Stromstoßrichtungen

Alternative Energien: Humbug oder Rettung der Welt?

Alternativenergien. Wie sinnvoll sind sie wirklich?

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Von Jochen Stadler

Es bleibt nur noch wenig Zeit. Wenn die Menschheit nicht rasch und entschlossen handelt, wird es auf der Erde ungemütlich, verkündete der Weltklimarat IPCC Anfang November. Eine "tief greifende und irreversible Veränderung des Weltklimas“ drohe, die Stürme, Hitzeperioden und Überschwemmungen mit sich bringe. Die Lösung sei theoretisch einfach, so die die Experten im fünften Weltklimareport: Bis 2100 müsse der Ausstoß von Treibhausgasen schrittweise auf null reduziert werden, indem man von den fossilen Energieträgern Öl, Gas und Kohle endlich auf erneuerbare Quellen wie Sonne, Wind und Wasser umschwenke.

Doch nicht nur jene, die mit fossilen Energiequellen Geld verdienen, zeigen dafür wenig Enthusiasmus. Auch in der Bevölkerung regt sich teils massiver Widerstand - passiv, wenn man etwa mit einem spritfressenden Pseudogeländewagen durch die Stadt kurvt, und aktiv in Form von Bürgerinitiativen und Kampagnen gegen den Ausbau von Wind- und Wasserkraft in Österreich. Nur, woher soll die Energie in Zukunft kommen? Atomstrom will hierzulande fast niemand, denn er ist teuer, das Risiko bei Unfällen hoch, und dass er CO2-neutral sei, glaubt ohnehin kaum jemand mehr. Ein Schiefergasboom hat zwar in den USA die CO2-Emissionen gesenkt, doch weltweit würde das kaum funktionieren, wie österreichische Forscher vor Kurzem herausfanden. Außerdem ist Fracking, eine Methode, bei der Gasreservoirs in tief liegendem Schiefergestein erschlossen werden, in Österreich ohnehin tabu.

Allerdings wettern die Bevölkerung und Naturschützer paradoxerweise auch gegen eigentlich saubere, ungefährliche und absolut erneuerbare Energien - und zwar genau dann, wenn sie in der persönlichen Umgebung oder dem eigenen Betätigungsgebiet gewonnen werden sollen. Naturgemäß gibt es bei erneuerbaren Energien mehr unmittelbar Betroffene als etwa bei kalorischen Kraftwerken, weil sie dezentral errichtet werden müssen und ihre Standorte nicht frei wählbar sind. Sie müssen eben dort stehen, wo Wasser fließt und ausreichend scharfer Wind weht, und können selten hinter einem abgelegenen Industriegebiet versteckt werden.

Bedrohen die Kritiker durch Eigeninteressen nach dem Motto "Nicht in meinem Hinterhof“ notwendige Maßnahmen gegen den Klimawandel? Oder verhindern sie nur, dass unter dem Vorwand des Klimaschutzes Umwelt und Landschaft noch mehr ausgebeutet werden?

Die Antwort lautet: Es kommt darauf an - darauf nämlich, welche Energieform man betrachtet und wie ihre Realisierung aussieht.

Die ungeliebte Windkraft

Im September verhinderten 147 Einwohner der Lungauer 332-Seelen-Gemeinde Thomatal bei einer Abstimmung dass bei ihnen ein Windpark gebaut wird, der 14.000 Haushalte mit Strom versorgen sollte. Damit brachten sie die Salzburger Landesregierung in die Bredouille, denn der Energieleitplan 2020 schreibt vor, dass das Land bis dahin zur Hälfte aus erneuerbaren Energien, darunter Windkraft, versorgt wird. Auch im niederösterreichischen Wald- und Weinviertel, in Vorarlberg und anderen Teilen Salzburgs formten sich Initiativen gegen Windräder, beinahe überall, wo solche stehen sollen.

Zum einen stoßen sich viele Menschen am visuellen Eindruck (offensichtlich viel mehr als an Liftanlagen, Hochspannungsleitungen und anderen technische Ungetümen), zum anderen verursachen sie einen gewissen Lärm und sind für Vögel tatsächlich nicht unproblematisch. Vor allem große Vögel wie Adler und Störche, die eine lange Lebensdauer und wenige Junge haben, seien gefährdet, so Gabor Wichmann von BirdLife Austria. Einzelne Kollisionen mit Windradrotoren könnten die Population solcher Tiere gefährden, wie Studien zeigten. Auch wichtige Zugplätze wie der Seewinkel im Burgenland und die Marchauen sollten Windrad-frei bleiben, weil dort eine große Zahl von Vögeln gefährdet wäre. Dies sei in Österreich bisher ohnehin berücksichtigt worden, so Wichmann. Im Alpenraum wiederum sei relativ wenig über den Vogelzug bekannt. Doch wenn man die Standorte umsichtig wähle, sei Windenergie eine gute Sache, meint der Vogelschützer.

Windenergie ist derzeit in Österreich insgesamt trotz verbreiteter lokaler Widerstände im Aufschwung, aber nicht gleichmäßig verteilt. "Die meisten Anlagen stehen im Burgenland und in Niederösterreich, weil im Flachland die besten Windverhältnisse herrschen“, erklärt Udo Bachhiesl vom Institut für Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation der Technischen Universität Graz. In gebirgigeren Bundesländern befinden sich die guten Standorte indes etwa auf Bergrücken, wo es viel aufwendiger ist, Anlagen zu installieren und zu betreiben.

Wie viel Strom man damit maximal in Österreich lukrieren kann, sei insgesamt schwer abzuschätzen, sagt Gustav Resch von der Energy Economics Group der Technischen Universität Wien. Bei früheren Studien sei das Potenzial stets unterschätzt worden. Legt man die möglichen, noch freien Aufstellorte sowie die Windverhältnisse zugrunde, könnte Strom aus Windenergie theoretisch den kompletten Bedarf Österreichs decken.

Fazit: Bereits sechs Prozent des Stroms stammten 2013 aus Windkraft. Im Burgenland wurde sogar mehr Strom damit produziert, als das ganze Bundesland verbraucht: 114 Prozent. 2030 könnte sie ein Viertel der Stromnachfrage decken.


Die große Wasserscheu

Das Österreichische Kuratorium für Fischerei und Gewässerschutz wird nicht müde, Bilder von wegen Wasserkraftwerken gestrandeten und von Turbinen verstümmelten Fischen zu zeigen, und fordert den Baustopp von Kleinkraftwerken. WWF und Umweltbundesamt kritisieren Pläne der Tiroler Wasserkraft AG, das Kraftwerk Kaunertal auszubauen, wegen "massiven Naturzerstörungspotenzials“; vier fast unberührte Tiroler Bergbäche, teils als "nationale Flussheiligtümer“ ausgewiesen, würden in Mitleidenschaft gezogen und ein 42 Milliarden Liter fassender Speichersee beeinträchtige den Lebensraum vieler Tiere.

Pumpspeicherkraftwerke würden aber in Zukunft als Energiespeicher immer wichtiger, so Bachhiesl. Mit dem überschüssigen Strom, den Solaranlagen zur Mittagszeit oder Windanlagen produzieren, könne man Wasser in den Stausee hinaufpumpen und am Abend bei Dunkelheit und Flaute die Stromspitze decken, indem man es durch die Turbinen wieder hinabsausen lässt. Ronald Pöppl vom Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien sieht Pumpkraftwerke kritischer: Nicht nur im Gebirge veränderten sie die Landschaft massiv.

Bei Kleinkraftwerken gebe es in Österreich derzeit einen Boom, so Pöppl. Derzeit laufen hierzulande knapp 4000, wobei etwa 2800 Strom ins Netz speisen. "Sie machen mittlerweile neun Prozent der Stromversorgung Österreichs aus“, erklärt Pöppl. Laut Verein Kleinwasserkraft könnten dadurch jährlich im Vergleich zur Stromproduktion aus fossilen Energieträgern vier Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Bachhiesl sieht bei Kleinwasserkraftwerken in Österreich durchaus noch Potenzial. Doch Genehmigung, Bewilligung und die Errichtung von Kraftwerken im Einklang mit der lokalen Bevölkerung seien mittlerweile große Hindernisse.

Die Skepsis resultiert bis zu einem gewissen Grad vielleicht auch daraus, dass sich nicht einmal die Experten einig sind, was möglich und sinnvoll ist. Florian Kraxner vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse in Laxenburg bei Wien sieht zum Beispiel für die Zukunft weniger Potenzial bei der Wasserkraft. In einem aktuellen Projekt analysierte er mit Kollegen für den Alpenraum zunächst das Gesamtpotenzial, wenn man alle Flüsse und Bäche maximal nutzen würde. Kraxner: "Zieht man davon die existierenden Kraftwerke ab und schließt Schutzzonen, Naturparks, Weltkulturerbe-Gebiete und Ähnliches aus, bleibt kaum etwas über.“

Also was jetzt?, mögen Kritiker des weiteren Ausbaus fragen.

Umwelttechnisch brächten Kleinwasserkraftwerke im Prinzip die gleichen Probleme wie ihre großen Geschwister, erklärt Pöppl. Sie stören den Fischzug und halten das Geschiebe auf, das sich flussaufwärts ansammelt und unterhalb der Kraftwerke fehlt, weshalb sich die Gewässer dort eintiefen. Neue Staudämme würden daher oft mit Fischtreppen gebaut sowie bei Großkraftwerken mit Öffnungen, durch die Sediment an der Gewässersohle passieren kann. Doch die Experten streiten, ob dies gut funktioniert.

Besonders kritisch sei der Schwallbetrieb bei Flusskraftwerken. "Der Nationalpark Thayatal im Waldviertel leidet zum Beispiel massiv darunter, dass flussaufwärts das Speicherkraftwerk bei Vranov in Tschechien den ganzen Tag Wasser aufstaut und zu Spitzenstromzeiten Fluten erzeugt, um die Turbinen anzutreiben“, so Pöppl. Die Schwallspitzen würden plötzlich eine bis zu 20-fache Wassermenge in das Flussbett bringen, was die Gewässerökologie "massiv beeinträchtigt“.

Fazit: An der Bedeutung von Wasserkraft in Österreich besteht kein Zweifel. Kleinkraftwerke stellen heute mit fast zehn Prozent einen nennenswerten Anteil. Derzeit stammen in Österreich insgesamt rund 55 Prozent der elektrischen Energie aus der Wasserkraft.


Musterschüler Solarkraft

Immerhin: Kaum Kritik gibt es an dem Ausbau von Photovoltaikanlagen. Große Solarkraftwerke sind zwar in unseren Breiten kaum sinnvoll, doch 60 Prozent der Dachflächen und 20 Prozent der Fassaden würden sich für Sonnenkollektoren eignen, so Experten.

Die Regulierungsbehörde E-Control berichtet bei Photovoltaikanlagen von "enormen Zuwächsen“ und einer Verdreifachung der installierten Leistung von 2012 auf 2013. Im Vergleich zum Nachbarland Deutschland ist der Anteil aber noch verschwindend gering. Dort liefern Solaranlagen gemeinsam mit der Windenergie um die Mittagszeit oft so viel billigen Strom, dass die vergleichsweise teuren thermische Kraftwerke kaum mehr zum Zug kommen, so Resch. Dies schlägt sich wegen des gemeinsamen Strommarktes auch auf Österreich nieder, erklärt er. Photovoltaikanlagen sind auch für Einfamilienhäuser umwelttechnisch sinnvoll sowie wirtschaftlich lukrativ und müssten kaum mehr gefördert werden, sagt er. Kleine Anlagen rechnen sich ganz besonders, weil bei der Photovoltaik die Skalierungseffekte nicht so groß sind wie zum Beispiel bei einem thermischen Kraftwerk, so Wolfgang Hribernik vom Geschäftsfeld Electric Energy Systems Unit am Austrian Institute of Technology.

Fazit: Sonnenstrom deckte 2013 laut Vereinigung Photovoltaik bescheidene 1,1 Prozent des österreichischen Strombedarfs - trotz aller Steigerungen noch ein ernüchternder Wert.


Bioenergie: eine Erfolgsgeschichte

Ein Aufreger ist Bioenergie, wenn es um die Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen und gleichsam um das Verheizen von Lebensmitteln geht - manchmal in Österreich, öfter aber in Schwellenländern. Die Bioenergiegewinnung sollte auf keinen Fall mit der Nahrungs- und Futtermittelproduktion konkurrieren, sondern sie ergänzen, findet Helmut Haberl vom Wiener Institut für Soziale Ökologie der Alpen Adria Universität. "Verwertet man landwirtschaftliche Reststoffe für die Biogasgewinnung, dann ist Bioenergie eine gescheite Sache“, sagt er. Eigens angebaute Energiepflanzen würden hingegen zur Landnutzungskonkurrenz beitragen. Gegenüber anderen erneuerbaren Energiequellen ist Biomasse gut speicherbar. "Man kann sie auf Halde legen und verfeuern, wenn man sie braucht“, sagt Bachhiesl. Biomasse sei hierzulande in der Wärmegewinnung ohnehin sehr verbreitet. "Viele Österreicher heizen mit Pellets, Hackschnitzel oder Ganzholz“, sagt er.

Würden fossile Brennstoffe nicht mehr subventioniert und der CO2-Ausstoß mit einem angemessenen Preis versehen, wären Bioenergiekraftwerke in Österreich konkurrenzfähig. Dann würden solche Anlagen voraussichtlich rund um die Alpen regelrecht aus dem Boden schießen.

Weltweit sei Bioenergie wichtig, um die Klimaziele zu erreichen, so Kraxner. "Keines der Energieportfolios zur Treib-hausgasreduktion kommt ohne die Verwendung von Biomasse aus“, sagt er. Sie habe auch in Österreich noch Potenzial. Wie viel Energie sie beisteuert, sei stark davon abhängig, wie man den Wald bewirtschaftet. Einerseits könne man die Energiegewinnung forcieren, oder einen Wald schaffen, der auf lange Zeit große Mengen an Kohlenstoff bindet, aber weniger Bioenergie beisteuert.

Fazit: Die Bioenergie trägt derzeit global bereits zehn Prozent zur gesamten Primärenergie bei. Bis 2050 könne sich dieser Anteil durchaus verdoppeln oder gar verdreifachen.


Geothermie: ein Minderheitenprogramm

Wenig Zukunftschancen sehen Experten für die Erdwärme zur Stromerzeugung in Österreich. Es gebe kaum geothermische Quellen mit ausreichend hohen Temperaturen und Drücken, um sie ohne großen Aufwand und teure Technologien zu erschließen. Zur Wärmegewinnung ist sie aber eine sinnvolle, wenn auch räumlich begrenzte Alternative, so Resch. Ebenso sinnvoll wären Wärmepumpen, die oberflächliche Umgebungswärme nutzen, so Resch. Vor allem in gut gedämmten Niedrigenergiehäusern, die über große Flächen wie Fußböden, Decken und Wände beheizt werden, wären solche Anlagen sehr effizient, erklärt Bachhiesl. Sie müssten zwar mit Strom betrieben werden, bezögen aber drei Viertel der Wärmeenergie kostenlos aus der Umwelt.

Am Beispiel Wärmepumpen sehe man gut, dass es nicht viel bringt, um jeden Preis in erneuerbare Energien zu investieren, wenn man nicht vorher versucht, den Energiebedarf zu senken, meint Bachhiesl:

Fazit: Geothermen arbeiten nur dann effektiv, wenn die Gebäudehülle und die Fenster so gut isolieren, dass niedrige Heiztemperaturen ausreichen.


Sparen: eine notwendige Illusion

Auch generell gilt: So abwegig dies angesichts eines permanent steigenden Energiehungers erscheint - ohne eine Strategie, die auch die Energiesparoptionen ausschöpft, sei es widersinnig, erneuerbare Energien ungebremst auszubauen, so Haberl: "Es ist meiner Meinung nach nicht gerechtfertigt, die letzten Alpentäler für Wasserkraftwerke zuzubetonieren, um dem Klimawandel zu begegnen, weil ich nicht glaube, dass das eine Medizin ist, die hilft.“ Es zeige sich in der Diskussion um erneuerbare Energien, dass "jede Form der Energie für menschliche Verwendung“ ihren Preis hat, so Haberl. Sie alle hätten spezifische Auswirkungen auf die Umwelt.

Letztlich gebe es bei solchen Projekten kein eindeutiges "richtig“ oder "falsch“, sondern nur gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, in denen unterschiedliche Probleme gegeneinander abgewogen werden müssen - wie Klimawandel, erschöpfliche Ressourcen, Emissionen, Eingriffe in Ökosysteme, aber auch Privatinteressen sowie ästhetische Aspekte.

Alle größeren Projekte, gleich welcher Qualität, haben ihre Gegner, und die Bevölkerung habe mittlerweile gelernt, diese mit Aktionismus und Rechtsmitteln zu stören, befindet Larissa Krainer vom Klagenfurter Institut für Interventionsforschung und Kulturelle Nachhaltigkeit der Alpen Adria Universität. Wenn sich die Betreiber nicht frühzeitig mit den Betroffenen auseinandersetzen, müssten sie zumindest mit enormen Verzögerungen rechnen. "Die Leute wissen genau, welche Einspruchsrechte sie haben, und es gibt auch schon genügend Anwälte, die sich auf solche Fälle spezialisiert haben“, so Krainer.

Die Betreiber unterschätzten oft den Aufwand an Zeit und Ressourcen, alle technischen, ökologischen und anderen Expertisen einzuholen, die Betroffenen an einen Tisch zu bringen und die Entscheidungsprozesse so zu gestalten, dass sie mitbestimmen können oder zumindest vertreten sind. "Wenn man dies ernsthaft betreibt, ist es ein ziemliches Beschäftigungsprogramm“, meint sie.

Fazit: Letztlich ist die Einsicht vonnöten, dass jeder in irgendeiner Form seinen Beitrag zur Energiewende leisten wird müssen. "Da braucht es noch ein bisschen gesellschaftliches Lernen“, sagt die Interventionsforscherin Krainer.