Michael Häupl: "Ohne Blut und ohne Tränen"
INTERVIEW: EVA LINSINGER, CHRISTA ZÖCHLING
profil: Erleben wir derzeit eine Revolution in der Wiener SPÖ? Michael Häupl: Einige in der Partei haben die Sorge, wir kämen mit der politischen Konkurrenz nicht mehr zurande, hätten nicht mehr die richtigen Antworten. Das muss man diskutieren. Aber man soll nicht herumheucheln: Es gibt auch Eigeninteressen.
profil: Geht es um Bobos gegen Arbeiterbezirke, um Willkommenskultur gegen Grenzen dicht? Häupl: Um nichts von alledem. Es gibt im 5. Bezirk so viel kleinverdienende Arbeitnehmer wie in Simmering auch – und dort umgekehrt ebenso Bobos wie im Fünften. Dieser Gegensatz ist eine an den Haaren herbeigezogene Geschichte. Aber: Die Stadt entwickelt sich unterschiedlich. Die Bezirke jenseits der Donau haben einen hohen Neubaudruck und besondere Anforderungen an Verkehr, Bildung, Kultur und Sport. Man kann diese Diskussion solidarisch führen oder einander etwas ausrichten.
profil: Man hört von Funktionären der traditionellen Arbeiterbezirke, es gebe zu viele Ausländer. Was hat die SPÖ da versäumt? Häupl: Man muss eingestehen: Wir sind mit der politischen Bewältigung von Nachbarschaftskonflikten nicht vollständig zurechtgekommen. Das ist aber nicht überall schiefgegangen. In Ottakring etwa, meinem Heimatbezirk, hat Heinz-Christian Strache Probleme, wenn er am Brunnenmarkt eine Wahlkampfveranstaltung machen will.
profil: Ihr ehemaliger Landesparteisekretär Christian Deutsch verhöhnte auf Twitter Stadträtin Sonja Wehsely und Kanzler Christian Kern, weil sie eine Obdachloseneinrichtung besuchten. Sie gingen „Armut schauen“, schrieb Deutsch. Viele dachten, das sei ein Fake der FPÖ. Häupl: Ich auch. Zimperlich ist das nicht, aber auch das gab es in der SPÖ schon immer.
profil: Sehen Sie nicht einen allgemeinen Wunsch nach Veränderung? Häupl: Den sehe ich schon. Wir können nicht mit denselben Strukturen arbeiten wie zu Zeiten, als wir noch 100.000 Parteimitglieder hatten. Jetzt haben wir die Hälfte.
profil: Im vergangenen Wahlkampf stellte sich die SPÖ noch einträchtig hinter Ihre Position, Flüchtlinge aufzunehmen. Was ist seither passiert? Häupl: Gar nichts. Es ist dieselbe Partei wie vorher. Auch im Wahlkampf waren nicht alle glücklich mit der Grundlinie der Partei. Aber sie haben gesehen: Damit kann man Wahlen gewinnen.
profil: Warum ist die Debatte jetzt, zwei Wochen vor der Bundespräsidentenwahl, wieder hochgekocht? Sähen manche Sozialdemokraten lieber Norbert Hofer in der Hofburg als Alexander Van der Bellen? Häupl: Das glaube ich nicht, so zynisch kann kein Mensch sein. Aber man hat sich offenbar nicht überlegt, welche Auswirkungen das haben kann. Denn die zwei, die am allermeisten lachen, sind Strache und Gudenus.
profil: Bricht sich womöglich auch der Zorn auf Rot-Grün Bahn? Es sind ja nicht alle in Ihrer Partei Fans der Stadtregierung. Häupl: Korrekt.
Personalentscheidungen sollten intern getroffen werden, und das werden wir auch bald tun.
profil: Manche werfen Ihnen vor, dass Sie die Diskussion zudecken wollen. Häupl: Das Gegenteil ist wahr. Wir haben uns damals über inhaltliche Dinge unterhalten und tun das auch jetzt. Wenn man einigermaßen bei politischer Vernunft ist, muss man doch begreifen, dass man Inhalte so breit wie möglich in der Öffentlichkeit diskutieren kann, aber Personaldiskussionen tunlichst im Wohnzimmer und nicht auf dem Balkon führen sollte. Personalentscheidungen sollten intern getroffen werden, und das werden wir auch bald tun.
profil: Wir sitzen zwar nicht in Ihrem Wohnzimmer, aber in Ihrem Büro. Wird es einen Umbau in der Stadtregierung geben? Häupl: Was ich zu besprechen habe, bespreche ich mit meinen Freunden. Im ersten Quartal des kommenden Jahres wird es eine Entscheidung geben.
profil: Immer wieder taucht der Name Gerhard Zeiler auf. Häupl: Jeder weiß, dass wir seit Jahrzehnten Freunde sind. Dazu stehe ich, auch dazu, dass Gerhard ein ausgezeichneter Mann ist.
profil: Werden Sie auf dem Parteitag wieder kandidieren? Häupl: Aus heutiger Sicht schon.
profil: Der Parteitag ist aber erst im Herbst 2017. Häupl: Wir werden sehen. Das hängt auch vom Termin der Nationalratswahl ab.
profil: Bevor Sie Bürgermeister wurden, hatten sie Gegenkandidaten aus dem eher rechten SPÖ-Spektrum. War das ein ähnlicher Konflikt wie heute? Häupl: Ich halte nichts von diesen Kategorisierungen. Jemand, der Josef Hindels’ Buch „Was ist heute links?“ internalisiert hat, muss verrückt werden, wenn er heutige Diskussionen über rechts und links hört. Ich halte weder Frau Wehsely für eine exponierte Linke noch Herrn Ludwig für einen exponierten Rechten. Das ist absurd. Bei der Frage des Umgangs mit Flüchtlingen waren ihre Meinungsverschiedenheiten nicht wahnsinnig groß. Und der Begriff „Willkommenskultur“ wurde von Sebastian Kurz geprägt. So viel zu links und rechts.
Ich bin wirklich entsetzt, dass es in der Bundesregierung zu keiner Regelung für die Mindestsicherung kommt.
profil: Hat die Regierungszusammenarbeit zwischen SPÖ und ÖVP noch einen Sinn? Häupl: Natürlich haben manche in der ÖVP das Ziel, die SPÖ vorzuführen. Ich bin wirklich entsetzt, dass es in der Bundesregierung zu keiner Regelung für die Mindestsicherung kommt. Über ein Ende mit Schrecken lässt sich leicht philosophieren – entscheidend ist aber: Was kommt danach? Rot-Grün ist keine realistische Alternative im Bund.
profil: Teile der SPÖ denken eine rot-blaue Regierung an. Häupl: Ich weiß nicht, wo da der Vorteil liegen soll. Was soll gerade in der Sozialpolitik mit der FPÖ besser sein? Diese weinerliche Ausgrenzungsheulerei der FPÖ ist intellektuell kaum auszuhalten. Das Nein zur FPÖ hat ja Gründe. Ich sehe kaum ein inhaltliches Element, bei dem man übereinstimmt, geschweige denn eine Bandbreite, die zu einer gemeinsamen Regierung taugt.
profil: Aber Populisten wie Donald Trump feiern Wahlerfolge. Häupl: Es gibt Menetekel wie die Trump-Wahl, die Brexit-Abstimmung, den Aufstieg der Rechten. Die Sozialdemokraten, die sich der Tradition der Aufklärung verpflichtet fühlen, müssen die Frage stellen: Wie gehen wir damit um? Wir als SPÖ werden viel klarer sein müssen. Christian Kern macht das sehr gut – deutlich, aber intellektuell redlich.
profil: Haben die Konflikte in der Wiener SPÖ mit seinem Vorgänger zu tun? Ist es ein Streit zwischen Faymann-Anhängern und Faymann-Kritikern? Häupl: Was das betrifft, bin ich Traditionalist und der Auffassung, dass ein Parteivorsitzender Anrecht auf Grundloyalität hat. Die hat Werner Faymann von mir bekommen, und zwar in einem Ausmaß, dass mich manche gefragt haben, ob ich ein Problem habe. Aber der Marschallstab im Tornister ist für mich keine verführerische Vorstellung. Ich hatte mir den Rücktritt von Faymann nicht gewünscht.
profil: Haben Sie das Heft noch in der Hand? Häupl: Ja, weil die Auffassung von Einzelnen von der überwiegenden Mehrheit nicht geteilt wird. Wir haben am Montag wieder eine Sitzung. Da werden zwar nicht die Fetzen fliegen, aber es wird harte Diskussionen geben. Viele Leute goutieren diese öffentliche Kritik an den drei Stadträtinnen gar nicht.
profil: Schwingt darin Frauenfeindlichkeit mit? Häupl: Es gibt psychologische Hintergründe, über die ich mich nicht detailreich äußern will.
Ich habe null Ehrgeiz, als längstdienender Bürgermeister in die Geschichte der Stadt Wien einzugehen.
profil: Von Ihnen stammt der Satz: „Die Zeit der Entertainer in der Politik geht vorüber.“ Welcher Politiktypus wird nächster Wiener Bürgermeister? Häupl: Ohne Schmäh wird ein Wiener Bürgermeister nicht auskommen, das glaube ich schon. Wahrscheinlich wird er oder sie also ausschauen wie Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser mit einer gehörigen Portion Schmäh.
profil: Peter Kaiser wird’s ja nicht werden. Häupl: Deswegen kann ich den Namen ohne Risiko nennen. Ansonsten will ich kein Spezialist für Name-Dropping werden. Und alle Beschreibungen sind selbstverständlich geschlechtsneutral.
profil: Sie sagen gerne, Sie bereiten sich seit 20 Jahren auf ein Leben ohne die von der Demokratie geliehene Macht vor. Wie lange dauert die Vorbereitung noch? Häupl: Ein bisschen wird es schon noch dauern. Aber ich habe null Ehrgeiz, als längstdienender Bürgermeister in die Geschichte der Stadt Wien einzugehen.
profil: Um Rekordhalter Josef Hörl zu schlagen, müssten Sie bis 2025 bleiben. Letztlich werden Sie Ihre Nachfolge regeln müssen, so wie Helmut Zilk damals Sie zu seinem Nachfolger kürte. Häupl: Ich darf daran erinnern, dass ich 1993 Parteivorsitzender wurde und eineinhalb Jahre gewartet habe, Bürgermeister zu werden. Leopold Gratz war Bürgermeister und Parteivorsitzender, unter Helmut Zilk war es getrennt, unter mir wurden Bürgermeisteramt und Parteivorsitz wieder vereint. Das muss nicht so bleiben, auch die Trennung war ein Erfolgsmodell. Dieser Diskussion sollten wir uns nicht verweigern, das wäre verwerflich.
profil: Was schwebt Ihnen als Kompromiss zwischen den Parteiflügeln vor? Häupl: Das hängt natürlich von den Personen ab, sie müssen sich schon gut verstehen. Eine Zwei-Firmen-Theorie wäre ganz verhängnisvoll – denken Sie nur an Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine, das war katastrophal.
profil: Also ein Bürgermeister mit Intellekt und Schmäh – und ein Wiener SPÖ-Chef als Organisations- und Parteimensch? Häupl: Das ist eine Denkmöglichkeit. Spätestens bis Jänner werden wir entscheiden, ob diese Variante tauglich ist. Ich möchte meinem Nachfolger keine eineinhalbjährige Wartezeit zumuten. Daher wird die Übergabe wohlüberlegt passieren – und trotzdem spontan wirken. Es wird wie üblich alles ausschauen wie im Zirkus. Ohne Blut und ohne Tränen, fröhlich werden wir schwingen von Seil zu Seil.