Deutschland

Zu Besuch bei AfD-Bürgermeister Raue: Reportage aus einer zerstrittenen Stadt

Jüterbog ist eine von zwei Städten in Deutschland, in der die AfD den Bürgermeister stellt. Skandale und Schlagzeilen spalten die Kommune. Kann die AfD Lokalpolitik?

Drucken

Schriftgröße

Wer mit Jüterbogs Bürgermeister Arne Raue reden möchte, muss ins „Fürstenzimmer“ eintreten. „Das ist wahrscheinlich das schönste Büro, das ein Bürgermeister in Deutschland hat“, sagt Raue lachend. Hinter dem massiven Holztisch wurde bei Restaurationsarbeiten ein mittelalterliches Fresko freigelegt, in der Mitte des Raumes ragt eine eine gedrehte Sandsteinsäule zur Decke. Doch im spätgotischen Rathaus möchte sich der „Stadtfürst“ nicht ablichten lassen: „Ich trenne immer sehr streng zwischen Amt und Partei.“ Auf Raues Brust prangt, neben einer Blumen-Krawatte, der blaue Anstecker der AfD – der in Teilen rechtsextremen Alternative für Deutschland.

Raue war viele Jahre parteilos, erst im vergangenen November hat er einen Mitgliedsantrag gestellt. Damit stellt die AfD – neben dem sächsischen Raguhn-Jeßnitz – nun auch im Bundesland Brandenburg, wo die Partei als „rechtsextremer Verdachtsfall“ geführt wird, einen Bürgermeister. „Ich hab‘ jetzt zwei Hater aus Berlin mehr, die mir Mails schreiben“, sagt Raue, „Aber es hat mich stolz gemacht, als erster Bürgermeister der AfD beizutreten.“

Jüterbogs Populist

Von „einer von uns“ bis zu „cholerisch“: Auf den Straßen der rund 13.000 Einwohner zählenden Stadt hat jeder eine Meinung zum Bürgermeister. Jüterbog ist in zwei Lager geteilt: Raue-Fans und seine Gegner. Ist das die neue Normalität, wenn die AfD nach der Macht greift?

Öl ins Feuer goss Raue bereits vor seinem Parteibeitritt. Seine Logik: Entweder du bist mein Freund oder mein Feind. Können Rechtspopulisten nur so und nicht anders regieren? Und hält Deutschlands berühmte „Brandmauer“, die rechtsaußen-Parteien isolieren und von der Macht fernhalten soll? 

Auf Bundes- und Landesebene steht sie noch: Die AfD ist isoliert, keine Partei will eine Koalition mit ihr bilden. In Brandenburg haben sich SPD und das linkskonservative Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zusammengerauft, in Thüringen regiert die CDU nach den Wahlen im September mit SPD und BSW,  in Sachsen in einer Minderheitsregierung mit der SPD. Doch in der CDU-Basis mehren sich die Stimmen, die eine Öffnung zur AfD fordern. Parteichef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz stellt sich dagegen: Er schloss eine Koalition mit der AfD immer wieder aus. 

Doch seit den migrationspolitischen Ankündigungen des CDU-Chefs von vergangener Woche werfen SPD und Grüne ihm vor, die Brandmauer niederzureißen. Merz hatte angekündigt, im Falle eines Wahlsieges dauerhafte Grenzkontrollen sowie „faktische Einreiseverbote“ für Menschen ohne Papiere verhängen zu wollen. Bei entsprechenden Entschließungen im Bundestag, so die weitgehende Interpretation, würde er auch die Stimmen der AfD zu akzeptieren.

„Die Brandmauer ist gefallen“, schrieb AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel auf X. 

Auf Lokalebene lässt sich die Brandmauer mitunter tatsächlich schwer aufrechterhalten. „Sollen wir etwa sagen, dass wir die neue KITA nicht wollen und da nicht mitstimmen?“, sagt Lars Bause vom Bürgerbündnis Jüterbog. „Auf Lokalebene ist es Quatsch, bei sinnvollen Anträgen zu blockieren“, pflichtet ihm Conrad Lehmann bei, der ebenfalls für die Lokalliste im Stadtrat sitzt.

CDU-Kanzlerkanidat Merz

Kehrtwende im Umgang mit der AfD: Zur Not auch mit den Stimmen des rechten Randes. 

Raphael  Bossniak

Raphael Bossniak

freier Journalist