"Ich will über die Satire ein Bewusstsein für diese Gruppen schaffen"

Sekten-Aussteigerin Silberberger: "Das hat mich zerbrochen"

Sekten-Aussteigerin Silberberger: "Das hat mich zerbrochen"

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profil: Ihre Mutter schloss sich den Zeugen Jehovas an, als sie acht Jahre alt waren. Sie sehen heute große Ähnlichkeiten zwischen Sekten und Verschwörungstheorien. Welche? Silberberger: Meine Mutter hatte eine schwierige Zeit und war auf der Suche nach Halt. Da landet man manchmal bei Gott – oder auch in einer Sekte. Für mich war das sehr schlimm. Ich war immer schon ein analytischer Geist. Mein Vater hatte mich schon als Zweijährige mit ins Planetarium genommen und viel Wert auf meine wissenschaftliche Grundbildung gelegt. Ich musste bei den Zeugen Jehovas mein gesamtes Weltbild verändern. Es wurde mir eingetrichtert, dass das Strafgericht Gottes mich jederzeit für meine Zweifel vernichten kann. Das hat mich zerbrochen. Die Ähnlichkeiten zu Verschwörungstheorien sind frappant: Zum Beispiel die starke Polarisierung in Gut und Böse. Sektenmitglieder fühlen sich ebenso wie Verschwörungstheoretiker als Herrscher über die Wahrheit. Sie sind die einzigen, die alles durchschaut haben, alle anderen sind Schlafschafe und müssen erst aufwachen. Die Zeugen Jehovas sagen sogar, sie seien "in der Wahrheit". Beide träumen von einem Umbruch, der sie von der Knechtschaft des alten Systems befreien wird.

profil: Was suchen Menschen in solchen Gemeinschaften? Silberberger: Ich beobachte viele unterschiedliche Gründe. Menschen, die eine schwere Krankheit haben landen oft bei der Big Pharma-Verschwörungstheorie. Sie besagt, dass die Pharmaindustrie die Menschen absichtlich krank macht. Ängstlichen Menschen geben Verschwörungstheorien Struktur, weil sie die Welt in Gut und Böse aufteilen. Auch Einsamkeit ist ein starkes Motiv. Die Impfgegner sind hingegen Lifestyle-Verschwörer. Sie sind oft jung, gebildet, kreativ und finden es schick, ihre Kinder nicht impfen zu lassen.

profil: Wie muss man sich den Alltag in einer Sekte vorstellen? Silberberger: Es gab fünf Treffen pro Woche. Freunde außerhalb zu haben war verboten. Mein Tag war davon bestimmt, mich selbst dafür zu hassen, dass ich nicht glauben konnte. Ich hatte Angst zu sterben, dazwischen gab es Bibelstudium und Predigtdienst.

profil: Aber Sie gingen doch auch in die Schule. Hat Sie das irgendwie herausgerissen? Silberberger: Nein. In der Schule wurde ich übel gemobbt, weil ich bei den Zeugen Jehovas war. Ich konnte bei den Festen nicht mitmachen, mich nicht für Bands oder Filme interessieren, denn das galt als Götzendienst. Mein Vater hatte sich scheiden lassen, von ihm und seiner neuen Familie wurde ich auch gehänselt. Ich war aber auch sehr anstrengend. Für das Zeug, das ich damals von mir gegeben habe, würde ich mir heute den Goldenen Aluhut verleihen. Bei den Zeugen war ich ebenfalls Außenseiterin. Die Versammlungsältesten haben mir sogar verboten zu heiraten, weil ich keine unterwürfige Ehefrau abgeben würde. Jungen Glaubensbrüdern, die mir den Hof machen wollten, wurde der Umgang mit mir verboten.

profil: Wie haben Sie den Ausstieg geschafft? Silberberger: Das war purer Überlebenswille. Ich wusste, wenn ich bleibe, würde ich es mit dem Leben bezahlen. Ich hätte mir etwas angetan, ich hätte es nicht länger ertragen, in diesem Käfig zu leben. In meiner Seele war damals nichts als Dunkelheit, Schmerz und Leere. Ich habe am Ende sogar meine Mutter mit rausgenommen. Es war ein riesiger Kraftakt. Über fünf Jahre hinweg habe ich mich langsam gelöst. Ich ging seltener zu den Versammlungen, habe mir im Internet neue Freunde gesucht. Einmal habe ich mich total ausgeklinkt und mich zwei Jahre lang einer okkulten Hexengesellschaft angeschlossen. Als die Zeugen dann an meine Tür klopften, haben sie mich wieder eingefangen. Ich musste mir über Jahre hinweg immer wieder sagen: Es wird keine endzeitliche Schlacht, kein Harmagedon, kommen. Es gibt niemanden, der mich vernichten will. Ich kann nur jedem raten, eine Sektenausstiegstherapie zu machen. Dadurch kapiert man erst, wie sehr man manipuliert wurde und kann manche Muster endlich ablegen.

profil: Ihre Mutter ist zwar bei den Zeugen Jehovas ausgestiegen, dann aber an Verschwörungstheoretiker geraten. Wie kam das? Silberberger: Meine Mutter ist eine ewig Suchende. Sie hatte einen Unfall, woraufhin sie starke Schmerzen im Rücken bekam. Sie kam auf die Idee, Mikrowellen könnten schuld an ihrem schlechten körperlichen Zustand sein. Also schickte ich sie zum Arzt, damit der ihr erklärte, dass das unwahrscheinlich ist. Ärgerlicherweise geriet sie an eine Ärztin, die ihr erzählte, sie habe viele Patienten, die gesundheitliche Probleme durch Chemtrails haben. Sie unterstützte meine Mutter auch noch in ihrer Angst! Daran sieht man, dass auch Gebildete nicht vor Verschwörungstheorien gefeit sind. Auch meine Mutter ist sehr gebildet. Sie hat während des Kalten Kriegs in den Siebziger und Achtziger Jahren beim Katastrophenschutz in Berlin gearbeitet. Sie lebte damals mit dem Atomkrieg im Nacken. Es war eine Zeit voller realer Verschwörungen. Zum Glück ist sie inzwischen nicht mehr auf Chemtrail-Seiten im Internet aktiv. Der erste Schritt ist, sich nicht mehr täglich mit diesen Schwurbelleuten zu beschäftigen.

profil: Was ist derzeit Ihre Lieblings-Verschwörungstheorie? Silberberger: Die flache Erde. Kürzlich habe ich die Unterhaltung zweier Anhänger dieser Theorie auf Facebook gelesen. Der eine fragte: Warum kann ich eigentlich nicht von Gibraltar aus bis nach New York gucken? Der andere antwortete: Na wegen der Chemtrails!

profil: Sie haben kürzlich Xavier Naidoo mit dem "Goldenen Aluhut" geehrt. Warum? Silberberger: Xavier Naidoo vertritt die Meinung der "Reichsbürger", die der Ansicht sind, Deutschland werde immer noch von den Alliierten besetzt und sei kein souveräner Staat. Dafür haben wir ihm den Goldenen Aluhut 2015 verliehen. Man sollte Verschwörungstheorien aber durchaus ernst nehmen. Es gibt Menschen, die über die "Reichsbürger" in die rechtsradikale Szene abrutschen. In Berlin sind die Rechten derzeit wieder sehr aktiv und es kann einem passieren zwischen Demonstranten zu landen, die ernsthaft vorhaben, den Reichstag zu stürmen.

profil: Auf der Website dergoldenealuhut.de machen Sie sich über Verschwörungstheorien lustig, wollen aber auch aufklären. Silberberger: Ich will über die Satire ein Bewusstsein für diese Gruppen schaffen, seien es nun die Zeugen Jehovas, die Chemtrail-Verschwörer oder die "Reichsbürger". Bei ganz vielen Menschen, denen ich täglich im Internet begegne, sehe ich die Therapiebedürftigkeit. Man muss vor allem junge Menschen schützen. Es gibt tatsächlich Kinder, die sich nicht aus dem Haus trauen, wenn sie Kondensstreifen am Himmel sehen. Wir gehen an Schulen, um aufzuklären. Wir vernetzen Ausstiegswillige mit Beratungsstellen und veranstalten Infoabende in Neukölln.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.