EU-Wahl

Wie die FPÖ zur blauen Volkspartei wurde

Herbert Kickls Anti-Establishment-Linie zieht neue, breitere Wählerschichten für die FPÖ an. Reicht das fürs Kanzleramt?

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Zwei Spitzhacken im Gemeindewappen und das Bergbaumuseum Karl-Schacht erinnern noch an die Zeit, als in Rosental an der Kainach Kohle abgebaut wurde. Im Juli 1990, nach 150 Jahren, sperrte die letzte Grube zu. Wenigstens politisch blieb alles stabil im 1682-Einwohner-Ort im steirischen Bezirk Voitsberg: Von 15 Sitzen im Gemeinderat gehören 13 der SPÖ und zwei der ÖVP. 

Das war die Welt bis gestern. Bei der EU-Wahl ereignete sich ein Polit-Erdbeben, Rosental ist nun blaue Hochburg: Um satte elf Prozentpunkte legte die FPÖ auf 40,4 Prozent zu und ist die neue Nummer eins. Die SPÖ kam nur noch auf 36,6, die ÖVP stürzte auf 10,9 Prozent ab. Noch Tage danach kann sich Bürgermeister Johannes Schmid, SPÖ, die Umwälzungen nicht wirklich erklären und macht Teuerung, Corona-Maßnahmen und Migration als Gründe aus: „Das Geld wird vorn und hinten knapp, die Flüchtlingsproblematik kann nicht verleugnet werden, und die Impfpflicht in der Coronapandemie hat viele Menschen vergrämt.“

Bei der Europawahl am 9. Juni gab es viele Rosentals. Quer durch Österreich legte die FPÖ zu. In Summe ergab das eine historische Zäsur. Erstmals gewannen die Freiheitlichen eine Bundeswahl. Früher war die FPÖ die Partei der unzufriedenen jungen männlichen Lehrlinge und Arbeiter, mittlerweile spricht sie breite Bevölkerungsschichten an, regiert in drei Bundesländern mit und will – im politikwissenschaftlichen Sinn – eine breitenwirksame „Volkspartei“ sein. Herbert Kickls Anti-Establishment-Linie erreicht neue Wählerschichten. Reicht das für den Sieg bei der Nationalratswahl am 29. September? Oder können die traditionellen Volksparteien ÖVP und SPÖ noch gegensteuern?

Am 9. Juni fuhr die FPÖ zwar nicht ihr bestes Ergebnis ein – das erzielte sie bei der EU-Wahl 1996 mit 27,5 Prozent, lag aber dennoch hinter ÖVP und SPÖ. Aber die 25,4 Prozent vom vergangenen Sonntag reichten für den ersten Platz. Herbert Kickl und EU-Spitzenkandidaten Harald Vilimsky glückte, wovon Kickls Vorgänger an der FPÖ-Spitze, Jörg Haider und Heinz-Christian Strache, geträumt hatten.

Wenn man den Begriff Volkspartei politologisch betrachtet, kann man derzeit von drei Volksparteien in Österreich sprechen.

Der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP)

sieht im profil-Interview mehr als eine Volkspartei.

ÖVP und SPÖ verstehen sich als sogenannte „Volksparteien“, die sich an alle Bevölkerungsschichten richten und alle gesellschaftlichen Gruppen ansprechen wollen. Von „Catch-all“-Parteien spricht die Politikwissenschaft. Entsprechend breit müssen die Inhalte sein: von Wirtschaft bis Soziales; von Sicherheit bis Bildung; von Umweltschutz bis Gesundheit. Doch die Ära der bisherigen Großparteien, die die Zweite Republik prägten und die in ihren Hochphasen gemeinsam 90 Prozent der Wählerschaft hinter sich vereinten, ist spätestens mit der EU-Wahl beendet. Die neue Volkspartei in Österreich heißt FPÖ. Der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler meint im profil-Interview: „Wenn man den Begriff Volkspartei politologisch betrachtet, kann man derzeit von drei Volksparteien in Österreich sprechen.“

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.