Ulla Kramar-Schmid: Gedächtnisstörungen
Kopf an Kopf. Seit November 2013. Seit der Wiederauflage der Großen Koalition liegen SPÖ, ÖVP und FPÖ in den bundesweiten Umfragen praktisch gleichauf. Vorwärts in die Vergangenheit! Die Freiheitlichen spielen wieder ganz oben mit. 1990er-Hitparade remixed: Asylwerber, EU-Migranten, Arbeitslosigkeit. Alles hängt irgendwie zusammen – und schuld an allem Unglück ist jedenfalls „der Ausländer“. Bei Bedarf sind es auch „die in Brüssel“.
Der FPÖ-Wähler hört das gern. Er ist Modernisierungsverlierer. Das hört er weniger gern, aber so ist es. Er, tatsächlich vornehmlich männlich, ist schlecht ausgebildet, fürchtet die Verdrängung auf dem Arbeitsmarkt (wenn er nicht schon draußen ist) und sorgt sich um seinen ohnehin niedrigen Lebensstandard. Zu Recht. Und seine Sorgen sind ernst zu nehmen. Aber warum meint er, dass ausgerechnet die FPÖ seinem Leben eine positive Wende geben wird?
Die FPÖ lebt von der Provokation, von der atemlosen Empörung, vom Spiel mit niederen Instinkten – solange sie opponiert. Kaum sitzt sie in Regierungsfunktion, sind die Stimmen maximierenden Versprechen an ihre Klientel vergessen. Das hat sich zwischen 2000 und 2006 gezeigt. Das zeigt sich aktuell. Denn mit Rechtspopulismus ist nun einmal kein Staat zu machen.
Nicht einmal ein Bundesland.
Seit Freitag steht Rot-Blau im Burgenland. Was nun, Herr Tschürtz? Panzer an die Grenzen, Maschendraht um die Weinreben? Siehe da: Kaum in Regierungsfunktion, befällt den burgenländischen FPÖ-Obmann akute Wahlprogrammamnesie. Nichts da mit strikter Asylpolitik; vielmehr werde er das Integrationsprogramm der Vorzeigegemeinde Neudörfl als richtungsweisend für die Asylpolitik im Burgenland hernehmen. Und die von Heinz-Christian Strache immer wieder kolportierte Idee eines EU-Austritts – Tschürtz konnte diese Forderung akut nicht abrufen.
Der Glaube, die FPÖ greife vorrangig dem kleinen Mann helfend unter die Arme, ist ein Trugschluss.
Ob das der FPÖ-Wähler hören will? Diesen haben, so erhob es die Wahlforschung, bei den vergangenen Landtagswahlkämpfen vor allem die Zuwanderung, die Sorge um den Arbeitsplatz, die Kriminalität und die Lebenskosten bewegt. Doch der Glaube, die FPÖ greife vorrangig ihm, dem kleinen Mann, helfend unter die Arme, ist ein Trugschluss. Es muss dem Langzeitgedächtnis auf die Sprünge geholfen werden, um das wertfrei in Erinnerung zu rufen.
Zwischen 2000 und 2006, unter blauer Regierungsbeteiligung also, wurde die EU-Osterweiterung beschlossen, der Pensionszugang erschwert, die Pensionshöhe durch Abschläge verringert; die Familienzuschläge wurden für Arbeitslose und Notstandshilfebezieher gekürzt; die Zuwanderungsquote wurde nicht nur nicht wesentlich gesenkt, vielmehr die Zahl der Saisonarbeiter deutlich erhöht. Die Exekutive wiederum wurde zwar intern reformiert, am Ende standen aber weniger Polizisten auf der Straße als zuvor.
Eingepfercht zwischen Budget- und Reformzwängen, getrieben vom Standortwettbewerb, eingebunden in EU-Spielregeln, verloren die Freiheitlichen ihre Klientelpolitik aus den Augen. Die Steuer- und Abgabenquote, die unter Schwarz-Blau auf bis heute unangefochtene 45,2 Prozent des BiP kletterte, traf naturgemäß kleine Einkommen härter; und die Arbeitslosenquote schlug, trotz guter Konjunktur, 2004 und 2005 auch schon mal auf den heutigen Wert von 5,3 Prozent aus.
Heinz-Christian Strache krakeelt in ein Führungsvakuum – bislang erfolgreich.
Die Strafe folgte auf den Fuß. Wie schon 1986 (Norbert Steger wurde von Jörg Haider weggeputscht) revoltierte die Basis 2002 (Susanne Riess-Passer wurde von Jörg Haider weggeputscht) und 2005 (Jörg Haider spaltete sich von Strache ab) gegen die Regierungsriege.
Schlechte Nachrichten für die FPÖ. Die Herausforderungen sind in den vergangenen zehn Jahren nicht geringer geworden. Österreich gerät in allen wirtschaftlichen Rankings ins Hintertreffen; das vermeintlich sanierte Budget ist eine Mogelpackung; die Arbeitslosigkeit bleibt auf absehbare Zeit auf hohem Niveau; die Konjunktur stagniert. Und, ja, der Flüchtlingsstrom wird so bald nicht versiegen. (Apropos: Wo ist eigentlich unser Integrationsminister namens Sebastian Kurz?)
Schönreden hilft da nicht, Schweigen auch nicht. Strache krakeelt in ein Führungsvakuum – bislang erfolgreich. Noch muss er auf Bundesebene nichts beweisen. Wenn die Koalition nicht bald das Heft in die Hand nimmt, Ängste anspricht, Führungsqualität beweist und diese auch kommuniziert, wird sich Strache mit einer verunsicherten, abstiegsverängstigten Mehrheit im Rücken in eine Regierungsfunktion poltern.
Das Fressen kommt bekanntlich vor der Moral.