"Ein grauer Berg von Zeit"

Junge Männer: "Ein grauer Berg von Zeit"

Angelika Hager über eine junge Männergeneration, die das Gefühl der Verlorenheit eint.

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"Keine Ahnung. Hab keinen Plan. Möchte was machen mit Elektrik vielleicht. Geld ist mir schon wichtig. Mit Elektrik kann ich ja vielleicht auch was schwarz machen." Die ungeschönt ehrliche Antwort des 23-jährigen Serben N. , der "die Schule nicht so fertig gemacht hat" und sich bislang mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt, auf die Frage seines vom AMS vermittelten Coaches, von welcher Berufsvision er beseelt sei, fällt so aus wie die vieler anderer.

Ein großes Gefühl der Verlorenheit. Es ist alles ein bisschen wie in der Schule, nur noch sinnloser

Die häufigsten Sätze in diesen "Clearing"-Veranstaltungen sind "Kein Plan","Weiß nicht so genau" oder "Keine Ahnung". Im grau-beigen Ambiente am Mexikoplatz treffen alle möglichen Nationalitäten aufeinander: zwei Türken, ein Serbe, drei Österreicher und zwei Afghanen. Das emotionale Klima, das vorherrscht: "Ein großes Gefühl der Verlorenheit. Es ist alles ein bisschen wie in der Schule, nur noch sinnloser", so ein betroffener Teilnehmer des Kurses.

Das Gefühl der Verlorenheit verunsichert, macht traurig und verletzlich. Auf Dauer beschädigt es auch den Selbstwert nachhaltig. Und es kränkt. Und Kränkung ist, darin sind sich Gewaltforscher und Psychiater einig, die häufigste Ursache für Schlägereien, häusliche Gewalt, Amokläufe, Beziehungsmorde und Suizide. All diese Delikte sind nahezu reine Männerdomänen, auch in der Selbstmordstatistik steigt der männliche Anteil stetig.

"Verletzlichkeit","totale Deregulierung","keine Komfortzone mehr","Verunsicherung" und "völliger Verlust von Stabilität" sind die Begriffe, mit denen der Jugend-und Marktforscher Bernd Heinzlmaier des in Wien und Hamburg beheimateten Trendinstituts t-factory die Emotionspalette jener Generation junger Männer beschreibt, denen der Arbeitsmarkt ganz klar signalisiert, dass er "nicht auf sie wartet". Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg sei eine Generation dem Job-Wettbewerb "so brutal ausgeliefert" gewesen, sagt Heinzlmaier: "Und die Verletzlichkeit wächst und wächst."

Diese Gesellschaft signalisiert den Jungen ganz klar, dass sie nie durchatmen und sich zurücklehnen werden können

Dieses Phänomen sei keineswegs auf bildungsschwache Schichten beschränkt, sondern greife auch bei Maturanten, Akademikern und Fachschulen-Absolventen immer stärker um sich: "Diese Gesellschaft signalisiert den Jungen ganz klar, dass sie nie durchatmen und sich zurücklehnen werden können."

Frauen tun sich wesentlich leichter damit, Selbstverwirklichungsalternativen zu finden, wenn ihnen die Berufswelt die kalte Schulter zeigt: Familie, Beziehung, Aussehen, Kindererziehung. Männer sind, wie viele Studien zeigen, wesentlich träger und unbeholfener in ihrer Flexibilität und Adaptionsfähigkeit. "Der Verlust der Versorgeroberhoheit kastriert den Mann", konstatierte die Männerforscherin Susan Faludi in ihrem inzwischen zum Klassiker avancierten Werk "Angeschmiert - das betrogene Geschlecht" um die Jahrtausendwende.

In Hunderten Büchern mit Titeln wie "Was vom Manne übrig blieb","Die Krise der Männlichkeit" oder "Was Männer sagen, wenn sie schweigen" wurden diese Kastrationsängste und ihre Konsequenzen inzwischen beforscht, analysiert und kommentiert.

In den Meinungsmedien wird in regelmäßigen Abständen die "Männerdämmerung" ausgerufen, wie der "Spiegel" Anfang 2013 eine Covergeschichte titelte: "Jungen versagen in der Schule, Männer verlieren ihren Job, Kinder wachsen ohne Vater auf. Gesucht wird der moderne Mann." profil rief den Mann schon fünf Jahre zuvor zum Pflegefall aus:

"Das schlappe Geschlecht. Wie die Wirtschaftskrise zur Zerreißprobe für den Mann wird". In einem "Zeit"-Dossier aus dem Jahr 2014 über den Zustand des Mannes und seine Unfähigkeit, "mit dem gesellschaftlichen Wandel Schritt zu halten" hieß es: "Der moderne Mann befindet sich in der Phase eins der Trauer über die verlorene Macht - er ist noch in der Phase, in der der Verlust noch geleugnet wird."

Unterforderung übt auf Menschen genauso negativen Stress wie Überforderung aus

Die Männer der Generation Y oder "Maybe", wie die Altersspanne zwischen 18 und 25 Jahren ob ihrer Unentschlossenheit oft apostrophiert wird, sind jedoch nicht in der Verlegenheit, den Verlust von Macht zu beklagen, denn sie haben die neben Geld bedeutendste Voraussetzung für einen Frontplatz in der Leistungsgesellschaft gar nie besessen.

Apathie, Abgestumpftheit und Zynismus entspringen diesem Gefühl der Ohnmacht und dienen gleichzeitig als Selbstschutz. "Ich bin Hartz IV" ist ein beliebter Spruch unter Berliner Türken. Für Burschen aus dem Migrationsmilieu fühlt sich der spätere Realitätscheck besonders hart an. "Besonders Türken werden von den Müttern ja gleich Götzen verehrt und zu Prinzen hochstilisiert", so Jugendforscher Heinzlmaier: "Selbstgefällige Prinzen, die später nichts haben, worüber sie herrschen können und nicht viel mehr sind als, brutal ausgedrückt, Unterschichtenwappler mit einer komischen Frisur."

Dass das Gefühl, nicht gebraucht zu werden und nur im Weg zu stehen, die Psyche lähmt und sich in Depressionen und psychosomatischen Beschwerden niederschlägt, ist bekannt. "Unterforderung übt auf Menschen genauso negativen Stress wie Überforderung aus", so Peter Stippl, Psychotherapeut und Präsident seines Berufsverbands: "Der mit Arbeitslosigkeit einhergehende Verlust von Tagesstrukturen wirft viele aus der Bahn." Der "graue Berg der Zeit", so ein Betroffener, erzeugt Angst und Beklemmung. Unbehagen und Angst sind die verlässlichsten Motive für die Flucht in fremde Welten. Österreichs Teenager belegen im internationalen Vergleich sogar einen Spitzenplatz, was den Früheinstieg bei Drogen und Alkohol betrifft.

"Neben der Flucht in die Drogen werden bei solchen jungen Männern die Wertesysteme verrückt", so Stippl: "Als Diskokönig, beim Streetfighten, Drogendealen oder Kampftrinken holen sie sich dann das Gefühl, wieder jemand zu sein." Ohnmacht, das nagende Gefühl, nicht gebraucht zu werden, Frustrationen und die daraus resultierende Wut, der Neid, niemals Zugang zum "Bling-Bling"-Lifestyle der Rap-und Hiphop-Idole sowie der Elite zu kriegen: Für radikale Milieus wie den Rechtsextremisten oder Islamisten sind solche jungen Männer leicht zu instrumentalisierendes Menschenmaterial, denn dort "kriegen sie endlich das Gefühl, nach dem sie sich so sehnen", so Stippl: "Anerkennung und das Gefühl von Bedeutung."

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort