Schwarz-blaue Ablehnung des UN-Migrationspakts: Eine Chronologie
19. September 2016 - Die erste Deklaration:
In der UN-Generalversammlung stimmt Österreich der „New Yorker Deklaration“ zu. Das Papier bildet den Auftakt zu einem historischen Vorhaben: Erstmals sollen alle Herkunfts-, Transit- und Zielländer der Welt in Migrationsfragen kooperieren. „Wir verpflichten uns dazu, Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Diskriminierung gegen Flüchtlinge und Migranten in unseren Gesellschaften zu bekämpfen“, heißt es in dem Text. „Wir werden Maßnahmen ergreifen, um Integration und Inklusion zu verbessern – mit besonderem Augenmerk auf Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Justiz und Sprachtrainings“. Der damalige Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) ist extra angereist. „Wenn Migranten einen Job finden und sich in unseren Gesellschaften einbringen, kann Integration eine Win-win-Situation für uns alle sein“, sagt er in einem Statement.
20. Februar 2018 - Erste Verhandlungsrunde:
Nach langen Vorbereitungen findet in New York die erste Verhandlungsrunde zum „Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration“ statt, dessen Schaffung in der New Yorker Deklaration vereinbart wurde. Die österreichischen Diplomaten kommen mit klaren Vorgaben aus dem Außen- und Innenministerium. Auch mit dem Bundeskanzleramt, dem Sozialministerium und dem Nachhaltigkeits- und Tourismusministerium fand bereits vor der ersten Runde eine „enge Koordinierung“ statt, schreibt das Außenministerium an profil.
Ab März übernimmt die österreichische Delegation eine ungewöhnliche Sonderrolle: Sie spricht für die 27 EU-Staaten, die den Pakt noch verhandeln. Der Hintergrund: Die wahlkämpfende Regierung Ungarns hat sich nach der ersten Runde zurückgezogen und untersagt den EU-Diplomaten nun, im Namen aller 28 EU-Mitglieder zu verhandeln. Auch die amtierende Ratspräsidentschaft Bulgarien lehnen die Ungarn ab. Der Kompromiss: Österreich übernimmt die zentrale Rolle. Mehrere Quellen bestätigen gegenüber profil, dass die österreichische Regierung sich aktiv um diese Aufgabe bemühte. Das Außenministerium schreibt, man habe „auf Ersuchen der übrigen EU-Partner“ gehandelt.
13. Juli 2018 - Text liegt vor, keine Bedenken:
Nach sechs Verhandlungsrunden liegt der Text vor. Gibt es an diesem Zeitpunkt bereits Kritik in der Regierung? Fürchten Minister oder der Kanzler, dass sie da von Diplomaten etwas verhandeln ließen, das – wie sie drei Monate später behaupten werden – die Souveränität Österreichs infrage stellen oder zu einem „Menschenrecht auf Migration“ verpflichten könnte?
„Es sind keine derartigen Äußerungen bekannt“, schreibt das Außenministerium an profil.
13. September 2018 - Rechte Kreise schießen sich auf Pakt ein:
Die Website „migrationspakt-stoppen.info“ geht online. Die Betreiber stellen einzelne Diplomaten an den Pranger. Diese würden den Migrationspakt ohne Mandat der Bevölkerung verhandeln und unterzeichnen.
Tatsächlich handeln die Österreicher auf Weisung von ÖVP- und FPÖ- geführten Ministerien. Der Migrationspakt wird auch nicht unterzeichnet, sondern durch Anwesenheit angenommen – ein Akt, der unterstreicht, dass das Papier rechtlich nicht bindend ist. Im Fall eines Schweizers attackiert die Kampagne sogar die falsche Person: Der Diplomat Jürg Lauber darf gar nicht verhandeln, da er zum neutralen Organisator des Prozesses bestimmt wurde.
Schnell schießen sich auch Publizisten aus rechten Kreisen auf den Pakt ein. In ihren Texten finden sich falsche Übersetzungen und leicht widerlegbare Vorwürfe wie die Behauptung, dass der Text des Migrationspaktes unter Verschluss gehalten werde.
10. Oktober 2018 - Kurz nimmt kritische Haltung ein:
Nach dem Ministerrat gibt Kanzler Kurz öffentlich zu erkennen, dass die Regierung eine zunehmend kritische Haltung zum Migrationspakt einnimmt. Zuvor hielt sich das Bundeskanzleramt laut APA bedeckt; nur Vizekanzler Heinz-Christian Strache agitiert bereits seit einigen Wochen offen gegen den Pakt.
31. Oktober 2018 - Österreich beschließt Nicht-Annahme des Paktes:
Österreich beschließt, den Migrationspakt nicht anzunehmen. So gut wie alle Einwände der Regierung werden von Völkerrechtsexperten als faktisch falsch zurückgewiesen. Wie, wann und warum ÖVP und FPÖ zu ihrem Entschluss gekommen sind, bleibt unklar.
Jedenfalls enthält der Ministerratsvortrag zur Ablehnung des Pakts zweimal an prominenter Stelle eine fehlerhafte Übersetzung, die sich auch in Texten von rechten Publizisten findet: Das englische Wort „regular“ wurde nicht wie in der offziellen UN-Übersetzung mit „regulär“, sondern mit „planmäßig“ übersetzt. Dieses Malheur hätte den Verfassern des Ministerratsvortrags leicht auffallen können: Im letzten Absatz verwenden sie nämlich selbst die UN-Übersetzung. Es taucht der Verdacht auf, dass Textstellen von rechtsextremen Websites aus dem Internet kopiert wurden.
In ihrer Erklärung listet die Regierung 17 Forderungen auf, die im Migrationspakt enthalten seien und die sie für nicht wünschenswert hält. Darunter: „Verfolgung von Hassverbrechen“, „Zugang zu höherer Bildung“, „Zugang zum Gesundheitssystem“ sowie die „Übernahme von Best-practises in der Integration“.
Auch in diesem Teil findet sich ein auffälliger Übersetzungsfehler: „Verhinderung von Täterprofilerstellungen aufgrund der Rasse, Ethnie oder Religion.“ In der offiziellen UN-Übersetzung des Migrationspaktes ist allerdings von „Migrantenprofilen“ die Rede.
Die österreichische Regierung hat „Migranten“ durch „Täter“ ersetzt.