Abir Al-Sahlani: „Zeigen, dass wir auf ihrer Seite stehen“
Aus Solidarität mit den Protesten im Iran hat sich
eine schwedische Europaabgeordnete im EU-Parlament
die Haare abgeschnitten. Im Interview erklärt Abir Al-Sahlani, was sie damit bezwecken wollte.
Frau Al-Sahlani, Sie haben sich vergangene Woche während Ihrer Rede im EU-Parlament ein Büschel Haare abgeschnitten. Warum?
Al-Sahlani
Weil ich genug hatte von dem Gemurmel der Politiker, wenn es um die Rechte der Frauen im Iran geht. Die Politiker haben in ihren Reden und Pressemitteilungen nicht einmal das Wort „Frauen“ erwähnt. Ich wollte den Frauen im Iran zeigen, dass ihre Stimme im Europäischen Parlament gehört wird.
Haben Sie Reaktionen aus dem Iran bekommen?
Al-Sahlani
Ja, viele iranische Frauen und Mädchen haben sich für die Unterstützung bedankt und für die Resolution, die wir am Donnerstag im Plenum verabschiedet haben (Das Europaparlament fordert Strafen für die „Mörder“ der getöteten jungen Frau Mahsa Amiri sowie eine unabhängige Untersuchung, Anm.). Viele von ihnen sagen, dass wir ihre Hoffnung in die Europäische
Union wiederhergestellt haben. Das war mein Ziel: ihnen zu zeigen, dass wir auf ihrer Seite stehen.
Union wiederhergestellt haben. Das war mein Ziel: ihnen zu zeigen, dass wir auf ihrer Seite stehen.
Sind die Proteste im Iran der Beginn einer Revolution?
Al-Sahlani
Für mich spielt das keine Rolle, denn die Frauen im Iran kämpfen schon seit über 100 Jahren für ihre Rechte. Es mag für die westliche Welt eine Neuigkeit sein,aber der feministische Kampf im Iran ist nichts Neues. Die Besonderheit ist, dass es auch junge Frauen sind, die diese Proteste tragen und dafür mitunter den höchsten Preis bezahlen, nämlich ihr Leben.
Laut Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock hat die Gewalt gegen Frauen im Iran nichts mit Religion zu tun. Stimmen Sie dem zu?
Al-Sahlani
Diese Diskussion ist keine religiöse, sondern eine politische. Hat das alles mit dem politischen Islam zu tun? Ja natürlich, aber der politische Islam ist eine
politische Ideologie, keine Religion.
politische Ideologie, keine Religion.
Etliche Nachkommen der iranischen Elite studieren in Europa. Sollen sie sanktioniert werden, damit sie nicht mehr von den Freiheiten im Westen profitieren können?
Al-Sahlani
Die Kinder der Eliten sollten nicht für ihre Väter bestraft werden. Was wir tun können, ist, die Vermögen einzelner Vertreter der iranischen Elite zu beschlagnahmen, bis wir wissen, ob sie an der Ermordung der unschuldigen Mädchen und Frauen beteiligt sind.
Aus Solidarität mit den Protesten im Iran hat sich eine schwedische Europaabgeordnete im EU-Parlament die Haare abgeschnitten.
Was kann die Europäische Union noch tun?
Al-Sahlani
Wir brauchen zumindest eine einheitliche Position. Bis jetzt hat jeder sein eigenes Statement verfasst. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ist über unverständliches Gemurmel nicht hinausgekommen, er spricht nur davon, dieses und jenes zu erwägen. Zuletzt ist im Iran eine junge Frau von 17 Jahren verschwunden. Ihre Familie fand sie in der Leichenhalle, durfte sie aber nicht beerdigen, weil das Regime Angst hatte, dass die Beerdigung die Proteste weiter anheizen könnte. Sich nicht einmal vom eigenen Kind verabschieden zu können – es ist unerträglich. Und was ist unsere Antwort? Wir ziehen dies und das in Betracht, denken darüber nach. Nein, das ist nicht gut genug.
Was muss geschehen? Braucht es härtere Sanktionen gegen den Iran?
Al-Sahlani
Wir müssen uns zumindest einig sein. Bei der Ukraine ist das auch gelungen, wir haben also die Fähigkeit dazu. Der zweite Punkt ist, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, etwa das Vermögen des iranischen Regimes in Europa einzufrieren. Drittens müssen wir erkennen, welche Rolle die iranischen Botschaften in der EU spielen. Viele iranischstämmige Europäer beschweren sich darüber, wie sie von den Botschaften terrorisiert werden. Die Staats- und Regierungschefs sollten zumindest die Botschafter einberufen und ihnen eine Lektion darüber erteilen, wie sie sich in der EU zu verhalten haben.
Einige Beobachter äußern Kritik an westlichen Feministinnen, weil sie sich nicht ausdrücklich genug hinter die Frauen im Iran stellten. Was können wir tun, um iranische Frauen zu unterstützen?
Al-Sahlani
Wir müssen Wege finden, mit ihnen zu kommunizieren und ihnen zeigen, dass wir sie in dieser sehr gefährlichen Situation nicht allein lassen. Ich will die Bürgerinnen und Bürger der EU bitten, Politiker unter Druck zu setzen, damit sie entschlossener handeln und sich mit den Frauen im Iran solidarisieren. Diese Frauen sind der Sittenpolizei schutzlos ausgeliefert. Es geht um ihr Leben.
Annalena Baerbock hat die Gewalt gegen Frauen im Iran nichts mit Religion zu tun. Stimmen Sie dem zu?
Al-Sahlani
Diese Diskussion ist keine religiöse, sondern eine politische. Hat das alles mit dem politischen Islam zu tun? Ja natürlich, aber der pol
Abir Al-Sahlani
wurde im Irak geboren und gehört der schwedischen bürgerlich-liberalen Centerpartiet an. Seit 2019 ist Al-Sahlani Europaabgeordnete der liberalen Fraktion „Renew Europe“.