Politologe Norbert Leser beschrieb in einem „Presse“-Essay „die Funktion des Bundespräsidenten als Haupt und Hauptprofiteur der herrschenden politischen Klasse, in deren Mitte er groß geworden ist“. Wenn die FPÖ – wie zu erwarten ist – die Spitzenkandidaten der Koalitionsparteien als „Systempolitiker“ verunglimpft, wird indirekt auch Griss davon profitieren.
Man kann also ohne politische Erfahrung ins Amt gelangen – einmal in der Hofburg, sollte man sich wenigstens mit erfahrenen Leuten umgeben, die einen vor allem vor dem Fehler bewahren, ein „aktiver Präsident“ sein zu wollen. Wer Kanzler oder Ministern gegenüber gern den Ezzes- und Ideengeber spielt, sollte besser selbst einen Regierungsposten anstreben. Die für das Amt notwendige Zurückhaltung beschrieb der frühere Klestil-Sprecher Meinhart Rauchensteiner gegenüber profil einmal so: „Eigentlich sollte die Bundespräsidentschaft so etwas wie eine nationale Yoga-Übung sein.“
Ganz privat ist gar nichts mehr
Raucht oder trinkt der Kandidat? Ernährt er sich vernünftig? Pflegt er fragwürdige Freundschaften? Glaubt er an Gott? Und vor allem: Ist er ein treuer Ehepartner? In den USA entscheiden nicht nur die Vorstellungen zu Arbeitsmarkt, Sozialstaat und Waffenbesitz, sondern auch sogenannte „Charakterfragen“ über das höchste Amt des Landes.
Präsidentschaftskandidaten in Österreich müssen sich zwar nicht einem derart rigiden Test unterziehen. Weil aber ein Bundespräsident im Gegensatz zu einem Kanzler oder Landeshauptmann sachpolitisch nichts bestimmt und ohnehin jeder Kandidat für Wohlstand, Gerechtigkeit und Tierschutz eintritt, entscheiden die Wähler auch hierzulande stark anhand persönlicher Eigenschaften, und nicht nur aufgrund politischer Konzepte zu Sozialstaat, Föderalismus oder Neutralität. Die verschiedenen Kandidaten wissen das und verhalten sich entsprechend, vor allem in familiären Belangen: Dass ihr früherer Parteichef Alexander Van der Bellen seine zweite Eheschließung mit der Bekanntgabe seiner Kandidatur synchronisierte, halten selbst unter den Grünen nicht alle für einen terminlichen Zufall.
Thomas Klestil hatte bei seiner ersten Wahl bekanntlich eine regelrechte Familienshow abgezogen – und war später der einzige Präsident, der sich in seiner Amtszeit scheiden ließ. Heinz Fischer hielt im Wahlkampf 2004 bei jedem Auftritt Händchen mit Gattin Margit. Allerdings tat er das auch nach Amtsantritt und bei Dutzenden Staatsbesuchen seitdem. Es muss sich tatsächlich um Liebe und ein haptisches Bedürfnis handeln.
Fischers wahre Liebe zu seiner Frau war ein Atout im Wahlkampf, seine als Agnostiker mangelnde Liebe zu Gott in einem katholisch geprägten Land zumindest eine Herausforderung. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Unique Research im Auftrag von profil halten es immerhin 21 Prozent der Österreicher für sehr oder eher wichtig, dass ihr Bundespräsident Katholik ist.
Die Kandidaten für Fischers Nachfolge leben allesamt in geordneten Verhältnissen. Rudolf Hunds- torfer verfügt über die originellste Vita: Der Sozialminister heiratete insgesamt dreimal, vor seiner jetzigen allerdings zweimal dieselbe Frau.
Die First Lady (oder der First Husband) ist das einzige repräsentative Amt in der Politik, in das man nicht gewählt werden muss. Nur der Junggeselle Theodor Körner (Bundespräsident von 1951 bis 1957) und der Witwer Adolf Schärf (1957 bis 1965) zogen unbeweibt in die Hofburg ein. Beim amerikanisch-sowjetischen Wiener Gipfel 1961 wurden Jacqueline Kennedy und Nina Chruschtschowa von Schärfs Tochter Martha Kyrle durchs Damenprogramm begleitet.
Aufgrund ihrer Stellung erlaubt das Protokoll den First Ladys eine letzte Ehre. Luise Renner, Hilda Schärf, Margarete Jonas und Herma Kirchschläger wurden wie ihre Ehegatten in der Präsidentengruft am Wiener Zentralfriedhof bestattet.
Der Weg ins höchste Amt führt über die höchste Bildung. Sechs der bisher acht Bundespräsidenten verfügten über einen Doktortitel, Theodor Körner war General und überdies ein „Edler von Siegringen“. Einziger Arbeiter in der Hofburg war der gelernte Schriftsetzer Franz Jonas. Für den Bürokaufmann Rudolf Hundstorfer könnte der fehlende akademische Titel ein Nachteil sein. 40 Prozent der Österreicher halten das für wichtig. Wobei Meinungsforscher Peter Hajek relativiert: „Wichtig ist den Leuten eine gute Bildung. Vielleicht nicht unbedingt ein Universitätsabschluss, aber die Kandidaten sollten über Wissen und Erfahrung verfügen.“
Man ist nie zu alt für die Hofburg
Das Mindestalter, um für ein politisches Amt zu kandidieren, liegt in Österreich bei 18 Jahren. Einzige Ausnahme ist der Bundespräsident. Um sich für die Hofburg zu bewerben, muss man mindestens 35 Jahre alt sein. Die Bundespräsidenten der Zweiten Republik übersprangen diese Barriere problemlos – sofern man die sportliche Metapher bei Herren eines gewissen Alters noch verwenden möchte: Im Schnitt zählten die acht Präsidenten bei ihrem Amtsantritt 66 Jahre. Der Rookie in der Hofburg war Rudolf Kirchschläger, der mit 59 sein Büro bezogen hatte, der älteste Theodor Körner mit 78. Auch die aktuellen Kandidaten befinden sich allesamt bereits im oder ganz kurz vor dem offiziellen Pensionsalter: Andreas Khol ist 74, Alexander Van der Bellen 72, Irmgard Griss 69 und Rudolf Hundstorfer 64.
Kurz hatte es so ausgesehen, als würde heuer auch ein jüngerer Bewerber in den Ring steigen. Doch Norbert Hofer, Dritter Nationalratspräsident der FPÖ, sagte ab – unter anderem mit Hinweis auf sein Alter. „Ehrlich gesagt fühle ich mich mit 44 noch zu jung.“ Geht es nach den Wählern, liegt Hofer falsch. Einer überwältigenden Mehrheit von fast 90 Prozent ist das Alter des Präsidenten ziemlich egal.
Dennoch gibt es Argumente, die für reifere Semester in der Hofburg sprechen, darunter ein ganz profanes: Die Verfassung begrenzt die Amtszeit des Präsidenten auf zwei Perioden zu je sechs Jahre. Danach muss er sein Büro räumen – und sollte idealerweise in Pension gehen können. Denn welchen Job soll man noch ausüben, wenn man vorher der höchste Repräsentant des Landes gewesen ist?
Fünf der bisherigen Bundespräsidenten der Republik Österreich konnten nicht einmal mehr ihren Ruhestand genießen. Karl Renner, Theodor Körner, Adolf Schärf, Franz Jonas und Thomas Klestil starben im Amt.
Mann oder Frau ist egal. Oder nicht?
Nur 13 Prozent der Österreicher halten es für wichtig, dass in der Hofburg ein Mann residiert. Dem großen Rest wäre eine Frau genauso recht. So weit das Umfrageergebnis. Dem spricht entgegen, dass sich mit Irmgard Griss schon zum achten Mal eine Frau um das höchste Amt im Staat bewirbt. Gewählt wurden bisher stets die Männer.
Den Anfang machte 1951 die Frauenrechtlerin Ludovica Hainisch-Marchet, die allerdings nur 0,05 Prozent der Wähler überzeugen konnte. Es folgten Freda Meissner-Blau, zweimal Heide Schmidt, Gertraud Knoll, Benita Ferrero-Waldner und Barbara Rosenkranz.
Das beste Ergebnis schaffte die Diplomatin Ferrero-Waldner, die 2004 im Rennen gegen Heinz Fischer immerhin auf 47,6 Prozent kam. Sie war allerdings auch die Einzige, die von einer der zwei Großparteien, in diesem Fall der ÖVP, aufgestellt worden war. „Frau sein allein ist kein Programm“, so hieß es damals in der SPÖ, und zwar auch vonseiten der roten Frauenpolitikerinnen. Ferrero habe sich nie für feministische Anliegen interessiert, also müsse man sie als Feministin auch nicht wählen.
Irmgard Griss spielt die Frauenkarte bewusst nicht. „Ob es von anderen als Vorteil gesehen wird und sie mich eher wählen werden als einen Mann, das kann ich nicht beurteilen“, erklärte sie in einem Interview.
Griss’ Handicap ist hauptsächlich, dass ihr als unabhängiger Kandidatin weniger Geld und kein Parteiapparat zur Verfügung stehen. Solche Bewerbungen endeten meistens enttäuschend. Am meisten Zuspruch, nämlich fast zehn Prozent, bekam 1998 Richard Lugner. Aber der verfügte auch über genug eigenes Kapital.