Die Zwangsvollstrecker

Die Zwangsvollstrecker: Waldviertler Politsekte erklärt ihr Weltbild

Politsekte. Die Staatsleugner aus dem Waldviertel erklären erstmals ihr Weltbild

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Von Jakob Winter

Polizeiwägen halten auf der Hauptstraße. Eine Hundestaffel nähert sich über die Pferdekoppel. Der Bauernhof im nördlichen Waldviertel: umstellt. Drinnen soll in Kürze die "erste Gerichtsverhandlung nach Naturrecht“ beginnen. Zum Prozess kommt es jedoch nicht: Die Polizei schreitet ein. Etwa 200 Personen halten sich rund um den Hof auf. Sie alle sind wegen der Verhandlung gekommen. 40 davon wollen oder können sich nicht ausweisen. Sie werden festgenommen. Nach ihrer Identifikation lässt die Exekutive sie wieder frei. Ortsansässige sind nicht unter den Schaulustigen. "Sie werden im ganzen Ort keinen finden, der etwas mit denen zu tun haben will“, sagt ein Nachbar. Doch, eine: die teilbesachwaltete Hofbesitzerin Michaela W. Für sie endet der Blaulichteinsatz in der Psychiatrie des Landesklinikums Waidhofen an der Thaya. Und ein Mann aus dem englischsprachigen Raum bleibt in Untersuchungshaft. Er nennt sich selbst "Souverän O’Connor“ und trägt keine Papiere bei sich.

Diese skurrilen Szenen spielten sich vor drei Wochen in der niederösterreichischen Kleingemeinde Hollenbach ab. Eine obskure, bis dahin unbekannte Sekte, die staatliche Autoritäten ablehnt, übte Selbstjustiz. Gegenüber profil sprechen die Systemaussteiger über ihre Motive.

Nationalstaaten und Banken zwangsvollstreckt
Die Vorgeschichte: Michaela W. ist 2005 auf ihren Waldviertler Bauernhof gezogen. Fortan arbeitet die Frau mit schwarzen, gekräuselten Haaren als Masseurin in der Umgebung. Sie könne sehr gut massieren, sagen die Nachbarn. Doch sie sei zunehmend "unzuverlässig und undankbar“ geworden und habe Kunden vergrault. Bald kann sie Stromrechnungen nicht mehr bezahlen. Über das Internet begeistert sie sich für eine Bewegung, die alle Staaten der Welt als "zwangsvollstreckt“ betrachtet: "One People’s Public Trust“ (kurz: OPPT). Der Legende nach gründeten drei US-Juristen den Trust (Treuhandfonds). Dieser teilt im Jahr 2013 Nationalstaaten und Banken schriftlich mit, sie seien zwangsvollstreckt. Niemand nimmt das Schreiben ernst, es bleibt unbeantwortet. Stillschweigen bedeute Zustimmung und damit Rechtsgültigkeit, glauben die OPPT-Anhänger. Die Basis ist gelegt: Von nun an leugnen sie die Legitimation von Staaten und Unternehmen.

Michaela W. sieht sich bemächtigt, ihre Schulden nicht zu bezahlen, und vernetzt sich online mit Gleichgesinnten. Anfang Juli lädt sie Anhänger der OPPT-Bewegung auf ihr heruntergekommenes Anwesen im Waldviertel ein. Sympathisanten aus ganz Österreich, vereinzelt auch Deutsche, versammeln sich in Hollenbach. Im Garten schlagen sie ihre Zelte auf und gründen den "International Common Law Court of Justice Vienna“. Der Hof dient als Gerichtsgebäude. Das Gericht sei "von der UNO anerkannt“, erklärt Mitbegründer Marcus Steiner. Die Mitglieder des Gerichtshofes wollen keine Bürger sein. "Wir bürgen nicht für den Staat, wir sind Souveräne“, sagt Steiner. Vergangenes Jahr glaubte Steiner noch an den Staat und bewarb sich sogar für hohe Ämter. Bei den Nationalratswahlen kandidierte er für das BZÖ. Ohne Erfolg. So findet sich Steiner auf dem Waldviertler Hof wieder. Er und seine Mitstreiter richten Räumlichkeiten für Verhandlungen ein. Den Zaun des Grundstückes schmücken sie mit handbemalten Stofftransparenten. "Banken und die Regierung sind zwangsvollstreckt“, ist darauf zu lesen. Nur: "Die Staatsbediensteten wissen das noch nicht“, sagt Steiner.

Skurrile Selbstjustiz
Die Aktivitäten beschränken sich bald nicht mehr auf Dekoration. Das erste Opfer der Selbstjustiz: die Rechtsanwältin Margit M., die während einer Gerichtsverhandlung für 14 Tage als Sachwalterin der Hofbesitzerin fungiert. Sie wird zum vermeintlichen Prozess geladen. Mit einem dunkelgrünen Golf seien die selbsternannten "Sheriffs“ mehrmals auf ihr Grundstück gefahren, um sie abzuholen. Mit dabei: "Souverän O’Connor“. Die Juristin folgt den Aufforderungen nicht. Zwei Sektenmitglieder statten dem nächstgelegenen Polizeiposten einen Besuch ab und fordern die Verhaftung von Frau M.. Die Polizisten bleiben ruhig; sie denken nicht daran, der Anweisung nachzukommen. Die "angeklagte“ Frau M. erstattet Anzeige. Der Polizeieinsatz vor drei Wochen ist die Folge.

Gegen den "Souverän“ in Untersuchungshaft wird ermittelt, auch gegen einige der Involvierten am Hof - wegen schwerer Nötigung, Stalking und versuchter Anstiftung zum Amtsmissbrauch, erklärt Staatsanwältin Susanne Waidecker.

"Das Steuerwesen gilt für mich nicht."
Doch damit ist der Spuk nicht vorbei. Der Aufruhr lockt einen selbsternannten "Freeman“ an: Johannes Kreissl. Der Oberösterreicher mit Halbglatze und blondem Ziegenbart zeigt Verständnis für den Naturrecht-Gerichtshof, ist aber kein Mitglied. Er wolle nur vermitteln. Im Jahr 2012 schreibt er einen Brief an die Regierung. "Ich habe ihnen mitgeteilt, dass ich aus dem System aussteige“, erzählt Kreissl. Er sei kein österreichischer Staatsbürger mehr. Und: "Das Steuerwesen gilt daher für mich nicht.“ Das habe er Finanzminister Spindelegger nach einer TV-Diskussion auch persönlich mitgeteilt und um einen Termin ersucht. "Bis ich nicht mit dem Minister geredet habe, sollte niemand mehr Steuern zahlen“, sagt Kreissl.

Von der Politik ist er schon lange enttäuscht. "Faymann und Spindelegger sind nur Marionetten der Elite, die ihre Bevölkerung versklaven“, sagt er. Dabei hat er zumindest für kurze Zeit wieder Hoffnung geschöpft. Dank Frank Stronach: Für ihn durfte er bei Wahlkampfevents als Musiker auftreten. Warum der greise Partei-gründer scheiterte? "Das System kann man nicht von innen ändern, nur von außen“, sagt Kreissl. Egal - die wahre Macht gehe ohnehin vom Vatikan aus, vom Heiligen Stuhl. Mit dem wolle er auch reden. Denn das Problem sei "die Sichtweise dieser Soziopathen in Rom, die glauben, dass jede menschliche Kreatur dem Papst unterworfen ist“.

Chemtrails zur Dezimierung der Bevölkerung?
Es ist eine krude Welt, in der "Freeman“ Kreissl und "Souverän“ Steiner leben. Eine Welt voller Bedrohungen, wie etwa Chemtrails: Die Kondensstreifen von Flugzeugen würden neben Abgasen auch chemische Substanzen enthalten; damit werde die Reduktion der Bevölkerung vorangetrieben, glauben sie allen Ernstes. Mit Rothschilds und Illuminaten habe man sich auch schon beschäftigt.

Trotz Einschreitens der offiziellen österreichischen Justiz bleibt der Gerichtshof der Politsekte aktiv. Auf der Website des "Law Court“ wurde ein Haftbefehl veröffentlicht - gegen den niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll, wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und "Sklaverei“. Mitangeklagt sind alle acht weiteren Landeshauptmänner, die Bundesregierung sowie alle Nationalratsabgeordneten. Pröll sei Hauptangeklagter, denn er sei der "größte Fädenzieher“. "Er unterdrückt die Leute in seiner eigenen Landesumgebung, wahrscheinlich mit seinen Banken wie der Raiffeisen“, sagt Steiner. Das Verfahren sei noch nicht terminisiert.

Steiner: Thesen "juristisch nicht widerlegbar"
Vergangenen Dienstag fährt der dunkelgrüne Golf wieder durch Hollenbach. Der Wagen biegt in die Einfahrt des Hofes. Ein kleiner rundlicher Mann mit schütterem Haar hüpft aus der Beifahrertür. Es ist Steiner. In der Innentasche seiner schwarzen Jacke trägt er ein langes Messer. Er öffnet das Tor. Nachdem der Wagen passiert ist, schließt er ab. Aus dem Rücksitz steigt die Hofbesitzerin Michaela W. Sie ist wieder auf freiem Fuß, nach zwei Wochen in der Psychiatrie. Gemeinsam mit den engsten Vertrauten ist sie zurück auf ihrem Hof. Steiner kündigt als nächste Maßnahme des Gerichtshofes einen "Untersuchungsausschuss“ an. Dieser solle alles untersuchen, was mit der Verhaftung von O’Connor und der Einweisung von Frau W. zu tun habe. Dabei würden auch die Handlungen aller beteiligten Polizisten, der Staatsanwältin und des Richters beleuchtet. Angst vor einer drohenden Freiheitsstrafe haben die Staatsleugner keine. Ihre Thesen seien "juristisch nicht widerlegbar“.

Die von der Sekte belangte Anwältin Margit M. steht durchgehend unter Personenschutz. Der Verfassungsschutz ermittelt.

Mitarbeit: Michelle Kreuzer

Bild: Michael Rausch-Schott

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.