Wie Häupl, Pröll und Pühringer ihr Lebenswerk verspielen
Als Josef Pühringer 1995 Landeshauptmann von Oberösterreich wurde, regierte in Washington Bill Clinton (seit 1993), in Bonn Helmut Kohl (seit 1982) und in Wien Erwin Pröll (seit 1992). Erst im Mai 1997 verließ der Landeshauptmann seinen Regierungssitz in der Herrengasse im 1. Bezirk und übersiedelte in das neue Landhaus nach St. Pölten. Zur letzten Sitzung der niederösterreichischen Landesregierung auf Wiener Boden stellte sich Michael Häupl (Bürgermeister seit 1994) ein. Wie die Austria Presse Agentur vermeldete, betonten beide Landeschefs zum Abschied „den Willen zur weiteren freundschaftlichen Zusammenarbeit“. Diese dauert bis heute an, mit Josef Pühringer als Drittem im Bunde der Langzeitlandeshauptmänner.
Mag zwischen Washington und Berlin der wind of change aus allen Richtungen blasen – in St. Pölten, Wien und Linz herrscht personelle Stabilität. Doch wer zu spät geht, läuft Gefahr, vom Leben bestraft zu werden. Michael Häupl (67), Erwin Pröll (69) und Josef Pühringer (67) haben den richtigen Zeitpunkt für ihre Abdankung bereits verpasst. Nun geraten sie, einer nach dem anderen, in ihren eigenen Parteien unter Druck und riskieren ihr politisches Lebenswerk.
Am härtesten trifft es derzeit Michael Häupl, dem mit 22 Jahren am zweitlängsten dienenden Bürgermeister in der Geschichte Wiens. Nur Josef Georg Hörl war zwischen 1773 bis 1804 länger im Amt – aber kein Sozialdemokrat.
Wahrscheinlich hat sich der Bürgermeister schlicht übernommen, als er ausgerechnet gegen Ende seiner politischen Karriere nach der Gemeinderatswahl 2010 das größte Risiko seiner Laufbahn einging.
Eher fällt der rote Maiaufmarsch aus, als dass ein Wiener Genosse öffentlich Kritik am Parteivorsitzenden und Bürgermeister wagte. So gesehen wird der vergangene Dienstag als Datum einer Zeitenwende in die Parteigeschichte eingehen. In der „Kronen Zeitung“ mahnte Ex-Landesparteisekretär Christian Deutsch von Michael Häupl „Mut zur Veränderung“ ein. Es sei „keine Majestätsbeleidigung“, dass auch über Häupls Nachfolge diskutiert werden müsse. Andere gehobene Vertreter der Wiener SPÖ schlossen sich der Deutsch-Kritik an. Michael Häupl tut, was er in ähnlichen Situationen immer schon getan hat. Er verkündet ein Ende der Debatte: „Personalentscheidungen sollten intern getroffen werden, und das werden wir auch bald tun.“ (siehe Interview hier)
Häupl scheint zu hoffen, dass seine Aussagen als Befehle aufgefasst und auch befolgt werden. Doch dem Wiener Bürgermeister ist die natürliche Autorität in seiner Landespartei abhanden gekommen. Dasselbe gilt in der Bundes-SPÖ: Statt Christian Kern hatte Häupl den Medienmanager Gerhard Zeiler als neuen Parteivorsitzenden bevorzugt, wurde aber von Leichtgewichten wie dem Salzburger SPÖ-Chef Walter Steidl ausgetrickst. Die ungewohnten Schwächesignale dürften in der Wiener Landespartei genau registriert worden sein.
Wahrscheinlich hat sich der Bürgermeister schlicht übernommen, als er ausgerechnet gegen Ende seiner politischen Karriere nach der Gemeinderatswahl 2010 das größte Risiko seiner Laufbahn einging. Gegen eine wiedererstarkte FPÖ war die absolute Mehrheit der SPÖ verloren gegangen. Häupl benötigte einen Koalitionspartner. Doch statt, wie allgemein erwartet, der ÖVP machte er den Grünen ein Angebot.
Kompliziert wird die Sache in der Wiener SPÖ deswegen, weil der Streit ein dreidimensionaler ist.
Schon zu diesem Zeitpunkt hätte er an die Modalitäten eines späteren Wechsels an der Spitze von Partei und Stadt denken müssen. Doch Bürgermeisteramt und Mikromanagement der ungewohnten Koalition banden offenbar alle persönlichen Ressourcen. Vielleicht wollte Häupl die Aspiranten auf seine Nachfolge auch vor einer Entscheidung noch eine Zeit lang im rot-grünen Praxistest beobachten. Das Casting ist jedoch gescheitert: Vertreter des linken Flügels wie Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (gegen Öffnung zur FPÖ, für Rot-Grün) und jene des rechten wie Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (für Öffnung zur FPÖ, gegen Rot-Grün) haben einander und sich selbst schwer beschädigt.
Im Umfeld der Parteizentrale in der Löwelstraße und dem Rathaus werden diverse Namen als mögliche Alternativen für die Häupl-Nachfolge gehandelt: Gerhard Zeiler (pro: unabhängig; contra: zu alt), Nationalratspräsidentin Doris Bures (pro: ausgleichend; contra: nicht sonderlich beliebt), Stadtschulratspräsident Jürgen Czernohorsky (pro: unverbraucht; contra: unerfahren), Parlamentsklubobmann Andreas Schieder (pro: unbeschädigt; contra: Wehsely-Lebensgefährte).
Kompliziert wird die Sache in der Wiener SPÖ deswegen, weil der Streit ein dreidimensionaler ist: Generationenkonflikt, Machtkampf und inhaltliche Auseinandersetzung (Wie halten wir’s mit der FPÖ?).
Michael Häupl sieht mangels einer Lösung nur einen Ausweg. Er überlegt, beim Landesparteitag im Herbst 2017 wieder als SPÖ-Vorsitzender zu kandidieren. Reaktion des Simmeringer SPÖ-Chefs Harald Troch in der „Presse“: „Kann sich die SPÖ Wien den Luxus leisten, ungelöste Fragen vor sich herzuschieben?“
Häupls alter Haberer in St. Pölten bleibt von derartigen Fragen verschont. Am Heiligen Abend wird Erwin Pröll 70 Jahre alt. Im Frühjahr sorgte er für die spektakulärste Rückrufaktion der jüngeren Zeitgeschichte. Auf dem Höhepunkt des Präsidentschaftswahlkampfs und gegen den Willen der Parteiführung beorderte er im April Innenministerin Johanna Mikl-Leitner heim nach St. Pölten und seinen Stellvertreter Wolfgang Sobotka ins Innenministerium nach Wien. Wer aus dem Tempo der Rückrufaktion auf eine baldige Kür von Mikl-Leitner zur neuen Landeshauptfrau schloss, täuschte sich. Genüsslich lässt Pröll offen, ob er bei der Landtagswahl 2018 neuerlich antreten wird.
Die negativen Folgen eines Erbstreits kann Pröll in Echtzeit bei seinem oberösterreichischen Parteifreund Josef Pühringer studieren.
Wahrscheinlich ist Pröll gar nicht bewusst, wie sehr er seine Wunschnachfolgerin Mikl-Leitner dadurch schwächt. Je länger sie auf ihre Beförderung warten muss, desto unwahrscheinlicher wird diese. Im Bauernbund der niederösterreichischen Volkspartei wächst die Hoffnung, doch noch den eigenen Mann, Agrarlandesrat Stephan Pernkopf, auf den LH-Sessel hieven zu können. Und auch Wolfgang Sobotka könnte wieder Lust auf Niederösterreich bekommen, wo er ohnehin besser gelitten ist als Mikl-Leitner. Die Ironie: Gerade um Sobotkas Ambitionen zu unterdrücken, hatte Pröll ihn nach Wien abgeschoben.
Die negativen Folgen eines Erbstreits kann Pröll in Echtzeit bei seinem oberösterreichischen Parteifreund Josef Pühringer studieren. Der Landeshauptmann kassierte bei der Landtagswahl 2015 die letzte, aber auch schmerzhafteste Abstrafung durch die Wähler. Die OÖVP büßte über zehn Prozentpunkte ein. Die Mehrheit der schwarz-grünen Koalition war damit perdu. Wie Michael Häupl in Wien vermeinte wohl auch Pühringer, der beste, weil einzige Mann zur Bewältigung einer solchen Krisensituation zu sein, und formte eine schwarz-blaue Koalition.
Dass er seine direkte Nachfolge noch nicht geregelt hätte, kann man Pühringer nicht vorwerfen. Neuer Landeshauptmann wird dereinst Thomas Stelzer werden, bis zur Wahl 2015 Obmann des VP-Landtagsklubs und seitdem Landeshauptmann-Stellvertreter. Im Feintuning der Machtübergabe scheiterte freilich auch Pühringer. Sein Plan, auch der neue Landeshauptmann solle wie er die Finanz- agenden innehaben, stieß auf Widerstand bei Wirtschaftslandesrat Michael Strugl, der sein Ressort zum Super-Portefeuille hochpimpen wollte.
Fast schon hilflos musste Pühringer den Hahnenkampf zwischen Stelzer und Strugl mitverfolgen. Die Unruhe in der Partei wurde immer größer. Im September präsentierte Pühringer dann eine Pseudolösung höchster bürokratischer Bizarrerie. Die Finanzagenden werden zwar beim künftigen Landeshauptmann Stelzer liegen. Dieser muss sich bei der mittelfristigen Finanzplanung und der Budgeterstellung allerdings fürderhin mit Strugl abstimmen, der seinerseits zur Machtmassierung die Agenden für Wissenschaft und Forschung zusätzlich erhält. Die Folgen des schwarzen Schauspiels: In manchen Umfragen liegt die FPÖ in Oberösterreich bereits auf dem ersten Platz.
Michael Häupl, Erwin Pröll und Josef Pühringer vereint, dass sie es verabsäumten, ihre Nachfolge in einer Phase der Stärke zu regeln. An die eigene Vergänglichkeit will oder kann ein Landesfürst mit absoluter Macht offenbar nicht denken. Und für einen Diener nach altrömischem Vorbild, der ihn daran erinnert, auch nur ein Mensch zu sein, ist im Landesdienst kein Planposten vorgesehen.