Peter Michael Lingens
Mein verfehltes Griss-Verständnis

Peter Michael Lingens: Mein verfehltes Griss-Verständnis

Peter Michael Lingens: Sach-Intelligenz kann politische Intelligenz nicht ersetzen.

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Gravierende journalistische Fehleinschätzungen soll man an Ort und Stelle korrigieren: Ich habe mich massiv geirrt, als ich Irmgard Griss nicht nur als hochintelligente, anständige, initiative und emanzipierte Frau, sondern auch als „politischen Menschen“ eingeschätzt habe. Sie ist zwar intelligent, anständig und emanzipiert, aber leider auf gefährliche Weise unpolitisch.

Ihre Argumente dafür, keine Wahlempfehlung für Alexander van der Bellen abzugeben, werden immer wirrer und sind in sich immer weniger logisch.

So erklärte sie zuletzt „im Zentrum“ glaubhaft, dass sie für eine „weltoffene Politik“, für „konstruktive Mitarbeit in der EU“ und gegen „Abschottung“ stünde.

Griss kann unmöglich entgangen sein, dass Norbert Hofer massiv für Abschottung und gegen die EU in ihrer Gesamtheit eintritt.

Da sie sicher nicht schwachsinnig ist, kann ihr in den diversen TV -Diskussionen, bei denen sie Norbert Hofers Worten lauschen durfte, unmöglich entgangen sein, dass er massiv für Abschottung und gegen die EU in ihrer Gesamtheit eintritt. Dennoch verweigert sie die logische Schlussfolgerung, dass Hofer daher für sie als Bundespräsident nicht wählbar ist. (Denn ich kann nicht annehmen, dass sie die Werte, für die sie steht, für so unerheblich hält, dass es ihr nicht das Geringste ausmachte, wenn der künftige Bundespräsident dagegen verstößt.)

Ihr Argument für die verweigerte Van der Bellen-Empfehlung, war diesmal nicht mehr, dass sie ihrer „Unabhängigkeit“ widerspräche, sondern dass eine solche Wahlempfehlung nicht zu der „Bewegung“ passte, die sie mit ihrer Kandidatur begründet habe und die auf den mündigen Wähler setze. Als Ingrid Thurnher sie gleich darauf frägt, ob sie ihre Wähler kenne, verneint sie freilich eben dies und berichtet statt dessen von Wählerinnen und Wählern, die verwirrt zu ihr gekommen wären, um sie zu fragen, was sie denn nun tun sollten. Ihnen hätte sie geraten, jedenfalls zur Wahl zu gehen, sich aber gut zu überlegen, wem sie ihre Stimme gäben. Viele, so meinte sie, könnten dennoch nicht oder ungültig wählen.

So kann nur ein völlig unpolitischer Mensch mit einer gefährlichen Aversion gegen „Parteien“ sprechen.

Aus all dem hat sie aber nicht vielleicht geschlossen, dass ihre Wähler vielleicht doch nicht alle so mündig sind, wie sie meint oder dass auch mündige Wähler den Rat von Personen suchen und brauchen, die sie für intelligent, informiert und anständig halten –dass sie also ihren Wählern gegenüber eine gewisse politische Verantwortung trägt - sondern sie ist bei ihrem Mantra geblieben, dass sie ihnen keinen Rat geben darf , weil sie ja mündig sind und weil jede Empfehlung der „Bewegung“ widerspräche, die sie „gegen den verkrusteten Parteienstaat“ ins Leben gerufen hat.

So kann nur ein völlig unpolitischer Mensch mit einer gefährlichen Aversion gegen „Parteien“ sprechen.

Ich habe Irmgard Griss in meinem seinerzeitigen Kommentar gegen den Vorwurf verteidigt, die NS-Zeit zu verharmlosen, bloß weil sie erklärt hat, dass die Nazis anfangs auch ein „freundliches Gesicht“ gezeigt haben. Gegen diesen Vorwurf nehme ich sie noch immer in Schutz, denn für unpolitische Bauern in der Steiermark hatten sie tatsächlich anfangs auch ein „freundliches Gesicht“, indem sie die Arbeitslosigkeit einzudämmen vermochten. Wohl aber hatten Anneliese Rohrer oder Doron Rabinovici offenbar den bessern Instinkt dafür, dass Irmgard Griss die Nazis zwar mittlerweile als Verbrecher erkannt, sich aber offenbar dennoch zu wenig mit der „Vergangenheit“ auseinandergesetzt hat. Sonst wüsste sie, wie sehr die Nationalsozialisten sich als „Bewegung“ im Gegensatz zum „Parteienstaat“ empfunden haben- und wie sehr gerade die darin implizit enthaltene Abwertung der „Parteien“ ihren Aufstieg und damit den Faschismus befördert hat.

Griss hätte, wenn sie das wüsste, hoffentlich beide Bergriffe ungleich vorsichtiger verwendet – es offenbar nicht gewusst zu haben disqualifiziert sie nachträglich restlos für das Amt des Bundespräsidenten. Ich habe mich in der Meinung, dass sie Dank ihrer Intelligenz und Sachlichkeit für diese Funktion geeignet sei, leider massiv geirrt und möchte diesen Irrtum hiermit richtig stellen: Sachintelligenz kann politische Intelligenz nicht ersetzen.

Deshalb ist zu befürchten, dass ein keineswegs unbeträchtlicher Teil dieser Wähler bei der Stichwahl tatsächlich zu Hause bleiben oder ins Lager Norbert Hofers wechseln wird.

Dass ich Irmgard Griss nicht mehr für eine geeignete Bundespräsidentin halte, heißt allerdings in keiner Weise, dass ich ihr die Eignung für das Amts des Rechnungshofpräsidenten abspreche, an dem sie sich interessiert gezeigt hat. Und es heißt auch nicht, dass ich es für verfehlt halte, dass sie sich weiterhin politisch betätigt: Was mich so sehr für sie eingenommen hat, war nämlich nicht zuletzt ihre jugendliche Neugier – ich bin zuversichtlich, dass sie auch mit 69 noch dazulernt.

Ich korrigiere mich in ihrer Einschätzung auch nicht, weil ich so sehr für Alexander van der Bellen schwärme – ich hätte ihm den biederen Sozialdemokraten Rudolf Hundstorfer in der Stichwahl vorgezogen- sondern ich korrigiere mich, weil meine Leser Anspruch auf die Korrektur einer falschen Einschätzung haben.

Leider muss man davon ausgehen, dass viele Griss-Wähler ähnlich unpolitisch sind wie ich gedacht haben, als sie ihr ihre Stimme gegeben haben. Deshalb ist zu befürchten, dass ein keineswegs unbeträchtlicher Teil dieser Wähler bei der Stichwahl tatsächlich zu Hause bleiben oder ins Lager Norbert Hofers wechseln und damit dessen Vorsprung weitgehend erhalten, statt entscheidend mindern wird. Denn die FPÖ-Wähler werden ihm sowieso treu bleiben, unter den Khol-Wählern wird er Sympathisanten finden und bisherige Nichtwähler, die diesmal vielleicht doch zur Wahl gehen, werden auch nicht zwingend politisch denkende Menschen sein. Nur eine eindeutige Griss-Empfehlung hätte ihm doch noch eine Chance gegeben.

Sie wird sich nach dieser Stichwahl sagen können (sagen müssen): Ich, Irmgard Griss, habe wesentlich dazu beigetragen, das jemand Bundespräsident geworden ist, der Österreich abschotten und die EU auflösen möchte.