Norbert Hofer: Der Donald Trump der Alpen
Nirgendwo werden Auftritte, Forderungen und Wortmeldungen von Politikern so penibel verzeichnet wie bei der Austria Presse Agentur. In den ereignisreichen August- und Septemberwochen 2015 quillt sie fast über vor Meldungen, so viel passiert, so viele haben etwas zu sagen. Nur einer geht es gemächlich an: Norbert Hofer, der Dritte Nationalratspräsident. Vom FPÖ-Mann sind aus dieser turbulenten Zeit kaum Aktivitäten überliefert. Am 16. September, dem Tag, als Österreich mit den umstrittenen Grenzkontrollen beginnt, gibt er zu Protokoll, dass er sich freut "über die gesetzliche Verankerung einer Mindesthöhe von 2,20 Metern für Verkehrszeichen“. Zwei Wochen davor hat er eingemahnt, dass Österreich die "guten nachbarschaftlichen Beziehungen zu Ungarn zu wahren“ hat. Vom Menschenstrom durch das Burgenland, seine Heimat, erfährt Hofer aus dem Fernsehen: "Ich war nie an der Grenze, in der Phase war im Parlament viel los.“
Ein bemerkenswerter Aufstieg eines Rechtsaußen, der ohne Fluchtwelle undenkbar wäre.
Hofer ist zu diesem Zeitpunkt nur politischen Insidern ein Begriff. Heute hat er intakte Chancen, am 2. Oktober zu Österreichs neuem Bundespräsidenten gewählt zu werden. Ein bemerkenswerter Aufstieg eines Rechtsaußen, der ohne Fluchtwelle undenkbar wäre und unter internationaler Beobachtung stattfindet: "The last time the world gave so much attention to the election of an Austrian president was in 1986, when the country elected Kurt Waldheim“, schreibt die "New York Times“.
Es ist mittlerweile zur Minderheitenmeinung geworden, FPÖ-Wahlerfolge für kein Naturgesetz und den Law-and-Border-Fansektor nicht für dominant zu halten. Günther Ogris ist einer der Wortführer dieser Minderheitenposition. Der Chef des Sora-Instituts verfügt über jahrzehntelange Erfahrung im Sezieren von Wahlergebnissen und Wahlmotiven, unter anderem für die ORF-Wahlhochrechnungen. Was die Einstellung der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen betrifft, liefert er einen überraschenden Befund: "Die Stimmung hat sich verändert, aber nicht derart dramatisch, wie medial und politisch behauptet wird.“ Im Oktober 2015 stimmten 79 Prozent dem Satz zu: "Es ist unsere Pflicht, Flüchtlinge aufzunehmen.“ Im Mai 2016 waren es "nur“ noch 75 Prozent. Dem Satz "Österreich sollte sich zuerst um Probleme im eigenen Land kümmern, für Flüchtlinge bleibt da weder Zeit noch Geld“ stimmten im Oktober des Vorjahres 45 Prozent zu - im Juli 2016 waren es bereits 67 Prozent (siehe Grafiken).
Patentlösungen haben sie zwar keine zu bieten - sie können aber lauter schreien.
Für entscheidender hält Orgis zwei Detailerkenntnisse: "Die Meinung der Bevölkerung ist zu 15 Prozent von der Regierung beeinflussbar - restriktivere Politik führt zu restriktiverer Haltung in der Bevölkerung.“ Das zeigt sich auch in der aktuellen profil-Umfrage: Nur 35 Prozent halten rückwirkend die Politik Österreichs bei der Aufnahme von Flüchtlingen für richtig - und 61 Prozent für falsch.
Ogris bleibt dabei, dass Flüchtlinge vor allem eine Chiffre für Abstiegsängste sind: "Der eigentliche Zorn der Bevölkerung resultiert aus dem Gefühl, dass das Wirtschaftssystem nicht mehr funktioniert - davon profitieren weltweit Wut-Politiker wie Donald Trump.“
Und, in der Miniaturausgabe, Norbert Hofer. Patentlösungen haben sie zwar keine zu bieten - sie können aber lauter schreien.