Meinung

„Nazi-Partei“? Die AfD und das Panikorchester

Es gibt klügere Strategien als Nazi-Vergleiche und den Ruf nach einem Parteiverbot.

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„ZIB 2“-Moderator Armin Wolf, dank seiner Routine kaum aus dem Konzept zu bringen, fragte Mittwochabend ungläubig nach: „Finden Sie das nicht maßlos übertrieben?“ „Nein“, antwortete Saskia Esken, Vorsitzende der SPD, unbeirrt. Eben hatte sie die Bundestagspartei Alternative für Deutschland (AfD) mit Joseph Goebbels, dem Propagandaminister des Nazi-Regimes, verglichen und sie als „Nazi-Partei“ bezeichnet. Esken begründete ihre Aussage mit dem „völkischen Denken“ der AfD, deren „Bestrebungen, die Demokratie zu untergraben“ und „menschenfeindlichen Haltungen gegenüber allen möglichen Gruppen in unserer Gesellschaft“.

Warum setzt Esken die AfD mit der NSDAP gleich?

Ein Motiv könnte sein, dass sie damit potenziellen Wählerinnen und Wählern der AfD die Augen öffnen möchte, welches Monster diese unterstützen würden. Bloß zeugt es von erstaunlicher Naivität, anzunehmen, dass diese Taktik verfängt. Kaum jemand hält den NSDAP-Vergleich für schlüssig. Die Nazi-Partei betrieb bereits Mitte der 1920er-Jahre die paramilitärische Kampforganisation SA (Sturmabteilung) und die SS (Schutzstaffel), Adolf Hitlers persönliche „Leib- und Prügelgarde“. Im Dritten Reich war sie die einzige zugelassene Partei und verantwortete das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte, den Holocaust. „Maßlos übertrieben“ trifft die Gleichsetzung mit der AfD recht gut.

Esken begibt sich so in die Rolle einer politischen Gegnerin, der alle Mittel recht sind, um eine Partei, die in diesem Jahr auf drei Siege bei Landtagswahlen zusteuert, zu bekämpfen. Damit schadet sie sich selbst, der SPD und allen, die aus guten Gründen vor der AfD warnen.

Ist die AfD einfach eine erfolgreiche, weit rechts stehende, aber rechtlich gesehen harmlose Partei? Nein.

Indem Esken, aber keineswegs nicht nur sie, immer wieder Nazi-Vergleiche anstellt und ein Verbot der AfD „prüfen“ will, erzielt sie gleich zwei unerwünschte Effekte: Sympathisanten der AfD werden durch solche Äußerungen erst recht mobilisiert; Gegner wiederum könnten dem Glauben verfallen, ein Parteiverbot werde das Problem lösen.

Die einzigen Parteiverbote in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden in den 1950er-Jahren verhängt, und zwar gegen die SRP, eine NSDAP-Nachfolgepartei, und gegen die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), unter anderem wegen deren Aufrufs zum „Sturz des Adenauer-Regimes“ und zur Errichtung einer „Diktatur des Proletariats“.

Die Entscheidung über ein Parteiverbot trifft nicht etwa der Bundestag, sondern das Bundesverfassungsgericht. Dieses hat in einem früheren Verfahren gegen die NPD (heute: „Die Heimat“), das nicht mit einem Verbot endete, die maßgeblichen Kriterien dargelegt. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags erläutert diese so: Eine Partei müsse mit einer „aktiv kämpferischen, aggressiven Haltung planvoll danach streben, die freiheitliche demokratische Grundordnung dauerhaft und grundsätzlich zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“.

Die Begriffe „aktiv kämpferisch“ und „aggressiv“ weisen darauf hin, dass eine Partei „darauf ausgehen“ müsse, die bestehende Ordnung zu beseitigen – nicht notwendigerweise mittels Gewalt, auch ein geplanter Staatsstreich von oben würde dieses Kriterium erfüllen. Diese hohen Hürden sind nicht der einzige Grund, weshalb ein AfD-Verbot derzeit wohl außer Reichweite ist. Ein weiterer liegt in der Skepsis vieler Mitglieder des Bundestags und der Regierung, ob ein Verbotsverfahren überhaupt sinnvoll wäre. Nur der Bundestag, der Bundesrat oder die Bundesregierung können ein solches Verfahren beantragen. Realistisch würde ein solches bis zur Bundestagswahl im kommenden Jahr nicht zu Ende gebracht werden, schon gar nicht angesichts der Möglichkeit einer Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Folgt aus all dem, dass die AfD einfach eine erfolgreiche, weit rechts stehende, aber rechtlich gesehen harmlose Partei ist?

Nein. Es gibt genügend Präzedenzfälle für Parteien und Politiker ihres Schlags, die ihr Land vorsätzlich in tiefe (Verfassungs-)Krisen geführt haben. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hat mit seiner Politik schwere Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit begangen, die ihm entsprechende Verfahren der Europäischen Kommission eingebracht haben. Die israelische Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat eine monatelange Verfassungskrise ausgelöst, weil sie die Kompetenzen des Obersten Gerichts beschneiden wollte. Und alle einschlägigen rechtspopulistischen Parteien – die FPÖ, der französische Rassemblement National und natürlich auch die AfD – planen für den Fall, dass sie an die Macht kommen, Volksabstimmungen, die direkt gegen Verfassungsgesetze oder gegen bestehendes europäisches Recht gerichtet sind. So wollen sie den „Volkswillen“ gegen die Verfassung stellen und eine Krise heraufbeschwören.

Auf diese Situation sollten verantwortungsbewusste Politikerinnen und Politiker die Bevölkerung vorbereiten, damit diese – so wie die Massen in Israel im vergangenen Jahr – die Institutionen ihres Landes zu verteidigen bereit sind. Nazi-Vergleiche und grotesker Alarmismus gehen ins Leere oder im schlimmeren Fall nach hinten los.

Wir schreiben das Jahr 2024. Wir brauchen clevere Strategien, nicht blinde Panik.

 

Hinweis: In einer früheren Version dieses Textes wurde allein die Gewaltbereitschaft bei der Umsetzung verfassungsfeindlicher Ziele als Kriterium für ein Parteiverbot genannt. Tatsächlich kann etwa auch das gewaltfreie Hinarbeiten auf den Sturz der bestehenden Ordnung ein hinreichender Grund für ein Verbot sein.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur