ÖBB: Ungarische Bahnstewardessen machen die gleiche Arbeit für ein Drittel des Lohns
220.000 Forint stehen neben dem Wortungetüm Összes járandósag. So viel umgerechnet 700 Euro bekam die Ungarin Kati Fossi brutto im Monat als Catering-Stewardess in ÖBB-Fernreisezügen. Nach Abzug der Steuern blieben ihr 500 Euro.
Die Frau servierte Café, wärmte Essen und kämpfte sich mit dem Snack-Trolley durch die mit Koffern und Taschen verstellten Gänge, so wie ihre Kollegen, die von Wien aus ihre Arbeit antraten. Nur dass auf deren Zetteln nicht Hóvégi fizetési jegyzék sondern Lohn/Gehalts-Abrechnung stand und unterm Strich 1200 Euro bis 1500 Euro übrig blieben.
Sozialdumping
Das schürt den Unmut von Mitarbeitern und Gewerkschaften diesseits und jenseits der Grenze. Vor wenigen Wochen lancierte das ungarische Online-Portal fn.hir24.hu einen Bericht über die herabgesetzten Ungarn, die für gleiche Arbeit ein Drittel des Lohns bekämen. Ein Arbeitsrechtsexperte wird zitiert: Rechtlich mag das in Ordnung sein, moralisch nicht.
Auf österreichischer Seite fallen schärfere Worte. Von Sozialdumping und einem Verstoß gegen die europäische Entsenderichtlinie spricht Gerhard Tauchner, Vorsitzender der Plattform Lokfahrdienst in der Transportgewerkschaft Vida: Aus unserer Sicht werden die Kollegen aus Ungarn seit Jahren um ihre Löhne betrogen. Geht es nach Tauchner, gelten für sie die österreichischen Stundensätze, sobald sie bei Hegyeshalom über die Grenze rollen.
Der Streit ist von europaweiter Bedeutung. Im Kern dreht er sich um die Entsenderichtlinie, die unter anderem besagt, dass Menschen, die in Österreich arbeiten, zu den hiesigen Bedingungen bezahlt werden sollen. Auf das Baugewerbe umgelegt soll sie etwa dafür sorgen, dass polnische Arbeitstrupps in Österreich nicht zu Dumpinglöhnen Mauern aufstellen oder Fassaden anstreichen dürfen.
Im Transportgewerbe fristet die Richtlinie die sich sowohl im heimischen Arbeitskräfteüberlassungsgesetz als auch im Sozial- und Lohndumping-Gesetz niederschlägt ein Schattendasein. Nun aber hebt eine längst fällige Debatte an, glaubt die Wiener Arbeitsrechtlerin Michaela Windisch-Graetz, die kürzlich eine juristische Expertise zum Thema verfasst hat: Ausjudiziert ist da bisher noch wenig.
Hier kommt Attila Dogudan, Geschäftsführer von Do&Co, ins Spiel. Sein in Wien und Istanbul börsennotiertes Catering-Unternehmen hatte im April 2012 die rollenden Bistros und Restaurants auf den Langstrecken der österreichischen Bundesbahnen übernommen, nachdem der bisherige Speisewaggon-Betreiber E-Express in Misskredit geraten war. Ex-Mitarbeiter hatten 2011 gegenüber Kurier-Journalisten ausgepackt, E-Express tische den Gästen abgelaufene Debreziner-Würstel auf, ein Teil der Speisen und Getränke würde am Fiskus vorbei abgerechnet, zudem gäbe es Probleme mit Wassertanks und Kühlaggregaten. Schon damals kritisierte die heimische Transportgewerkschaft die niedrigen Löhne der ungarischen Stewards und Stewardessen, die bei manchen Touren 30 Stunden im Einsatz waren.
Dann gute Nacht, Europa
Das E-Express-Management wies alle Anschuldigungen zurück und drohte mit Klagen. Das Catering für die rund 160 ÖBB-Fernreisezüge wurde neu ausgeschrieben, Do&Co bekam den Zuschlag. Das Unternehmen, das im Airline-Geschäft und Event-Catering groß wurde und außerdem Hotels und Restaurants betreibt, legte sich für die Schiene das Restaurantkonzept Henry am Zug und eine gleichnamige Konzerntochter zu.
Noch lahmt die Sparte. Im Geschäftsjahr 2012/2013 trug sie 30 Millionen zum Do&Co-Umsatz bei (Gesamt: 576 Millionen Euro), machte aber rote Zahlen. Doch das soll sich laut Dogudan erstens bald ändern und zweitens: Wir setzen ungarische Mitarbeiter ja nicht missbräuchlich ein, um Löhne zu drücken, sondern ausschließlich für Züge, die in Budapest anfangen und auch dort enden.
Vom europäischen Regelwerk fühlt sich der Do&Co-Chef deshalb nicht betroffen: Wenn die Entsenderichtlinie für das Transportgewerbe so ausgelegt würde, wie die Gewerkschaft das meint, müssten auch Piloten, die über mehrere Länder fliegen, mehreren Kollektivverträgen unterliegen. Dass das nicht sein kann, sagt schon der Hausverstand.
Es ist kein Zufall, dass sich der Streit über grenzüberschreitende Kollektivverträge für die Schiene in Österreich entzündet, einem Land mit einer Grenze im Osten, hinter der die Löhne steil abfallen. Nun soll der Fall in die Gremien nach Brüssel getragen werden, sagt Tauchner: Wenn das Beispiel Henry am Zug Schule macht, stellen bald alle einen Betrieb hinter die Grenze und lassen ihre Mitarbeiter um 500 Euro arbeiten. Dann gute Nacht, Europa.
Laut Arbeitsrechtlerin Windisch-Graetz gilt die Entsenderichtlinie grundsätzlich dann, wenn der gewöhnliche Arbeitsort im Ausland liegt. Das sei der Fall, wenn ein Mitarbeiter zu einem Großteil seiner Gesamtarbeitszeit in ausländischen Schienennetzen eingesetzt wird. Lohndumping ist jedenfalls verboten. Diesen Vorwurf weist Do&Co-Chef Dogudan vehement von sich: Wir haben als internationaler Konzern nicht das geringste Interesse daran, etwas zu machen, das rechtlich nicht gedeckt ist.
2010 stach Kati Fossi ein Inserat ins Auge. Die ungarische Leiharbeitsfirma Trenkwalder suchte Stewards und Stewardessen auf den Strecken zwischen Budapest und München. 36 Bewerber ließen sich zwei Wochen lang trainieren, wie man eine Kassa bedient, und lernten in Rollenspielen, Gäste zu bedienen. Etwa die Hälfte begann danach, als Leasingkräfte zu arbeiten.
Man hat uns mündlich zugesagt, dass wir nach einem halben Jahr ins Stammpersonal wechseln und mehr verdienen, sagt Kati Fossi (Foto), die zu den Auserwählten gehörte. Doch als die Frist verstrichen war, habe man darauf ganz schön vergessen. Im April 2012, als Do&Co das Bahn-Catering übernahm, wurde aus der ungarischen E-Express-Tochter Foom eine ungarische Tochter von Henry am Zug. Für die Mitarbeiter habe sich abgesehen von den Uniformen wenig geändert.
Fossi wurde Betriebsrätin und Vorsitzende der Gewerkschaft der Bahn-Stewards und Stewardessen. Wenn ihre Kolleginnen über schikanöse Taschenkontrollen, herablassende Behandlung, überlange Dienste, Stehzeiten, für die sie keinen Cent bekamen, oder zu kurze Mittagspausen klagten, trug sie das an die Vorgesetzten weiter.
Das sei nicht gut angekommen, so Fossi: Man hat mir signalisiert, dass ich den Mund halten soll. Im April 2013 verzichtete Henry am Zug auf ihre Dienste. Sprich, die Leiharbeiterin wurde nicht mehr beschäftigt. Kündigen kann man auch in Ungarn eine Betriebsrätin nicht so einfach. Dafür bräuchte die Personalleasingfirma Trenkwalder einen triftigen Grund. Nun kämpft Fossi weiter dagegen, dass wir mit einem zu 100 Prozent ungarischen Gehalt zu 80 Prozent im Ausland arbeiten.