AfD-Hilfe für CDU: Was bleibt von der Brandmauer?
Von Siobhán Geets
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Am Mittwochabend vor zwei Wochen sitzt Friedrich Merz zu Hause und grübelt. Es war ein langer Tag, der den Wahlkampf und die Politik in Deutschland nachhaltig verändern soll. Wenige Stunden zuvor ging im bayerischen Aschaffenburg ein ausreisepflichtiger Afghane in einem Park mit einem Küchenmesser auf eine Gruppe Kleinkinder los. Ein zweijähriger Bub und ein 41-jähriger Passant, der zum Schutz der Kinder eingegriffen hatte, kamen ums Leben.
Deutschland ist geschockt – und Friedrich Merz überlegt den ganzen Abend lang, was zu tun ist. So erzählt man es sich in den Tagen danach in der Partei. Der CDU-Kanzlerkandidat ist persönlich schwer getroffen. Merz hat sieben Enkelkinder. Und er gilt als Affektpolitiker, der sich von Emotionen leiten lässt und gerne alles über den Haufen wirft.
Am darauffolgenden Morgen steht der 69-Jährige vor versammelter Presse und erklärt, wie er „den Scherbenhaufen einer gescheiterten Flüchtlingspolitik“ bereits „am ersten Tag“ seiner Amtszeit richten werde. Die Grenzen will Merz schließen, auch für Menschen, die einen Asylantrag stellen wollen. Bei Abschiebungen soll es mehr Härte geben, geplant sind etwa unbefristete Ausreisearreste.
„Die illegale Einwanderung muss beendet, umfassende Zurückweisungen an den deutschen Grenzen müssen vorgenommen werden“, heißt es in einem von zwei Entschließungsanträgen der Union. Eine Mehrheit fanden sie mit den Stimmen der in Teilen rechtsextremen AfD. Und das direkt nach der parlamentarischen Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus.
CDU-Kanzlerkandidat Merz
Versprechen gebrochen: Am Donnerstag fand Merz Mehrheiten mit der in Teilen rechtsextremen AfD.
Die Abgeordneten der AfD jubelten, fielen sich in die Arme, schossen Selfies. Parteichefin Alice Weidel sprach von einem „Meilenstein“, von einem „Sieg für die Demokratie".
Dabei hatte Merz eine Zusammenarbeit mit der AfD immer ausgeschlossen.
Rechtlich verbindlich sind die Anträge zwar nicht, das wäre erst das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz, das den Familiennachzug von Migranten beschränken und Polizeibefugnisse bei der Abschiebehaft erweitern soll. Vorgelegt hatte es Merz schon vor Monaten, darüber abgestimmt werden soll heute, Freitag. Eine Zäsur war die Abstimmung am Mittwoch dennoch: Erstmals kam in der Bundesrepublik eine Mehrheit dank der extremen Rechten zustande.
Euphorie in der CDU
Bisher war der Wahlkampf für die Bundestagswahlen am 23. Februar eingeschlafen, die Umfragewerte scheinen seit Monaten eingefroren. Doch seit der Bluttat von Aschaffenburg debattiert das Land über gewalttätige Migranten, unfähige Behörden und einstürzende Brandmauern.
In einem ungewöhnlich scharfen Brief warnten die evangelische und die katholische Kirche vor Merz' Vorschlägen, Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einer „faktischen Abschaffung“ des Asylrechts. „Das größte Land der EU würde EU-Recht brechen, wie das bislang nur Viktor Orbán wagt“, rief er den Abgeordneten am Mittwoch bei seiner Rede vor dem Bundestag zu. Und SPD-Chef Lars Klingbeil konstatierte: Sich im Bundestag von der AfD unterstützen zu lassen, sei „ein Bruch mit der Politik von Helmut Kohl und Angela Merkel“.
In der Union dürfte genau das für gute Stimmung sorgen. Unter den Abgeordneten und im Bundesvorstand herrsche regelrechte Euphorie, heißt es aus der Partei. Viele seien froh darüber, dass die Ära Merkel nun endgültig vorbei sei. Merz’ Ankündigungen würden weitgehend als „Akt der Befreiung“ wahrgenommen. Angetrieben sei die Partei auch von ihrer Begeisterung darüber, wie rasch US-Präsident Donald Trump das Land nach seinen Vorstellungen umbaut. In der Union gebe es eine Sehnsucht nach dem starken Mann, nach einem, der harte, weitreichende Entscheidungen trifft.
Öffentliche Rüge
Die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel übte öffentlich Kritik an Friedrich Merz. Ansonsten sind die kritischen Stimmen in der Union verstummt.
Die kritischen Stimmen innerhalb der CDU/CSU sind verstummt, angeblich, um Merz so kurz vor den Wahlen nicht zu schaden. Im Gespräch mit profil warnen Unionspolitiker mit christlich-sozialer Gesinnung vor einem „historischen Schaden“: Merz nehme in Kauf, seine Interessen mithilfe der AfD durchzusetzen, und reiße damit de facto die Brandmauer ein.
Der Rechtsruck könnte eine Negativdynamik auslösen, „wo wir uns am Wahlabend die Augen reiben“. Profitieren werde am Ende die AfD. Wohin das führen könnte, sehe man am Nachbarland Österreich. So weit dürfe es in Deutschland nicht kommen, so die Sorge gemäßigter CDU-Politiker.
Namentlich zitiert werden wollen sie damit nicht, öffentliche Kritik übt lediglich Angela Merkel. Die ehemalige Kanzlerin erinnerte Merz an seine Rede vom vergangenen November, in der er sich dagegen äußerte, „auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächliche Mehrheit“ mit der AfD zustande zu bringen.
Migrationsstopp als Koalitionsbedingung
Niemand beherrscht die Kunst, Migration und Gewalt miteinander zu verknüpfen, so gut wie die AfD. Dass Gewalttaten von Zugezogenen das Land immer häufiger erschüttern – und viele der Täter den Behörden schon zuvor aufgefallen waren –, hat der Partei einen Höhenflug beschert. Aschaffenburg war nach der Messerattacke von Solingen und der Amokfahrt auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg bereits der dritte tödliche Angriff durch Migranten innerhalb weniger Monate.
Der mutmaßliche Täter von Aschaffenburg, der 28-jährige Afghane Enamullah O., hätte eigentlich längst nach Bulgarien ausgewiesen werden sollen. Das gilt auch für den Angreifer auf das Stadtfest in Solingen Ende August. In beiden Fällen scheiterte die Überstellung daran, dass die deutschen Behörden die Frist verstreichen ließen – und die Zuständigkeit für die Asylwerber damit an Deutschland ging.
Allein im Jahr 2024 hat Deutschland die Überstellung von 74.583 Menschen beantragt, vollstreckt wurde die Ausreise aber nur 5827 Mal. Ausreisepflichtige tauchen unter, Fristen verstreichen, Länder wollen die Migranten nicht zurücknehmen. Das Problem liegt am Vollzug.
Häufung von Gewalttaten durch Zuwanderer
Gedenkstätte nach der Amokfahrt auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg.
Deshalb wollten SPD und Grüne die europäische Asylreform GEAS durch den Bundestag bringen. Sie sieht vor, dass die meisten Asylanträge an den EU-Außengrenzen entschieden und Abschiebungen in Drittstaaten vorangetrieben werden. Doch dafür fehlte der Minderheitsregierung von SPD und Grünen die Mehrheit im Bundestag.
Eine solche braucht auch der prognostizierte Wahlsieger Merz für eine künftige Koalition. Einer Regierungsbeteiligung von SPD und Grünen hat er de facto eine Absage erteilt, Merz macht seinen harten Migrationskurs zur Bedingung für eine Koalition: „Kompromisse sind bei diesem Thema nicht mehr möglich.“ Nach vergangener Woche muss sich die SPD ohnehin fragen, ob sie Merz, der eine Zusammenarbeit mit der AfD stets ausgeschlossen hatte, noch trauen kann. Die Sozialdemokraten müssen befürchten, dass die Union notfalls Mehrheiten mit der AfD sucht.
„Eine richtige Entscheidung wird nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmen“, rechtfertigte sich Merz vor dem Bundestag. Damit dürfte es CDU-Politikern in den Ländern und Kommunen leichter fallen, ihrerseits Mehrheiten mit der AfD zu finden. Immerhin können sie künftig direkt auf Friedrich Merz verweisen.
Siobhán Geets
ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.