Copyshopping: Ein Besuch in der Hunde-Klonfabrik
TEXT UND FOTOS VON FABIAN KRETSCHMER
Ein lang anhaltender Schrei hallt durch den Operationssaal, schrill und von solch archaischer Kraft, dass er unweigerlich durch Mark und Bein dringt. So klingt der Urschmerz der Geburt. Hwang Woo-suk, runde Nickelbrille, babyblauer Arztkittel und ein kabelloses Headset-Mikrofon am Hals, beugt sich über einen gläsernen Brutkasten und blickt auf den etwa faustgroßen Hundewelpen. In weiche Stoffdecken gebettet, schreit das Tier aus voller Kehle, die Augen zugeklebt, das schwarze Fell noch feucht von der Geburt. Zufrieden wendet sich der Stammzellenforscher ab, schaut durch die gläserne Eingangsfront zu seinem Assistenten hinüber und formt die Finger seiner rechten Hand zu einem "Okay“.
In wenigen Tagen wird das Hundebaby bereits im Flugzeug nach Dubai sitzen, als Handgepäck in der ersten Klasse. Wenn die Königstochter des arabischen Emirats ihren 100.000 Dollar schweren Welpen in den Armen hält, wird sie ohne Zweifel dabei empfinden, als habe sie endlich ihren jüngst verstorbenen Labrador-Retriever zurück - weil er aussieht wie das Original, genauso riecht und sich wohl auch exakt gleich bewegt. Ein genialischer Wissenschafter aus Südkorea lässt solch ungeahnten Träume in Erfüllung gehen. Für den 62-jährigen Hwang Woo-suk ist all das kein Problem, solange das Honorar und das Zellmaterial stimmen. Willkommen bei Sooam, der einzigen Hunde-Klonfabrik der Welt.
Am westlichen Stadtrand von Seoul, an einem Berghang zwischen Golfplatz und Industriegebiet gelegen, arbeiten 50 Wissenschafter in einem unscheinbaren fünfstöckigen Gebäude am Alptraum jedes Stammzellgegners. Besucher werden gebeten, vor dem Betreten ihre Straßenschuhe gegen schwarze Plastiksandalen einzutauschen. Das Bellen Tibetanischer Doggen hallt durch die weiten Korridore, die Wände sind bestückt mit Porträts geklonter Hunde.
Snuppy, der Erste
Den Ersten von ihnen, einen afghanischen Windhund namens Snuppy, haben die südkoreanischen Stammzellenforscher ebenfalls auf die Welt gebracht. 2005 gelang ihnen das, und zwar im 123. Anlauf. Die Reproduktion von Hunden ist vergleichsweise komplex, weil sie unregelmäßige Ovulationszyklen haben und ihre Eizellen nur wenige Stunden lang optimal zum Klonen sind. Snuppy kam mittels eines somatischen Zellkerntransfers auf die Welt - nach demselben Verfahren, mit dem auch das Schaf Dolly 1996 kreiert wurde. Unter normalen Umständen hätte Snuppys Schnauze auf den Titelseiten aller Fachjournale prangen sollen, denn seine Geburt an der Seoul National University war ein wissenschaftlicher Meilenstein. Zu jener Zeit ging das Ereignis jedoch als Hintergrundgeräusch im Lärm einer angeblich viel spektakuläreren Errungenschaft unter.
Hwang Woo-suk hatte damals verkündet, er habe erstmals menschliche Stammzellen aus einem geklonten Embryo gewinnen können. Heilmittel für Alzheimer und Parkinson schienen fortan in Reichweite, ebenso geklonte Organtransplantate. Wie ein Messias trat der Südkoreaner vor die Kameras und versprach, einen querschnittsgelähmten Jungen mit seinem Verfahren vollständig zu heilen. Selten waren mehr Scheinwerfer auf einen einzelnen Wissenschafter gerichtet.
Die koreanische Post widmete Hwang eine eigene Briefmarkensammlung, Korean Air garantierte ihm First-Class-Flüge auf Lebenszeit, und die Regierung ließ ihn gar unter Polizeischutz stellen, da sie befürchtete, ihr brillantester Wissenschafter könnte vom verfeindeten Norden entführt werden.
Nur Wochen später war der Südkoreaner verurteilt, arbeitslos und pleite.
"Es war die Gier, die ihn antrieb. Sein Traum war der Nobelpreis, für den er alles getan hätte“, sagt Ryu Young-joon, der als ehemaliger Assistent von Hwang Woo-suk den Fälschungsskandal ins Rollen brachte. Erst nach einem knappen Jahrzehnt traut sich der Mann an die Öffentlichkeit. Noch immer ist Ryu in den Augen vieler Südkoreaner zuallererst ein Nestbeschmutzer. Dabei wäre ohne seine Courage der größte Wissenschaftsskandal der vergangenen Jahrzehnte niemals aufgeflogen.
Ganze Datensätze hatte Hwangs Team manipuliert, Eizellen unethisch eingekauft, Steuergelder veruntreut. Die Untersuchungskommission der Seoul National University sprach in ihrem Endbericht gar von einer "Totalfälschung“. Hwang tauchte in einem buddhistischen Tempel unter; später landete er auf der psychiatrischen Station einer Universitätsklinik. Er wolle sein Labor schließen und zum Züchten von Rindern aufs Land ziehen, sagte er damals.
"Hwang ist der Prototyp des Nachkriegs-Südkorea"
Treue Anhänger betteten die Einfahrt zu seinem Labor in rosa Blumen, in der Hoffnung, ihr Volksheld werde bald zurückkehren. Zu Tausenden marschierten sie in geeinter Trauer auf den symbolträchtigen Gwanghwamun-Platz in Seoul, auf dem sich ein Fanatiker aus Protest sogar mit Benzin übergoss und anzündete. "Hwang ist der Prototyp des Nachkriegs-Südkorea: Er kommt von ganz unten, hatte nichts, doch er arbeitete doppelt so hart für seinen Erfolg. Er spiegelt unsere kollektive Psyche wider“, sagt Ryu.
Gegen Ende des Koreakriegs wurde Hwang in bitterer Armut geboren. Als eines von sechs Kindern wuchs er in der südkoreanischen Provinz auf. Der Vater starb an einer Hirnblutung, als der Bursche fünf war. Von klein auf half er seiner Mutter beim Hüten der Rinder und entdeckte dabei seine Liebe zu Tieren. Hwang war ein cleveres Bürschchen, klug genug, um aus dem bitteren Los, das ihm das Schicksal zugeteilt hat, seine Lektion zu lernen. Er arbeitete viel härter als seine Altersgenossen, ergatterte als Erster aus seinem Heimatort einen Studienplatz an der Seoul National University, der Kaderschmiede des Landes, und arbeitete sich dort bis zum Professor am tiermedizinischen Institut hoch.
Talent war ihm jedoch nur mäßig beschieden, die Leistungen in Biologie fielen bestenfalls durchschnittlich aus. Sein Erfolgsrezept sei harte, disziplinierte Arbeit, sagte Hwang selbst einmal auf der Höhe seines Ruhms. 18 Stunden rackerte der konvertierte Buddhist täglich im Labor, auch an Feiertagen. "Hebe dein Herz in den Himmel durch endloses Bemühen“, lautete sein Lebensmotto.
15 seiner früheren Mitarbeiter hielten ihrem Mentor schließlich trotz aller Skandale die Treue. Gemeinsam bauten sie das Forschungsinstitut Sooam auf, lebten von privaten Spenden aus der Bevölkerung und besannen sich auf die eine Fähigkeit, die ihnen selbst die erbittertsten Gegner niemals absprechen konnten: das Klonen von Hunden. Keiner beherrscht das so brillant wie die Südkoreaner, und schon bald sollten die Wissenschafter ihr Können eindrucksvoll unter Beweis stellen.
Zehn Jahre lang versuchten Wissenschafter einer staatlichen Universität in Texas, einen Mischling aus Border Collie und Husky namens Missy zu klonen. Dafür investierten sie Millionen Dollar, heuerten gar einen ehemaligen Doktoranden von Hwang Woo-suk an, doch scheiterten sie immer wieder. Frustriert schickten sie das Zellmaterial nach Südkorea, wo es dem Forscherteam um Hwang im ersten Anlauf gelang: Nach 60 Tagen wurde eine genetisch idente Kopie von Missy geboren. Die Schlagzeilen gingen um die Welt, und sie erreichten auch die heutige Kundschaft von Sooam: ältere Ehepaare, vorwiegend aus Amerika, tierlieb und mit sehr viel Geld auf dem Konto.
Insgesamt haben wir bereits über 600 Hunde geklont, und bislang hat sich noch kein Kunde beschwert.
Mit "Lancelot Encore“ nahm das kommerzielle Fließbandklonen erstmals Fahrt auf. 155.000 Dollar gab ein Ehepaar aus Florida für die exakte Kopie ihres an Krebs verstorbenen Golden Retriever aus. "Er sieht exakt genau wie Lancelot aus“, schwärmte die Besitzerin damals in einem CNN-Beitrag, während ihr Ehemann anfügte: "Wir hoffen natürlich, dass er auch denselben Charakter hat wie das Original, aber wenn nicht, werden wir ihn ebenso lieben.“ Wer gesundes Zellmaterial liefert und mindestens 100.000 Dollar auf den Tisch legen kann, dem garantiert Sooam innerhalb weniger Monate einen geklonten Hund.
"Insgesamt haben wir bereits über 600 Hunde geklont, und bislang hat sich noch kein Kunde beschwert“, sagt David Kim stolz. Der wissenschaftliche Mitarbeiter steht im Konferenzraum von Sooam und stellt einer Uni-Delegation aus Singapur die neuesten Aktivitäten des Instituts vor. Gerade als er zur nächsten Folie seiner Präsentation klicken möchte, hält er doch noch einmal inne und revidiert sich: "Entschuldigen Sie bitte. Die 600er-Marke haben wir mittlerweile schon deutlich überschritten, wegen der Kollaboration mit der Polizei.“
40 geklonte Spürhunde hat die südkoreanische Polizei im Vorjahr bei Sooam bestellt, über 850.000 Euro an Steuergeldern machte sie dafür locker - was aber, verglichen mit Privataufträgen einzelner Kunden, sogar als echter Schnäppchenpreis durchgeht. Natürlich wollten die Behörden für diese stolze Summe keine gewöhnlichen Polizeihunde geliefert bekommen, sondern nur die brillantesten unter allen Schnüfflern, die zudem noch eine blitzsaubere Biografie vorweisen sollen. Also ließ Hwang Woo-suk überall auf dem Globus die exzellentesten Hunde ausforschen.
Erlesene Hunde-Elite
Da wäre zum Beispiel Branco, jener Spürhund der US-Navy, der im Jahr 2011 Osama Bin Ladens Unterschlupf entdeckte. Oder Trakr, ein deutscher Schäferhund, der zehn Jahre zuvor den letzten Überlebenden von 9/11 geborgen hatte. Nicht zuletzt Quinn: Der Spürhund sorgte 2007 für Schlagzeilen, als er auf der südkoreanischen Insel Jeju in einer halben Stunde die Leiche eines monatelang vermissten Kindes fand. Längst tummeln sich kleine Brancos, Trakrs und Quinns am Flughafen im südkoreanischen Incheon und schnüffeln im Gepäck der Reisenden nach Bombensätzen und Drogen. Ein weiteres Exemplar steht im Dienst der amtierenden Präsidentin Park Geun-hye.
Nun hat auch das chinesische Ministerium für öffentliche Sicherheit Interesse an den Klonhunden angemeldet, ebenso das Königshaus von Oman, und sogar von der Chicagoer Polizeibehörde kam bereits eine Anfrage. Um jedoch empirisch zu beweisen, dass die Hunde wirklich die Fähigkeiten ihrer Originale erreichen können, hat Sooam zwei Klone zum Training in die USA geschickt. Im vorigen Monat seien die ersten Resultate eingetroffen, sagt David Kim sichtlich stolz: "In einigen Übungen haben die Klone ihre Spenderhunde gar übertroffen!“
Doch für die inzwischen 50 Wissenschafter bei Sooam sind die geklonten Hunde nur Mittel zum Zweck: Das kommerzielle Klonen soll vor allem die weitere Forschung finanzieren. Im Vorjahr gelang es Hwang Woo-suks Team, die Gene eines Beagles derart zu manipulieren, dass all seine 18 Klone Alzheimer entwickelten. Sollte das Verfahren in Produktion gehen, würde dies ein riesiges Geschäftsfeld für Pharmakonzerne eröffnen, die allein in den USA über 7000 Alzheimerhunde zu Forschungszwecken benötigen. In einem weiteren Projekt planen die Forscher, Hunde mit Diabetes zu klonen - eine weitere Krankheit, die sowohl Hunde als auch Menschen betrifft.
Ebenso wollen die Südkoreaner ihr Fachwissen im Hinblick auf aussterbende Tierarten einsetzen, etwa afrikanische Wildhunde und seltene Kuharten. Asiatische Kojoten haben sie bereits geklont, sie streunen derzeit in koreanischen Zoogehegen umher. Sogar Mammuts wollen Hwangs Forscher wieder zum Leben erwecken, und das ist gar nicht mal so abwegig, wie es klingt. Bereits zwei Mal reisten die Südkoreaner nach Sibirien, um in den Eisflächen nach brauchbarem Zellmaterial aus eingefrorenen Kadavern zu suchen. Tatsächlich fanden sie Knochen-, Haarzellen und Muskelgewebe, allerdings waren die Zellproben nur von minderer Qualität. Gegen Ende des Jahres ist eine dritte Expedition geplant, diesmal weiter nördlich. Wichtig ist, dass die Zellen über die Jahrtausende bei gleichmäßiger Temperatur eingefroren blieben. Sollten die Wissenschafter fündig werden, würden sie als Spendermutter einen Elefanten verwenden, der genetisch dem Mammut am nächsten käme.
Das wohl ambitionierteste Projekt ist die Züchtung von transgenen Organen, die als menschliche Transplantate in Frage kämen. Schweineorgane ähneln den humanen, doch das menschliche Immunsystem weist körperfremde Organe in aller Regel ab. Eine mögliche Lösung könnte sein, den geklonten Schweineembryo mit menschlichem Genmaterial verschmelzen zu lassen, um die Abwehrreaktion zu vermeiden. Noch ist all das Zukunftsmusik, doch in der Klonfabrik lässt sich darauf bereits ein Blick erhaschen.
Durch eine Luftschleuse geht es ins Forschungslabor, in dem Dutzende Wissenschafter in Arztkittel und mit Mundschutz vor Mikroskopen sitzen. Mittels zweier Joysticks erledigen sie die Feinarbeit: Zuerst entfernen sie den Nukleus eines Embryos und injizieren an dessen Stelle dann den Kern einer lebenden Zelle. Damit kann nur wenig später eine Spendermutter befruchtet werden.
Hwang Woo-suk hat mittlerweile einen beigen Cardigan angelegt, als er die Besucher durch seine beachtliche Hundesammlung führt. Allein die äußerst seltenen Tibetanischen Doggen müssen mehrere Millionen Dollar wert sein. Der 62-Jährige streichelt die kräftigen Hunde mit dem zotteligen Fell, lässt sich zu Selfies überreden und hat ständig einen Scherz auf den Lippen. Kritischen Fragen weicht er allerdings aus, und zu den Fälschungsskandalen der Vergangenheit mag er sich sowieso keinesfalls äußern.
Wenn man einmal Daten gefälscht hat, wie kann man da sichergehen, dass das kein zweites Mal passiert? (Hans Schöler, Molekularbiologe)
Es ist jedoch ein offenes Geheimnis, dass die Hunde vor allem seine wissenschaftliche Autorität wiederherstellen sollen, um so den Boden für ein längerfristiges Ziel zu bereiten: "Ich bin mir sicher, dass Hwang die Absicht hat weiter zu gehen: zum menschlichen Klonen“, sagt sein ehemaliger Mitarbeiter Ryu. Noch heute behauptet Hwang Woo-suk immer wieder felsenfest, dass seine damalige Errungenschaft echt war: Er habe tatsächlich Stammzellen aus einem geklonten Embryo gewonnen.
Sollte ihm eine zweite Chance zugebilligt werden? Oder versucht hier ein egomanischer Wissenschafter, die Öffentlichkeit erneut zu blenden? "Wenn man einmal Daten gefälscht hat, wie kann man da sichergehen, dass das kein zweites Mal passiert?“, äußerte sich vor Kurzem der renommierte Molekularbiologe Hans Schöler, der das Max Planck Institut in Münster leitet. Einst galt er als Bewunderer Hwangs, wandte sich jedoch nach den Fälschungsvorwürfen von ihm ab. Wissenschaft beruhe nun einmal zuallererst auf Vertrauen, und dieses habe sein südkoreanischer Kollege nachhaltig zerstört. In Sooam wird jedoch rund um die Uhr daran gearbeitet, das Vertrauen Schritt für Schritt wieder aufzubauen.
Seit 2006 haben die Forscher über 50 Publikationen in Fachjournalen platziert, Patente angemeldet und sich erfolgreich um staatliche Forschungsgelder beworben. Die Lizenz für menschliche Stammzellenforschung ist Hwang Woo-suk jedoch bislang verwehrt geblieben, zwei Anfragen haben die koreanischen Behörden bereits abgeschmettert. Vor drei Jahren soll Sooam gar Kontakt zum Übergangsrat in Libyen aufgenommen haben, um dort weiter an menschlichen embryonalen Stammzellen forschen zu können - doch selbst wenn das gelänge, wäre es doch ein steiniger Weg, all die Entwicklungen der letzten Dekade aufzuholen.
Als Hwang Woo-suk damals ganz in der Psychiatrie lag, soll er seinem engsten Freund anvertraut haben, er wolle Snuppy töten. Heute lebt der afghanische Windhund noch immer an der Seoul National University. Zehn Jahre sind jedenfalls ein stolzes Alter für einen geklonten Hund.
So klont man einen Hund
1. Dem zu klonenden Tier werden Körperzellen entnommen. 2. Im Labor werden diese Körperzellen kultiviert und speziell gelagert. 3. Nun brauchen die Forscher die Eizelle eines Spenderhundes. 4. Im nächsten Schritt wird der Zellkern der Eizelle entfernt. 5. Die Körperzellen werden in die entkernte Eizelle eingebracht. 6. Körper- und Eizelle werden verschmolzen. Ein Embryo entsteht. 7. Eine Hündin wird befruchtet und trägt das Junge letztlich aus.