ÖVP-Mandatar Andreas Hanger: "Politiker brauchen auch Emotionen"
Andreas Hanger, ÖVP-Fraktionschef im U-Ausschuss, würde seine harsche Kritik an der WKStA nicht mehr wiederholen. Über Thomas Schmid sagt er: "Er wollte seinem Herrn mit allen Mitteln dienen."
Herr Hanger, haben Sie bei der Bundespräsidentenwahl Alexander Van der Bellen gewählt?
Hanger
Es gibt in Österreich ein Wahlgeheimnis, das nehme ich für mich in Anspruch.
Ich wage jetzt einmal die Behauptung, dass Sie nicht Gerald Grosz gewählt haben …
Hanger
Es gibt mehrere Möglichkeiten!
Was ist Ihnen denn durch den Kopf gegangen, als Sie Van der Bellens Neujahrsansprache gehört haben?
Hanger
Ich habe natürlich die Passage wahrgenommen, in der er davon gesprochen hat, dass der Wasserschaden an der Demokratie in Österreich nicht behoben ist. Diese Einschätzung des Herrn Bundespräsidenten teile ich nicht.
Liegt er Ihrer Meinung nach falsch? Es gibt einige Projekte, die noch offen sind: das neue Korruptionsstrafrecht etwa oder das Informationsfreiheitsgesetz.
Hanger
Ich sehe aber auch, dass gerade diesbezüglich in den letzten Jahren viel passiert ist. Die gläsernen Parteikassen sind zum Beispiel Realität, ein neues Medientransparenzgesetz wurde auf den Weg gebracht.
Expertinnen und Experten geht die Parteireform aber nicht weit genug.
Hanger
Ich kann aus der Perspektive einer föderalen Partei sprechen. Es ist ein unglaublicher Aufwand, all diese Ausgaben und Einnahmen anzugeben. Und um noch ein Beispiel zu nennen: Es werden jetzt auch Studien, die mit Steuergeld finanziert sind, automatisch veröffentlicht, sofern keine Geheimhaltungsinteressen dagegensprechen.
Sollte das nicht selbstverständlich sein?
Hanger
Trotzdem war es ein Schritt, den man anerkennen kann. Es ist jedenfalls sehr viel passiert. Und ich war ein bisschen verwundert, dass der Bundespräsident das gar nicht angesprochen hat.
Sie wurden von Van der Bellen schon einmal gerügt, weil Sie der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Parteilichkeit vorgeworfen haben. Das zeuge von „mangelndem Respekt vor den Institutionen der Bundesverfassung“. Haben Sie sich das zu Herzen genommen?
Hanger
Ja, das nehme ich mir durchaus zu Herzen. Als Politiker muss man mit öffentlichen Aussagen über wichtige Institutionen der Republik sehr vorsichtig sein. Gleichzeitig werde ich mir als Parlamentarier das Kontrollrecht gegenüber Staatsanwaltschaften nicht nehmen lassen.
Möchten Sie sich nun bei der WKStA entschuldigen?
Hanger
Derzeit sehe ich keinen Grund dafür. In der WKStA wird gut gearbeitet, es werden aber auch Fehler passieren.
Sie haben ihr Parteilichkeit vorgeworfen, von linken Zellen gesprochen.
Hanger
Diese Überspitzungen würde ich in der Form nicht mehr wiederholen.
Wir sitzen im renovierten Parlament. Umzüge und Jahreswechsel sind eine Zeit der Selbstreflexion. Gibt es sonst noch etwas, dass Sie rückblickend anders machen würden?
Hanger
Ich werde versuchen, im Untersuchungsausschuss weniger emotional zu reagieren und ausschließlich sachliche Überlegungen in meine Entscheidungsfindung einzubeziehen. Andererseits brauchen Politiker auch Emotionen. Immer der geschliffene, der sachliche, der nur nach dem Mainstream agierende Politiker, der will ich auch nicht sein.
Im Jänner finden die letzten Sitzungen des U-Ausschusses zur mutmaßlichen Korruption der ÖVP statt. Sie sagten einmal über den Ausschuss: Der Ressourcenverbrauch steht in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn. Wie viel darf Parlamentsarbeit kosten?
Hanger
Wenn man gute Ergebnisse hat, kann der Ressourceneinsatz hoch sein. Es gab aber keine neuen Erkenntnisse. Ein Befragungstag kostet 50.000 Euro, es gab mehr als 40 davon. Andere Kosten, zum Beispiel durch Aktenlieferungen, sind da noch nicht miteinberechnet. Parlamentarische Kontrolle ist absolut wichtig, aber diese Kritik muss erlaubt sein.
Ist jede Nationalratssitzung ihr Geld wert? Dürfen nur Ausschüsse eingesetzt werden, die bestimmte Erkenntnisse liefern? Das führt zu einer Reihe heikler Fragen.
Hanger
Das Verhältnis von Ressourceneinsatz zu Ergebnissen darf immer hinterfragt werden. Ich hätte aber einen Lösungsvorschlag: Kürzere Ausschüsse in der Dauer von drei oder sechs Monaten, mit einem klar abgegrenzten Untersuchungsgegenstand.
Für Sie war nichts neu, das Sie im U-Ausschuss gehört oder in den Akten gelesen haben?
Hanger
Alle Causen, die behandelt wurden, waren davor schon medial hervorragend aufgearbeitet. Wichtige Ermittlungsakten sind durch Leaks sowieso fast immer öffentlich, und die Medien recherchieren immer sehr gründlich.
Sie sind heute sehr diplomatisch. Im Ausschuss wurden mehrere Themen besprochen. Zum Beispiel die Causa Siegfried Wolf: Der frühere Kabinettschef und Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, soll interveniert haben, damit der Unternehmer weniger Steuern nachzahlen muss. Eine hohe Beamtin soll als Gegenleistung einen Posten bekommen haben. Bis auf Schmid dementieren alle die Vorwürfe, ein Beamter hat im Ausschuss aber von Schmids Interventionen erzählt.
Hanger
In dieser Causa möchte ich darauf hinweisen, dass die Finanzverwaltung ganz offensichtlich funktioniert. Der Steuernachlass-Bescheid von Wolf wurde in zweiter Instanz aufgehoben – und zwar ohne mediale Berichterstattung oder Ermittlungen der Justiz. Das hat die Verwaltung selbst gemacht.
Dank Beamtinnen und Beamten, die sich trotz widriger Umstände gewehrt haben. Die Frau hat letztlich den Posten bekommen, die Justiz vermutet: wegen der Interventionsversuche.
Hanger
Wenn es am Ende des Tages strafrechtlich relevante Handlungen gab, verurteile ich sie auch. Aber die Finanzverwaltung hat interne Kontrollmechanismen, die funktioniert haben.
Braucht es eine Reform der U-Ausschüsse?
Hanger
Wir brauchen ein Prozedere, das sicherstellt, dass der Untersuchungsgegenstand auch der Verfassung entspricht. Das klingt technisch, schafft aber die Grundlage für sachliche parlamentarische Arbeit. Und wir brauchen eine unabhängige Behörde, die darüber urteilt, ob wir einen abgegrenzten Untersuchungsgegenstand haben.
Diese Stelle ist ja der Verfassungsgerichtshof.
Hanger
Ja, aber es braucht derzeit eine Mehrheit im Geschäftsordnungs-Ausschuss, damit der VfGH diese Frage klärt. Beim aktuellen U-Ausschuss ist unser Koalitionspartner, die Grünen, nicht mitgegangen. Vielleicht könnten wir hier über ein Minderheitenrecht reden. Faktum ist, dass wir einen Untersuchungsgegenstand haben, der nicht der Verfassung entspricht. Eigentlich können wir nur einen zeitlich und inhaltlich abgeschlossenen Vorgang der Vollziehung des Bundes untersuchen. Jetzt haben wir unglaublich breite Untersuchungsgegenstände und Zeiträume und 25 Millionen gelieferte Aktenseiten.
Fakt ist das nicht, sondern Ihre Interpretation.
Hanger
Ich habe noch keinen Rechtsgelehrten getroffen, der mir widersprochen hätte. Wir brauchen auch eine Ausgewogenheit zwischen Auskunftspersonen und Abgeordneten. Ein Abgeordneter hat Aktenkenntnisse und konfrontiert eine Auskunftsperson mit einem Detail, das vielleicht Jahre zurückliegt. Die Auskunftsperson hat Angst, eine Falschaussage zu machen, weil sie sich nicht daran erinnern kann.
Es gibt jetzt schon einige Regeln. Verfahrensrichter und Verfahrensanwältin achten auf die Einhaltung.
Hanger
Ich würde mir eine stärkere Rolle des Verfahrensrichters wünschen. Üblicherweise ist es so, dass der Richter die Zulässigkeit einer Frage bewertet, dann hat der Vorsitzende das letzte Wort. Manchmal wird aber immer und immer wieder dieselbe Frage gestellt.
Sie hinterfragen oft, ob eine Frage zulässig ist. Damit werfen Sie Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl im Grunde vor, dass er seine Arbeit nicht gut genug macht.
Hanger
Was ich am Verfahrensrichter kritisiere: Ich habe zu Beginn des Ibiza-U-Ausschusses in Vertretung die Sitzungen geleitet. Manchmal habe ich ihm zugeflüstert, ob wir uns noch bei den Fragen im Untersuchungsgegenstand befinden. Und er hat geantwortet: „Nein, aber die Debatte läuft gerade so konfliktfrei.“ Am Anfang habe ich mich davon überzeugen lassen, aber jetzt wünsche ich mir, dass der Verfahrensrichter klar auf die Abgrenzung achtet.
Sie fordern also eine aktivere Rolle?
Hanger
Ja.
Glauben Sie Sabine Beinschab, Kronzeugin der WKStA, und ihren Aussagen?
Hanger
Man müsste detailliert ihre Aussagen durchgehen. Sie hat gesagt, dass sie den früheren Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz nicht persönlich und nur aus den Medien kannte und dass
Wahlumfragen schon unter SPÖ-Kanzlerschaft manipuliert wurden. Insofern glaube ich Sabine Beinschab, ja.
Wahlumfragen schon unter SPÖ-Kanzlerschaft manipuliert wurden. Insofern glaube ich Sabine Beinschab, ja.
Die SPÖ hat die Umfragen laut eigenen Angaben aus der Parteikasse bezahlt. Beinschab hat auch die Aussage von Thomas Schmid bestätigt, was den mutmaßlichen Deal im Finanzministerium betrifft: Mit Steuergeld sollen manipulierte Umfragen bezahlt worden sein, die dem Aufstieg von Kurz dienen sollten. Sie war, sagt sie, auch mit Kurz’ Umfeld im Kontakt.
Hanger
Wer in diesen Handlungen involviert war, sollen die ermittelnden Behörden herausfinden. Ich glaube allerdings nicht, dass Sebastian Kurz davon wusste.
Auch Thomas Schmid möchte Kronzeuge werden. Glauben Sie ihm, dass er das getan hat, was er ausgesagt hat? Unter anderem: „Ich habe die Ressourcen des Finanzministeriums genutzt, um das Fortkommen der ÖVP und Kurz zu unterstützen.“
Hanger
Ich glaube, dass Thomas Schmid ein unglaublich karrierebewusster junger Mann ist und Dinge getan hat, die mit meinen Moralvorstellungen nicht vereinbar sind. Laut meiner Einschätzung hat er die Grenze des Strafrechts da und dort überschritten. Dafür hat er auch die Verantwortung zu übernehmen. Er war jemand, der seinem Herrn mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dienen wollte.
U-Ausschüsse untersuchen politische Verantwortung. Die ÖVP könnte die Frage stellen: Wie kann man sicherstellen, dass keine Steuergelder für die Partei missbraucht werden? Es könnte ja jederzeit der nächste Schmid kommen.
Hanger
Eine Präventivmaßnahme habe ich schon erwähnt, Studien werden jetzt veröffentlicht. Im Finanzministerium hat man auch Kontrollmechanismen bei den Vergaben eingezogen. Ich möchte betonen, dass ich überzeugt bin, dass Vergaben im öffentlichen Bereich zu einem sehr hohen Prozentsatz dem Recht entsprechen.
Trotzdem wurden über Jahre insgesamt 1,2 Millionen Euro mittels Direktvergabe für Studien ausgegeben, die dem Finanzressort am Ende nicht einmal vorlagen. Da muss man sich als Partei und als Ministerium fragen, wie das passieren konnte.
Hanger
Na Moment! Es ist eine Frage des Ministeriums. Automatisch eine Verbindung zur ÖVP herzustellen, halte ich für weit hergeholt.
Die ÖVP führt seit Jahrzehnten das Finanzministerium, die Gelder wurden offenbar für die Partei verwendet – auch wenn noch nicht klar ist, inwieweit und wer davon wusste.
Hanger
Eben, es sind keine Tatsachen, die wir besprechen. Das müssen die ermittelnden Behörden bewerten. Schmid hat auch gesagt, es gab Vorbereitungen für Regierungsverhandlungen, betroffen war ein Grazer Unternehmen.
Ein Grazer Unternehmen hat sich bei den Behörden gemeldet und rund 20.000 Euro zurückgezahlt.
Hanger
Da habe ich mir gedacht: Diese Abgrenzung ist gar nicht so einfach. Ich war selbst bei Regierungsverhandlungen dabei. Irgendwann geht es darum, das Regierungsprogramm mit einem Budgetpfad zu versehen. Aber gleichzeitig darf man die Experten des Finanzministeriums nicht konsultieren, weil das ja Parteiarbeit wäre.
Im Fall des Unternehmens ging es offenbar um Workshops, die 2017 vom Ministerium bezahlt wurden, aber dem ÖVP-Wahlkampf gedient haben sollen.
Hanger.
Die Inhalte der Workshops kenne ich nicht. Was ich damit sagen wollte: Diese Abgrenzungsfrage ist gar nicht so einfach, wie man auf den ersten Blick glauben möchte.
Nach allem, was in den letzten Monaten passiert ist: Verstehen Sie, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die ÖVP gelitten hat?
Hanger:
Natürlich. Ich bin in meinem Wahlkreis viel unterwegs. Dass diese Korruptionserzählung ihre Wirkung gezeigt hat, liegt auf der Hand.
Sie sagen Erzählung, als hätte jemand etwas erfunden. Es gibt Indizien und Verdachtsmomente. Man weiß schlicht noch nicht, was die Ermittlungen bringen werden.
Hanger:
Es wird in Einzelfällen zu Vorkommnissen gekommen sein, die ganz einfach nicht in Ordnung sind. Hier muss die Justiz mit voller Härte durchgreifen. Ich verwehre mich aber ganz entschieden dagegen, eine Wertegemeinschaft pauschal als korrupt darzustellen.
Sie haben das Anti-Korruptions-Volksbegehren unterschrieben. Darin wird ein Informationsfreiheitsgesetz gefordert und mehr Rechte für den Rechnungshof, um in die Parteikassen zu schauen. Unterstützen Sie diese Forderungen?
Hanger
Grosso modo unterstütze ich das. Ich bin absolut für ein Informationsfreiheitsgesetz. Auch wenn man sicherstellen muss, dass Gemeinden nicht mit Arbeit zugeschüttet werden.
Und die Prüfungsrechte für den Rechnungshof?
Hanger
Ich habe überhaupt kein Problem damit, dass der Rechnungshof mehr Rechte bei der Parteienfinanzierung bekommen soll.
Zum Abschluss: Wie sehr wird die Lage der Bundespartei der ÖVP bei der Landtagswahl in Niederösterreich schaden?
Hanger
Gar nicht.
Das Minus, von dem man ausgeht, wird also selbst verschuldet sein?
Hanger
Wir legen viel Wert auf einen niederösterreichischen Weg. Niederösterreich hat sich unglaublich gut entwickelt in den letzten Jahrzehnten. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner setzt diesen Weg sehr erfolgreich fort, und ich bin davon überzeugt, dass die Wählerinnen und Wähler das auch goutieren werden.
Wie wird die Wahl Ihrer Meinung nach ausgehen?
Hanger
Ich glaube, dass wir an Mandaten und an Prozenten nicht zulegen werden. Aber ich gehe von einem sehr guten Ergebnis aus.
Fotos: Wolfgang Paterno
Zur Person
Andreas Hanger, 54, ist seit 2013 Nationalratsabgeordneter für die ÖVP und derzeit Fraktionsführer im U-Ausschuss zur mutmaßlichen Korruption der ÖVP. Der Niederösterreicher ist tief in der Landespartei verwurzelt, er sorgte vor allem mit seiner harschen Kritik an der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft und der vehementen Verteidigung seiner Partei für Aufmerksamkeit. Hanger übernahm auch beim vergangenen Ibiza-Ausschuss die Leitung seiner Fraktion. Er studierte Betriebswirtschaftslehre in Wien und ist seit 2008 Geschäftsführer der Norwin Handels GmbH.