Ex-Verfassungsrichter Adamovich: "Keine Bananenrepublik“
profil: Ist die Aufhebung der Bundespräsidentenwahl einzigartig in der Rechtsgeschichte? Ludwig Adamovich: Es hat vorher auch schon immer wieder Anfechtungen gegeben, die nur nicht so viele Konsequenzen nach sich gezogen haben. Nein, so etwas war noch nicht da. profil: Eine Staatskrise? Adamovich: Das würde ich wirklich nicht sagen. Man muss sich eines vor Augen halten: Es gab sicherlich gewisse Schlampereien. Nur muss man auf der anderen Seite sehen, dass es eine so strenge Judikatur nicht in jedem Staat gibt. Die Anwälte von Van der Bellen vertraten begreiflicherweise die Auffassung, das Beweisverfahren habe gezeigt, dass es keine Manipulationen gab. Dem steht halt die langjährige Rechtssprechung gegenüber, die schon die hypothetische Möglichkeit des Missbrauchs für relevant ansieht. Und ein so strenger Kontrollmechanismus ist durchaus nicht selbstverständlich.
profil: Ein Laie könnte sagen: Wenn diese Wahl aufgehoben wurde, können auch vorherige Wahlen nicht rechtens gewesen sein. Adamovich: Ja, aber man kann nicht alles umwerfen, was schon war. Wenn man das konsequent durchzieht, wackelt sehr viel - nicht nur bei Wahlen, sondern im Rechtsleben überhaupt. Es gebietet die Rechtssicherheit, dass es Grenzen für die Anfechtbarkeit gibt. profil: Glauben Sie, dass man in so kurzer Zeit bis zur Wiederholung der Wahl verhindern kann, dass es wieder zu Pannen kommt? Adamovich: Realistischerweise nein. Man kann nur hoffen, dass durch diese Entscheidung das Bewusstsein geschärft wird. profil: Die FPÖ könnte die Wahl so lange anfechten, bis ihr das Ergebnis passt. Adamovich: Natürlich, aber es kann auch das genaue Gegenteil bedeuten. Es kann durchaus passieren, dass das neue Wahlergebnis ein anderes ist, auch wieder sehr knapp, und dann kommen die anderen und fechten an.
Dieses grundsätzliche Ja zur Briefwahl bedeutet, man muss gewisse Probleme akzeptieren.
profil: Ohne Briefwahl hätte man sich das Schlamassel erspart. Adamovich: Das grundsätzliche Problem der Briefwahl besteht natürlich, weil man sich auf alles Mögliche verlassen muss: dass zum Beispiel wirklich der Berechtigte den Zettel ausgefüllt hat. Aber man hat sich dazu durchgerungen und eine verfassungsgesetzliche Basis geschaffen. Dieses grundsätzliche Ja zur Briefwahl bedeutet, man muss gewisse Probleme akzeptieren. profil: Worin liegt der Sinn der Briefwahl? Adamovich: Dass Personen in Folge der heutzutage viel stärkeren Mobilität nicht um ihr Wahlrecht gebracht werden. Die Briefwahl war lange heftig umstritten. Man kann, wenn man will, einen gewissen sozialen Faktor hineinbringen, weil es ganz deutlich ist, dass von der Möglichkeit unterschiedlich Gebrauch gemacht wird.
profil: Sie meinen, dass die Briefwahl von FPÖ-Wählern weniger genutzt und deswegen von der Partei stärker bekämpft wird. Adamovich: Und früher war es die SPÖ, die dagegen war. profil: Ganz wesentliche Personen bei Wahlen sind Wahlbeisitzer. Glauben Sie, dass sich die Arbeit nach dieser massiven Kritik der Richter überhaupt noch jemand antun wird? Adamovich: Das ist eine verständliche Frage. Nicht von ungefähr fand der Präsident des Verfassungsgerichtshofes bei der Verkündung der Entscheidung sehr positive und würdigende Worte für die Wahlbeisitzer und sagte auch, man sollte etwas tun, um die Attraktivität dieser Arbeit zu erhöhen. profil: Attraktivität erhöhen heißt ordentlich bezahlen. Adamovich: Das hat er nicht gesagt, aber das wäre die logische Schlussfolgerung.
Bananenrepublik stimmt sicher nicht.
profil: Aber muss nicht auch die Auszählung der Wahlkarten länger dauern, wenn man genauer sein will? Adamovich: Der Gerichtshof hat sehr deutlich gemacht, was die Bezirkswahlbehörden selbst tun müssen. Da kann es schon länger dauern, das ist richtig. Und etwas anderes: Einer der Gründe der Wahlanfechtung war ja die vorzeitige Veröffentlichung von Teilergebnissen. Ich habe in internen Kreisen immer darauf hingewiesen, dass das ein gefährlicher Punkt ist. profil: Welche Reformen für die Briefwahl braucht es? Adamovich: Ein handfestes Problem ist die Auszählung der Briefwahlstimmen erst am Tag nach der Wahl. Dazu sagte der Präsident schon früher, dies sei demokratiepolitisch bedenklich. profil: Jetzt wird einer der Kandidaten in der Stichwahl, Norbert Hofer, als Dritter Präsident des Nationalrats auch interimistisch Teilzeit-Bundespräsident. Ist das vereinbar? Adamovich: Diese Frage drängt sich auf. Man muss nur sehen: Wenn ein amtierender Präsident sich der Wiederwahl stellt, macht er auch Wahlkampf und ist gleichzeitig Amtsinhaber. Wenn das geht, ist nicht einzusehen, warum ein Präsident des Nationalrats davon ausgeschlossen werden sollte.
profil: Vom noch amtierenden Präsidenten abwärts wurde erklärt, das Urteil sei ein Beweis für die Stärke des Rechtsstaates. Nehmen die Österreicher den Politikern das ab, oder sind wir in ihren Augen nicht ein bisschen Bananenrepublik? Adamovich: Bananenrepublik stimmt sicher nicht, denn erstens hat der Gerichtshof ausdrücklich festgehalten, dass es keine Beweise für Manipulationen gab. Und dann ist diese Judikatur extrem streng. Man kann diese Strenge sicher hinterfragen, aber dahinter steckt die Überzeugung, wenn man hier nicht ganz strikt und formal vorgeht, dann ist man unweigerlich dem Vorwurf der Parteilichkeit ausgesetzt.