Nachhaltigkeitsbranche am Scheideweg: Papierindustrie benötigt Strompreiskompensation
Wirtschaftlich konnten 2024 die Einbrüche des Vorjahres nicht kompensiert werden, energiepolitisch fehlen dringend benötigte Entlastungsschritte. In Erwartung, dass die neue Bundesregierung die Energiekosten senkt, setzt die Branche ein starkes Zeichen: Als erste Industriesparte Österreichs präsentierte sie ein ambitioniertes, gemeinsames Klimaziel zur Reduktion fossiler CO₂-Emissionen um 43,5 Prozent bis 2030.
Die österreichische Papier- und Zellstoffindustrie steht weiterhin unter hohem wirtschaftlichem Druck. Zwar zeigte sich 2024 eine leichte Erholung gegenüber 2023 mit einem Umsatzplus von 7,2 Prozent, das Vorkrisenniveau konnte jedoch bei Weitem nicht erreicht werden. Von 2022 auf 2023 musste die Branche einen Umsatzeinbruch von 22,1 Prozent verkraften. Auch bei der Produktion konnten trotz einer Erhöhung um 13,7 Prozent auf 4,4 Millionen Tonnen die Verluste aus 2023 nicht wettgemacht werden. „Unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit leidet unter massiven Standortnachteilen wie den hohen Energieabgaben, überbordender Regulierung und Rekordwerten bei den Lohnstückkosten,“ erklärt Austropapier-Präsident Martin Zahlbruckner. Mit einer Exportquote von 87,2 Prozent – weit über dem heimischen Industriedurchschnitt – ist die Papierindustrie ganz besonders von fairen Wettbewerbsbedingungen in Österreich im Vergleich zum europäischen Mitbewerb abhängig.
Wie dramatisch sich die Wettbewerbsverzerrung zu Lasten des heimischen Industriestandorts entwickelt hat, zeigt sich an einem Vergleich mit Deutschland, einem der wichtigsten Exportmärkte. Durch die politische Unterstützung zahlen vergleichbare Papierproduzenten in unserem Nachbarland laut einer Studie des Austrian Institute of Technology (AIT) 50 Prozent weniger für Strom, der Unterschied bei den Stromnetzkosten ist mit 75 Prozent höheren Gebühren und Abgaben in Österreich noch deutlicher.
Erfreulich hinsichtlich des wirtschaftlichen Umfelds ist, dass die Anzahl der Beschäftigten im Vorjahr mit 7.560 –nach 7.530 im Jahr 2023 – annähernd gleichgeblieben ist. Auch die vielen Frauenförderungsprogramme der Betriebe und nicht zuletzt das Austropapier-Frauennetzwerk Women4PaperIndustry zeigen Wirkung. In den vergangenen zehn Jahren konnte der Anteil weiblicher Beschäftigten um 18,4 Prozent erhöht werden.
Klares gemeinsames Ziel: Minus 43,5 Prozent fossile Emissionen bis 2030
Trotz der wirtschaftlichen Herausforderungen hat die Papierindustrie 2024 ihre Spitzenposition bei Kreislaufwirtschaft und Dekarbonisierung ausgebaut. Die Recyclingquote von über 86,9 Prozent ist international führend, auch der Anteil der Erneuerbaren in der Produktion ist mit 69,2 Prozent ein absoluter Spitzenwert in Österreichs Industrie. „Wir haben weniger als ein Prozent Abfall im Produktionsprozess und speisen Strom und Wärme für rund 103.000 Haushalte ein – das ist gelebte Bioökonomie“, so Austropapier-Geschäftsführerin Sigrid Eckhardt.
Mit einem ambitionierten Branchenklimaziel positioniert sich die Papier- und Zellstoffindustrie als Vorreiterin der Energiewende. Erklärtes gemeinsames Ziel ist es, die fossilen CO₂-Emissionen bis 2030 um 43,5 Prozent gegenüber 2021 zu reduzieren. Dieses Ziel betrifft sowohl Scope 1- als auch Scope 2-Emissionen und soll durch eine Kombination aus Fuel Switch, Elektrifizierung und Effizienzsteigerung erreicht werden. „Neben dem Umstieg von Erdgas auf grüne Gase spielt auch die Erhöhung des Stromanteils aus erneuerbaren Quellen und umweltfreundliche Festbrennstoffe eine zentrale Rolle in der Dekarbonisierung der Industrie“, erklärt Gerwin Drexler-Schmid, Business Manager Net Zero Industries am AIT, der sich vom Engagement und den bisher erzielten Fortschritten der Branche beeindruckt zeigt: „Die Papier- und Zellstoffindustrie ist bei der Dekarbonisierung auf einem sehr guten Weg. Die bisherigen Fortschritte zeigen deutlich, dass nicht nur ambitionierte Ziele gesetzt wurden, sondern auch die richtigen Maßnahmen, um sie zu erreichen.“
Auf dem Weg zu einer klimaneutralen Industrie braucht es auch Innovationsbereitschaft und neue Technologien. Ein wichtiger Baustein wird die Nutzung von Bioenergie mit CO2-Abscheidung, Speicherung und Nutzung (BECCS/U) sein. Durch die Speicherung kann die CO2-Konzentration in der Atmosphäre künftig stark verringert werden. „Wir sind die erste Industriesparte Österreichs, die sich zu einem gemeinsamen Klimaziel bekennt. Damit nehmen wir eine gesellschaftliche Vorreiterrolle ein“, betont Sebastian Heinzel, Nachhaltigkeitssprecher von Austropapier und ergänzt: „Aber es bringt uns nichts, in Schönheit zu sterben. Die Transformation der Industrie kann nur im Schulterschluss mit der Politik gelingen, dafür brauchen wir als energieintensive Industrie die nötige Unterstützung.“
Strompreiskompensation muss bis 2030 verlängert werden
Die dringlichste Maßnahme, die in den kommenden Wochen beschlossen werden muss, ist die Verlängerung der Strompreiskompensation bis 2030. Energieintensive Unternehmen, die durch den EU-Emissionshandel höhere Strompreise zahlen müssen, sollen diese Kosten auf Empfehlung der EU zu 75 Prozent rückerstattet bekommen. Das soll globale Wettbewerbsnachteile abmildern und stromintensive Industriezweige vor der Abwanderung schützen. 17 EU-Staaten nutzen den Mechanismus der Strompreiskompensation. Österreich hat das bis jetzt verabsäumt. Die neue Bundesregierung kann Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit mit hoher nationaler Wertschöpfung beschleunigen, wenn sie die exorbitanten Unterschiede bei den Energiekosten im Vergleich zum europäischen Mitbewerb saniert. „Mit einer Strompreiskompensation bis 2030 wird die in Europa technisch führende österreichische Papierindustrie gestärkt, Kreislaufwirtschaft und schonender Ressourceneinsatz unterstützt und die Energiewende weiter beschleunigt“, regt Zahlbruckner an und ergänzt: „Diese Maßnahme wird ohnehin aus den Erlösen des EU-Emissionshandels finanziert, belastet nicht das Budget, sondern schafft Wachstum und sichert Beschäftigung.“
Eine weitere notwendige Maßnahme betrifft den Ausbau der Netzinfrastruktur. „Die Elektrifizierung industrieller Prozesse setzt leistungsfähige Stromnetze voraus. Ohne gezielte Investitionen in eine leistbare Netzinfrastruktur ist die Dekarbonisierung nicht zu schaffen. Hier ist ein klares staatliches Commitment gefragt,“ fordert Zahlbruckner und erklärt abschließend: „Die österreichische Industrie steht am Scheideweg. Wenn jetzt von der Politik die richtigen Weichen gestellt werden, kann die Papierindustrie auch weiterhin eine tragende Rolle in der grünen Transformation spielen.“