Die unheimliche Macht des Rechtsschutzbeauftragten
Dieser 75-Jährige ist einer der wichtigsten Menschen im Innenministerium. Er entscheidet, ob die Polizei verdeckte Ermittler einsetzen, ob der Verfassungsschutz geheim eine Videokamera anbringen darf. Er prüft auch im Nachhinein, ob die Handyortung von möglichen Selbstmördern oder Lawinenopfern in Ordnung war. Manfred Burgstaller ist der Rechtsschutzbeauftragte im Innenministerium – doch obwohl er jährlich die Grundrechte von Tausenden Bürgern schützen muss, ist er der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.
Im vierten Stock des Innenministeriums in der Wiener Herrengasse, neben einem Treppenhaus, das den zweifelhaften Charme eines typischen Amtsgebäudes hat, liegt sein unscheinbares Büro. Ein klobiger Aktenschrank, ein großer Schreibtisch, ein monströses Faxgerät erinnern allesamt an die 1990er-Jahre. Wenig deutet darauf hin, dass der weißhaarige Mann am Schreibtisch eine zentrale Kontrollfunktion in der Republik einnimmt.
Überwachung der Überwacher
Und doch ist es so. Das Faxgerät beispielsweise ist ein „Kryptofax“. Mit ihm kann Burgstaller verschlüsselt und somit abhörsicher Faxe versenden. „Bitte machen Sie keine Fotos vom Fax, das ist vertraulich“, sagt er, stets um Diskretion bemüht. Denn Burgstaller überwacht die Überwacher.
Er kontrolliert die Polizei bei jenen Ermittlungen, bei denen die betroffenen Bürger nichts von ihrer Überwachung wissen dürfen. Solche geheimen Einsätze nehmen zu.
Gesucht wird oft nicht mehr der Verbrecher, sondern der „Gefährder“
Die Polizei-Arbeit hat sich spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 massiv verändert: Gesucht wird oft nicht mehr der Verbrecher, der eine Straftat bereits begangen hat, sondern der „Gefährder“, der in der Zukunft eine begehen könnte. Die Polizei ermittelt im Vorfeld. An Burgstaller liegt es, bei derartigen Einsätzen zu prüfen, ob die Rechte der betroffenen Bürger genügend geschützt werden – im Zweifelsfall kann er Ermittlungen ablehnen.
Burgstaller ist aber kein klassischer Richter, sondern ein emeritierter Professor, der jahrzehntelang an der Uni Wien Strafrecht lehrte. Sein Ruf als Jurist ist tadellos, jedoch sein Amt als Rechtsschutzbeauftragter umstritten. Kritiker fragen: Warum macht das kein unabhängiges Gericht?
Mehr als 1000 Mal ließ die Polizei Handys orten
Dieser Tage werden die Zweifel besonders laut. Denn erneut wird die Verantwortung des Rechtsschutzbeauftragten massiv ausgedehnt. Noch bis zum Sommer wollen die Regierungsparteien das „Polizeiliche Staatsschutzgesetz“ beschließen, das den Verfassungsschützern weitere Überwachungsbefugnisse einräumen würde (siehe Kasten am Ende).
Datenschützern und der Richtervereinigung missfällt längst, wie groß die Verantwortung dieses Kontrollorgans geworden ist. Allein im Vorjahr prüften Burgstaller und seine beiden Stellvertreterinnen fast 2200 Fälle. Der häufigste Eingriff in die Privatsphäre: Mehr als 1000 Mal ließ die Polizei Handys orten.
„Meistens passiert dies, weil jemand unter akutem Verdacht steht, sich selbst das Leben nehmen zu wollen. Viele Leben wurden schon auf diese Weise gerettet. In wenigen Fällen, wirklich selten, ist die Standortbestimmung nicht gerechtfertigt. Dann weise ich die Polizei an, den Georteten über diesen Eingriff in seine Privatsphäre zu informieren. Das ist den Beamten natürlich unangenehm und hat auch einen Lerneffekt“, sagt er.
Wirklich unabhängig ist der Rechtsschutzbeauftragte nur auf dem Papier (Rupert Wolff, Präsident des Rechtsanwaltskammertags)
Hat der Rechtsschutzbeauftragte (wie in den meisten Fällen) nichts an der Handyortung auszusetzen, erfährt man womöglich nie davon. Das Gesetz schreibt der Polizei nicht vor, dass alle Betroffenen informiert werden müssen. Das ist, gelinde gesagt, umstritten.
Seine Zweifler nennen den Rechtsschutzbeauftragten „ein Feigenblatt“. So sieht das Rupert Wolff, Präsident des Rechtsanwaltskammertags, schon seit Jahren: „So sehr ich Burgstaller als Jurist schätze, muss ich sagen: Wirklich unabhängig ist der Rechtsschutzbeauftragte nur auf dem Papier. Vor allem seine räumliche, personelle und finanzielle Abhängigkeit vom Innenministerium rückt seine Unabhängigkeit in ein schiefes Licht.“
Was Wolff kritisiert, lässt sich anhand Burgstallers Büro beschreiben: Das Din-A4-Blatt, auf dem Burgstaller schreibt, der Tisch, an dem er sitzt, die Sekretärin im Nebenraum, all das wird vom Innenministerium bezahlt. Macht ihn das zu abhängig von dem Ministerium, dessen Beamte er kontrollieren soll?
Der Schreibtisch ist nicht entscheidend
Der Professor weist bei solchen Fragen gerne auf seine Reputation hin: „Entscheidend ist nicht, ob mir das Innenministerium den Schreibtisch oder die Sekretärin zahlt. Entscheidend ist, wen man zum Rechtsschutzbeauftragten macht, ob das jemand ist, der noch berufliche Ambitionen hat, oder jemand wie ich, der keine weitere Karriere anstrebt, sondern nur einen für die Gesellschaft nützlichen Beitrag leisten will.“
Datenschützer und die Richtervereinigung sehen das anders: Sie würden einen jungen, ambitionierten Richter dem pensionierten Juristen vorziehen. Nur in einem sind sie mit Burgstaller einig. Der Status quo genügt nicht, sollte das Staatsschutzgesetz 2016 in Kraft treten.
Das geplante Staatsschutzgesetz würde dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung wesentlich mehr Rechte verleihen – die Ermittler dürften schon viel früher, bereits, wenn sie eine Bedrohung für „wahrscheinlich“ halten, aktiv werden (derzeit ist ein „konkreter Tatverdacht“ notwendig).
Auch Burgstaller rechnet nun mit mehr Überwachung. „Kommt das geplante Staatsschutzgesetz, müsste ich natürlich umso genauer auf den Verfassungsschutz blicken – und dafür brauche ich mehr Mitarbeiter“, sagt Burgstaller. Mit seinen zwei Stellvertreterinnen, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter und einer Sekretärin könne er seine Arbeit sonst nicht seriös erfüllen. Burgstaller zeigt sich zuversichtlich, dass Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) Verständnis für seine Forderungen habe.
Zu bemängeln gäbe es genug
Der Rechtsschutzbeauftragte wird von der Regierung vorgeschlagen und vom Bundespräsidenten bestätigt. Burgstaller ist immer sehr diplomatisch im Umgang mit dem Innenministerium. Seine Kritiker sagen: zu diplomatisch.
Zu bemängeln gäbe es dabei genug – vor allem am Staatsschutzgesetz. Dort ist kein einziges Mal von Gerichten, immer nur vom Rechtsschutzbeauftragten die Rede. Und selbst hier können sich die Verfassungsschützer der Kontrolle entziehen. Behaupten sie, dass eine Akteneinsicht die „nationale Sicherheit“ gefährden würde, können sie die Auskunft verweigern. In diesem Fall gibt es keinerlei demokratische Aufsicht. Inwiefern könnte seine Einsichtnahme denn die „nationale Sicherheit“ gefährden? Da macht auch Burgstaller ein fragendes Gesicht, kalmiert aber gleich, denn diese Bestimmung gebe es auch schon jetzt – wenn auch unbeachtet: „In sechs Jahren als Rechtsschutzbeauftragter ist mir das kein einziges Mal passiert, dass mir jemand die Auskunft verweigerte. Die Polizei weiß, dass ich ihre Arbeit wertschätze und dass meine Kontrolle letztlich auch das Vertrauen in ihre Arbeit fördert.“
Diese Aussage umfasst das Dilemma: Burgstaller genießt derzeit einen guten Ruf bei der Polizei. Doch was passiert, wenn sein Nachfolger keine vertrauensvolle Beziehung zu den Ermittlern mehr hat? Oder wenn ein neuer Innenminister kommt und die Order gibt, nicht mehr so kooperativ zu sein? Dann wäre dieses Kontrollinstrument nur ein stumpfes Messer beim Sezieren des Polizeiapparats.
Ideen gäbe es also genug, was fehlt, ist eine breite Debatte über die Frage: Wer überwacht die Überwacher?
Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) liegt die Beschwerde einiger Bürger gegen die heimischen Überwachungsgesetze (Fall „Tretter u. a. gegen Österreich). Darin steht: „Der Rechtsschutzbeauftragte (RSB) im Innenministerium gehört organisatorisch jener ministeriellen Behörde an, die für die Überwachungsmaßnahmen in letzter Instanz verantwortlich ist – dem Innenministerium. Er ist zwar sachlich weisungsfrei gestellt, aber schon allein wegen seiner organisatorischen Eingliederung in das Innenministerium nicht unabhängig. (...) Die persönlichen Qualifikationsvoraussetzungen entsprechen auch nicht jenen eines unabhängigen Richters. Der RSB entspricht daher nicht den vom EGMR geforderten Kriterien einer unabhängigen Kontrollinstanz.“ Burgstaller findet solche Kritik überzogen, räumt aber ein: „Einer Debatte über eine Weiterentwicklung des Rechtsschutzbeauftragten würde ich mich durchaus stellen. Zum Beispiel gibt es die Idee, alle Rechtsschutzbeauftragten Österreichs in einem Amt zusammenzulegen.“
Ein interessanter Gedanke. Auch das Justiz- und das Verteidigungsministerium haben einen Rechtsschutzbeauftragten, das Finanzministerium könnte bald einen bekommen, wenn die Finanzbeamten leichter Einblick in Konten nehmen dürfen (die Regierung plant dies).
Alle Beauftragten zu bündeln, so lautet ein Lösungsansatz. Ein anderer wäre, Burgstallers Kontrollaufgaben dem Bundesverwaltungsgericht zuzuteilen, dann wären normale Richter zuständig.
Ideen gäbe es also genug, was fehlt, ist eine breite Debatte über die Frage: Wer überwacht die Überwacher? Das umstrittene Staatsschutzgesetz wäre der perfekte Anlass dafür – da einmal mehr die Ermittlungsbefugnisse massiv ausgebaut werden. Und das Sicherheitsnetz namens Rechtsschutzbeauftragter beim genauen Hinsehen dann doch recht löchrig erscheint.
Infokasten: Kein Richter nötig
Warum erntet das geplante Staatsschutzgesetz so viel Kritik? Ein Überblick.
Das geplante Polizeiliche Staatsschutzgesetz ist umstritten, weil es die Verfassungsschützer aufwerten und ihnen weitreichende Überwachungsbefugnisse einräumen würde – ohne richterliche Kontrolle, nur unter der Aufsicht des Rechtschutzbeauftragten im Innenministerium.
Die Verfassungsschützer sollen laut Gesetzesentwurf bei fast 100 Straftatbeständen aktiv werden – das reicht von schweren Straftaten wie „Terrorismusfinanzierung“ bis zu Delikten wie der „Verhinderung oder Störung einer Versammlung“. Halten die Ermittler ein Bedrohungsszenario für „wahrscheinlich“, können sie Überwachungsmaßnahmen anordnen – und mit Zustimmung des Rechtsschutzbeauftragten auch sogenannte „Verbindungsdaten“ sammeln. Das inkludiert, wer wann mit wem telefoniert hat, eine SMS oder E-Mail sendete. Bisher brauchten die Beamten für solch weitgehende Eingriffe in die Privatsphäre eine richterliche Erlaubnis.
Zunehmend wird Kritik am Gesetzesentwurf laut. Die Datenschützer des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung haben unter staatsschutz.at eine Petition dagegen gestartet. Binnen weniger Tage unterschrieben 2000 Menschen. Die Regierungsparteien halten dennoch am Zeitplan fest und wollen das Gesetz noch vor dem Sommer im Parlament beschließen. In dem Fall würde es am 1. Jänner 2016 in Kraft treten.