150 Paletten im Hangar: Soforthilfe für Lesbos vergeblich?
Als das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos in der Nacht vom 8. auf den 9. September abbrannte, war die europäische Öffentlichkeit alarmiert. 12.000 Migranten, die bereits vor dem Feuer unter erbärmlichen Umständen gehaust hatten, waren obdachlos. Mehrere EU-Staaten, darunter Deutschland und Frankreich, beschlossen, 400 der 4000 minderjährigen Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen. Österreich lehnte es hingegen ab, sich an der Hilfsaktion zu beteiligen. Angesichts des immer größer werdenden medialen Drucks kündigte die Bundesregierung dann aber doch an, rasche Soforthilfe zu leisten.
Eine Woche nach dem Brand segnete der Ministerrat die Verdoppelung der Soforthilfe für Moria auf zwei Millionen Euro ab. Laut Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) werde damit "konkret dort geholfen, wo die Hilfe am nötigsten sei, während anderswo noch diskutiert werde, ob in ein paar Monaten einige Flüchtlinge aufgenommen" würden.
Die österreichische Bundesregierung hatte also einen Weg gefunden, keinen Flüchtling aufzunehmen und dennoch moralisch gut dazustehen.
Am 15. September brach ein gechartertes Transportflugzeug des Typs Antonov 124 in Begleitung von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) mit 55 Tonnen Hilfsgütern an Bord nach Athen auf. An Bord waren 400 Familienzelte mit Winterkit für 2000 Personen, 2000 Hygienepakete, 200 Zeltheizungen, 400 Zeltbeleuchtungen, 7400 Decken sowie 2700 aufblasbare Matratzen, Polster und Bettwäsche. Kostenpunkt, einschließlich des Transports: 720.000 Euro. Auf das Angebot, zehn Sanitätskräfte des österreichischen Bundesheeres zur Unterstützung nach Lesbos zu entsenden, war die griechische Regierung nicht eingegangen. Bei der Ankunft in Athen wartete Griechenlands stellvertretender Innenminister Theodoros Livanios bereits am Rollfeld und nahm die "150 Paletten voll Solidarität" in Empfang.
Allerdings war damit für die rasche Soforthilfe erst einmal Endstation. Am 1. Oktober brachten drei Abgeordnete der SPÖ eine parlamentarische Anfrage an Innenminister Nehammer ein, um unter anderem herauszufinden, was aus den Hilfsgütern geworden ist. Während eine Antwort darauf noch aussteht, berichtete die "Kronen Zeitung" zeitgleich, die 55 Tonnen würden nach wie vor am Flughafen in Athen lagern.
Fraglich war von Anfang an, wie dringend Griechenland so simple Dinge wie Zelte, Decken und Bettwäsche tatsächlich benötigte. Während nämlich Österreich und andere EU-Staaten hastig derlei Güter nach Athen sandten, hatte die griechische Regierung wenige Tage zuvor ihrerseits Hilfsgüter in Richtung Libanon verschifft-als Soforthilfe nach der Explosionskatastrophe in Beirut am 4. August: 500 Paletten mit mehreren Hundert Tonnen Lebensmitteln, medizinischen Geräten, Baustoffen und anderen Gütern.
Hilfsgüter kamen in Griechenland an, Hilfsgüter verließen Griechenland.
Unterdessen brach das Herbstwetter über die Insel Lesbos herein, und das Lager Kara Tepe, das anstelle des niedergebrannten Camps in Moria errichtet worden war, versank am vergangenen Dienstag zum zweiten Mal in Regen und Schlamm. Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) übte scharfe Kritik an der völlig unzureichenden Unterbringung der Asylsuchenden in nicht wasserfesten Zelten.
Wo aber sind die österreichischen-winterfesten-Zelte geblieben? Auf profil-Anfrage sagt ein Sprecher des Innenministeriums, dass die gesamte Hilfslieferung weiterhin in einem Hangar des Flughafens von Athen lagere. Der Grund dafür sei, dass das Gelände in dem Flüchtlingslager erst planiert und für die Errichtung der Zelte vorbereitet werden müsse. Auch alle anderen mitgeschickten Güter seien noch nicht nach Lesbos gebracht worden, da diese ohne die Zelte nutzlos seien, so der Sprecher des Innenministeriums. "Kommende Woche" werde die gesamte Ladung nach Lesbos transportiert.
Die griechische Zeitung "Kathimerini" allerdings meldet, dass im Sommer 2021 mit dem Bau eines neuen Lagers begonnen werden soll. Für ein "Upgrade" des derzeitigen Zeltlagers habe das Migrationsministerium eine Ausschreibung angekündigt. Von Zelten aus Österreich oder anderen EU-Staaten ist dabei nicht die Rede.
Man kann der österreichischen Bundesregierung nicht absprechen, dass sie helfen wollte. Die Realität der "raschen Soforthilfe" ist jedoch ernüchternd. Die Aussage von Außenminister Schallenberg, Österreich helfe schnell, während anderswo noch diskutiert werde, ob in ein paar Monaten einige Flüchtlinge aufgenommen würden, entpuppt sich neben aller Überheblichkeit auch als faktisch falsch: 51 unbegleitete Minderjährige aus Moria trafen bereits am 30. September mit dem Flugzeug in Hannover ein.