PRO: Brauchen Flüchtlinge in Österreich Werteschulungen?
Heimat-Allergiker
"Besonders wichtig ist die Kenntnis unserer demokratischen Werte, die sich grundsätzlich von Diktaturen im arabischen Raum unterscheiden.“
"Das Wichtigste ist, die westlichen Werte zu vermitteln: Frauenrechte, Kinderrechte und die Pflichten, die den Rechten in Österreich gegenüberstehen.“
"Es soll die Identifikation mit Werten der Demokratie, der Menschenrechte, des Rechtsstaates sichergestellt werden.“
Das erste Zitat stammt von Andrea Murad vom Bildungsnetzwerk. Sie hat mit ihrem muslimischen Mann ein Coaching entwickelt, um Menschen aus dem arabischen Raum in den Arbeitsalltag zu integrieren. Das zweite Zitat stammt von einem pensionierten Afghanen. Er flüchtete in den 1980er-Jahren nach Österreich und hat sich seither intensiv mit der Entwicklung in seiner alten Heimat auseinandergesetzt. Das dritte stammt aus dem Lehrplan für österreichische AHS-Schüler.
An diesem Punkt könnte ein Kommentar über Sinn oder Unsinn von Werte-Kursen für Flüchtlinge enden, die Integrationsminister Sebastian Kurz anstrebt. Denn was heimischen Schülern zugemutet wird, was Kenner der Herkunftsländer einmahnen, sollte zum 1x1 der Willkommenskultur für Flüchtlinge gehören.
Tut es aber nicht. Es setzte eine allergische Reaktion auf den Begriff "Werte“ ein. Dass die Kurse bloß die Verfassung in den Alltag übersetzen, wird geflissentlich ignoriert. Man beißt sich am Begriff "Werte“ fest und malt die schmierige Leitkultur eines Deix-Österreichers an die Wand.
Besonders interessant die Reaktion der SPÖ: "Es braucht keine Werteerziehung“, sagt Klubchef Andreas Schieder. Die meisten Asylsuchenden seien ohnehin gekommen, um dem Islamischen Staat zu entfliehen. Das ist falsch. Die meisten Syrer fliehen noch immer vor der Wehrpflicht und den Fassbomben des Diktators Baschar-al-Assad. Darunter befinden sich nicht wenige syrische Muslimbrüder oder deren Söhne. Das sind noch lange keine Dschihadisten. Aber darauf zu vertrauen, dass deren göttlicher Wahrheitsanspruch beim Überschreiten der Grenze in ein offenes Bekenntnis zur Trennung von Religion und Staat umschlägt, ist gewagt. Die jungen Männer, die aus Afghanistan kommen, sind zu 75 Prozent Analphabeten. Sie kommen zu 80 Prozent aus Dörfern, wo das Wort des Stammesführers, das Gesetz der Ehre und ein strenger Sittenkodex für Frauen gelten. Werden die derart sozialisierten jungen Männer beim Überschreiten der Grenze automatisch Frauen als Chefinnen akzeptieren? Lernen die Jungs von alleine, die Worte des Imams oder älteren Bruders auch einmal anzuzweifeln? Manche ja, weil sie eifrig sind und in unsere Gesellschaft streben. Die werden durch einen Kurs über Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung nur bestärkt. Der Rest wird zumindest positiv irritiert in seiner Werthaltung.
In einem selbstbewussten Einwanderungsland würden Wertekurse zum 1x1 der Willkommenskultur gehören.
Wahrscheinlich dachte Schieder gar nicht so weit. Er tat, was die SPÖ immer tut. Jede öffentliche Debatte über Probleme mit Zuwanderung im Keim ersticken; das Thema weiterhin der gehässigen FPÖ überlassen, anstatt eine eigene Sprache zu entwickeln, die Zuwanderer und Einheimische verstehen. Das Signal ist fatal: Wir haben nicht nur die Kontrolle verloren, wer kommt und wie viele, wir erklären auch nicht, wie es bei uns läuft.
Aus Sicht der Werte-Allergiker genügt es, wenn sich Zuwanderer an Gesetze halten. Bei Wertekostüm denken sie automatisch an die Lederhose von Andreas Gabalier (Volksmusiker und linke Anti-Ikone). Mit Gabalier verbindet sie selbst kein Wert dieser Welt, warum solle dann ein Flüchtling auf diese Werte eingeschworen werden? Und - Killerargument gegen Gleichberechtigungskurse - besteht die oberösterreichische Regierung nicht nur aus Männern? Das ist die Logik der Selbstgeißelung: Erst wenn wir unsere Werte zu 100 Prozent einhalten, können wir dazu stehen. Überkritisch gegenüber der Mehrheitsgesellschaft, null Kritik gegenüber wertkonservativen Zuwanderern, auch das fördert die Parallelgesellschaft.
Dass Länder, die mit klaren und einfachen Sätzen artikulieren können, was sie ausmacht, Menschen aus traditionellen Gesellschaften besser in ihre Mitte holen, kommt Werte-Gegnern offenbar nicht in den Sinn. Einen passenden Begriff für diese Politik hat ausgerechnet ein Grüner im profil geprägt: "Dachgeschoßpolitik“ (© Peter Pilz).
Wir wissen de facto nicht, wer täglich über unsere Grenzen kommt. Ein respektvolles Gespräch über die Rolle der Frau, die Meinungsfreiheit, Wahlen, Homosexuelle, Antisemitismus kann diese Wissenslücke verkleinern. Wenn es gut verläuft, umso besser. Wenn da oder dort die Alarmglocken läuten, kann man dank der Kurse rasch gegensteuern. Kein Problem mit Werteschulungen werden die Flüchtlinge haben. Warum auch? Aber um die geht es gar nicht. Es geht um uns, die wir jegliches "Wir“ ablehnen. Ein reifes Einwanderungsland stellt man sich anders vor.
Twitter: @neuholder