Autismus-Pionier Asperger unterstützte „Euthanasie“-Programm der Nazis
Hans Asperger (1906–1980) war nicht der Beschützer von behinderten Kindern während der NS-Zeit, für den er immer wieder gehalten wurde. Im Gegenteil: Der angesehene Wiener Kinderarzt und Pionier der Autismus-Forschung schickte mehrere schwer kranke Kinder in den sicheren Tod. Das belegt der Medizinhistoriker Herwig Czech mit einer Vielzahl bisher unbekannter Dokumente, die er nun im Fachjournal „Molecular Autism“ erstmals veröffentlicht hat.
800 Kinder wurden in der „Euthanasie“-Anstalt ermordet
Czech beschreibt etwa minutiös den Fall der dreijährigen Herta Schreiber. Nach einer Gehirnhautentzündung litt das Mädchen laut Aspergers Diagnose vom Juni 1941 an „schwerer Persönlichkeitsstörung, Idiotie und Anfällen“, es sei eine „unerträgliche Last für ihre Mutter, die sich um fünf weitere, gesunde Kinder kümmern“ müsse. „Eine permanenter Aufenthalt am Spiegelgrund ist unbedingt notwendig“, schrieb Asperger. Der Arzt wusste, dass er damit Herta Schreibers Todesurteil gefällt hatte. Zwischen 1940 und 1945 wurden in der „Euthanasie“-Anstalt 800 Kinder ermordet. Drei Monate nach ihrer Einweisung starb die Kleine an einer „Lungenentzündung“ – dem Synonym der Nazis für die tödliche Gabe des Medikaments Luminal.
Obwohl Asperger kein NSDAP-Mitglied war, hatte er die Ideologie der Nazis offenbar verinnerlicht. „Die Sprache, mit der er seine Patienten diagnostizierte war oft außerordentlich harsch, sogar verglichen mit jener der Ärzte vom Spiegelgrund“, schreibt Herwig Czech.
Entdecker des Asperger-Syndroms
Der Wiener Kinderarzt und Heilpädagoge Hans Asperger hatte 1944 das später nach ihm benannte Asperger-Syndrom, eine leichte Form des Autismus, in seiner Habilitationsschrift erstmals beschrieben. Hinweise darauf, dass Asperger auch Autisten der Tötungsmaschinerie der Nazis ausgesetzt hat, hat Forscher Czech nicht entdeckt. Er fand aber auch keine Belege, wonach sich der Arzt für Autisten eingesetzt hätte. Asperger praktizierte nach Ende des Zweiten Weltkriegs übrigens drei Jahrzehnte lang unbehelligt weiter.
Lesen Sie weiters:
In der Wiener Pflegeanstalt "Am Spiegelgrund“ fand zwischen 1940 und 1945 der organisierte Massenmord an Kindern und Jugendlichen statt. In seinem großen Roman "Die Erwählten“ blickt der schwedische Schriftsteller Steve Sem-Sandberg in diesen historischen Abgrund.